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Annäherung an Europa

Die EU wirft der Führung der Ukraine vor, das Land zu entdemokratisieren. Deshalb hat sie die Unterzeichnung des Freihandels- und Assoziierungsabkommens mit der Ukraine immer wieder hinausgezögert, obwohl das Papier unterschriftsfertig ist.

Von Gesine Dornblüth | 26.10.2012
    Die Europäische Union sei und bleibe das Ziel der ukrainischen Außenpolitik, betonen Mitglieder der Regierung der Ukraine und der regierenden Partei der Regionen immer wieder. Leonid Koschara, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments der Ukraine:

    "Wir haben ein Gesetz über die Grundsätze unserer Außenpolitik verabschiedet. Darin wird die europäische Integration zur Priorität erklärt. Wenn wir unsere Außenpolitik ändern wollten, müssten wir erst einmal das Gesetz ändern."

    Es sind vor allem die einflussreichen Geschäftsleute im Osten des Landes, die die Regierung drängen. Sie erhoffen sich vom Freihandelsabkommen mit der EU mehr Möglichkeiten auf dem europäischen Absatzmarkt. Doch es ginge nicht allein um Wirtschaft, sagt der Abgeordnete Leonid Koschara.

    "Es geht um eine große politische Aufgabe. Wenn wir das Assoziierungsabkommen mit der EU haben, sagen wir uns ein für alle Mal vom postsowjetischen Raum los."

    So einfach ist das aber nicht, denn die Ukraine ist von Russland abhängig.

    Nichts als Rhetorik sagt denn auch der Kiewer Politologe Wladimir Fesenko über die Regierung und deren EU-Orientierung. Präsident Janukowitsch und sein Umfeld strebten engere Beziehungen zur EU nur aus taktischen Gründen an, um damit ihre Verhandlungsposition gegenüber Russland zu stärken.

    "Die Leute in der jetzigen Regierung sind keine Europäer. Sie denken und handeln eher wie die Russen, wie Putin. Sie wollen keine Reformen, sondern das bestehende Herrschaftsmodell so erhalten, wie es ist. Genauso die Wirtschaft. Europäische Werte imitieren sie nur. Sie sagen, was ihre europäischen Kollegen von ihnen hören wollen. Sie wollen faire Wahlen? Wir auch. Sie wollen Reformen? Die wollen wir auch. Man hat den Eindruck, dass Präsident Janukowitsch gar nicht versteht, was politische und demokratische Standards sind. Ich glaube, er begreift gar nicht, was der Westen eigentlich von ihm will."

    Die EU will faire Wahlen und ein Ende der politischen Justiz in der Ukraine. Am liebsten wäre vielen Politikern im Westen wohl ein Regierungswechsel in dem östlichen Partnerland, doch darauf deutet zurzeit wenig hin. Umfragen sehen die Partei der Regionen bei der Parlamentswahl am Sonntag vorn. Beobachter berichten zudem, die Regierung übe Druck auf die Wähler aus. Politiker aus verschiedenen Fraktionen und Ländern der EU haben gefordert, das Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der Ukraine solange nicht zu unterzeichnen, wie die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko im Gefängnis sitzt. Diese Drohungen seien sinnlos, sagt Fesenko.

    "Janukowitsch ist überzeugt, dass Timoschenko dafür, dass sie die Gasverträge unterzeichnet hat, bestraft werden muss. Das ist für ihn wichtiger, als die Beziehungen zur EU zu verbessern. Und er denkt, wenn die EU darauf besteht, dass Timoschenko freikommt, dann lassen wir sie doch noch ein bisschen sitzen. Wenn man auf Janukowitsch Druck ausübt, tut er das Gegenteil. Er hat von klein auf gelernt, dass man keine Schwäche zeigen darf. Und Zugeständnisse sind seiner Meinung nach eine Schwäche."

    Die EU steht vor einem Dilemma. Wenn sie das Abkommen mit der Ukraine trotz allem unterzeichnet, läuft sie Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen. Und Janukowitsch und seine Leute könnten das Abkommen als Belohnung für vermeintliche Reformen missverstehen. Zögert die EU die Unterzeichnung weiter hinaus, treibt sie die Ukraine weiter in die Arme Russlands.

    Oppositionsführerin Timoschenko hat aus der Haft heraus an die EU appelliert, der Ukraine den Weg nach Europa nicht zu verwehren. Der Politologe Fesenko appelliert jedoch für eine Pause in den Beziehungen.

    "Vielleicht wird das Assoziierungsabkommen in zwei Teile geteilt, einen politischen und einen wirtschaftlichen. Das Interesse, dass Freihandelsabkommen zu unterzeichnen, ist auf beiden Seiten groß. In das Dokument ist viel Arbeit gesteckt worden, es wäre schade, es im Archiv verschwinden zu lassen. Es wäre auch gut, bei den Visaerleichterungen voranzukommen. Denn das erhöht die proeuropäischen Stimmungen in der Ukraine."