"Das hier ist der Eingang zu einem Präzisionslabor. Wir stehen gerade zwischen zwei Türen. Der Raum zwischen diesen Türen isoliert das Labor von der Außenwelt. Das brauchen wir, um die Temperatur innen drin auf konstant 20 Grad Celsius zu halten."
Wenn Guglielmo Tino ein Experiment starten will, muss er ordentlich auf der Hut sein. Nicht nur die Temperatur muss stimmen, auch die Luftfeuchtigkeit sowie die präzise Anordnung jener Spiegel, Linsen und Blenden, die wie hingewürfelt auf einem großen Lasertisch stehen. Und:
"Wenn das Experiment läuft, darf hier keiner drin sein. Denn jeder, der sich zu dicht an der Apparatur auffällt, würde das Schwerefeld verändern und die Messung entscheidend verfälschen."
Mit seinem Präzisionsexperiment hat Tino, Physikprofessor an der Universität Florenz, eine der Grundgrößen der Natur neu vermessen – die Gravitationskonstante.
"Nach heutiger Kenntnis ist sie eine Universalkonstante. Für die Physik ist sie deshalb so wichtig, weil sie die wesentlichen Vorgänge im Universum bestimmt und auch die Stärke der Erdanziehung, die wir jeden Tag am eigenen Leib verspüren."
Nur: Die Gravitationskonstante ist alles andere als einfach zu messen. Bislang versuchten es die Forscher vor allem mit sogenannten Drehwaagen. Vereinfacht gesagt sind das Hanteln, die an dünnen Fäden aufgehängt sind und von wuchtigen Massen ein klein wenig aus ihrer Ruhelage ausgelenkt werden. Anhand dieser Auslenkung lässt sich dann der Wert der Konstanten berechnen. Das Problem dabei: Verschiedene Varianten dieses Messprinzips ergaben widersprüchliche Ergebnisse. Deshalb weiß man bis heute nicht, wo der genaue Wert der Gravitationskonstanten liegt – was die Physiker zunehmend zur Verzweiflung bringt.
Guglielmo Tino: "Es ist eine Schande, dass wir alle anderen Naturkonstanten bis auf die achte oder neunte Stelle hinterm Komma kennen, nur die Gravitationskonstante nicht. Sie ist bislang nur auf die vierte Stelle bekannt. Es ist für uns Physiker eine Frage des Stolzes, sie endlich genauso präzise messen zu können wie die anderen Konstanten."
Um das zu schaffen, hat Guglielmo Tino in Florenz etwas komplett Neues versucht. Statt auf eine Drehwaage mit Hanteln und Fäden setzt er auf einen Sensor, der mit Atomen funktioniert und der die Regeln der Quantenphysik ausnutzt.
"Mithilfe von Laserlicht kühlen wir eine Wolke aus Rubidiumatomen stark ab, bis nahe an den absoluten Temperaturnullpunkt. Dann schießen wir diese Wolke in einem dünnen, senkrechten Vakuumrohr per Laser alle zwei Sekunden nach oben. Dadurch entsteht, ähnlich wie bei einem Brunnen, eine Fontäne aus Atomen, sie ist 50 Zentimeter hoch."
Dabei fliegt die Atomfontäne dicht an schweren Wolframzylindern vorbei, die unmittelbar neben dem Vakuumrohr montiert sind. Sie haben eine Gesamtmasse von einer halben Tonne. Manche Atome spüren dabei das Schwerefeld des Wolframs stärker als andere. Diese Differenz lässt sich mit spezieller Quantentechnik messen. Gleichzeitig sorgen raffinierte Tricks dafür, dass störende Einflüsse quasi herausgemittelt werden, zum Beispiel die Gezeitenkräfte von Sonne und Mond. Aus den Messdaten konnten die Italiener nun auf einen neuen Wert für die Gravitationskonstante schließen.
"Er liegt unterhalb des derzeitigen offiziellen Werts für die Gravitationskonstante. Ende des Jahres wird dieser offizielle Wert neu festgelegt. Und unser Resultat kommt gerade rechtzeitig, um bei dieser Neufestlegung berücksichtigt zu werden."
Noch ist unklar, welches Messverfahren überlegen ist – der Atomsensor aus Italien oder aber die gute alte Drehwaage. Doch Tino hofft, seine Methode so weit verfeinern zu können, dass sie sich irgendwann als Standard für die Messung der Gravitationskonstanten etabliert.