Archiv


Anne Frank rehabilitiert?

Im vorigen Monat wurden die Deutschen von der Nachricht einer Sonnwendfeier mit Bücherverbrennung im ostdeutschen Pretzien schockiert. Das Buch, das ein junger Mann ins Feuer warf, war ausgerechnet eines, an dem Generationen junger Menschen die Nazi-Verfolgung nacherlebt haben, weil eine Altersgenossin sie beschrieb, Anne Frank. Und nun hat sich die rechte Szene der Holocaust-Leugner, immer auf der Suche nach Verschwörungsnachweisen, auf dieses weltberühmte Tagebuch mehr und mehr eingeschossen. Und die in rechten Foren verbreiteten Zweifel an der Echtheit dieses Dokuments, wurden jahrzehntelang auch begründet mit einem Gutachten aus dem Bundeskriminalamt von 1980. Gestern nun, nach vielen Jahren, hat das BKA eine Stellungnahme verschickt, in der es heißt, das Gutachten befasste sich nur mit der Frage, damals, ob das zur Aufzeichnung der Tagebücher verwendete Schreibmaterial in den Jahren des Zweiten Weltkriegs gebräuchlich war. Dies wird im Gutachten zweifelsfrei als gegeben bestätigt. Ein Schlussstrich also, nach langer Zeit. Der Direktor des Berliner Anne Frank-Zentrums, Jan Krebs, zeigte sich erfreut über die späte Richtigstellung des BKA.

Der Direktor des Berliner Anne Frank-Zentrums Jan Krebs im Gespräch |
    Beatrix Novy: Was hatte denn der Gutachter des BKA damals überhaupt gefunden, was Zweifel sähen konnte?

    Jan Krebs: Die Schwierigkeit an dem Tagebuch Anne Franks ist eigentlich, dass es ein Familiendokument ist. Anne Frank hat es ja in der Kriegszeit im Versteck geschrieben. Dann, als die Familie deportiert wurde, Anne Frank ermordet wurde, ist es von einer der Helferinnen, von Miep Gies, aufbewahrt und versteckt worden, ist nach dem Krieg ihrem Vater übergeben worden und damit beginnt eigentlich dann die Redaktions- und Veröffentlichungsgeschichte. Und im Rahmen der Dinge, die dann in den folgenden Jahren einfach geschehen sind, mit dem Text, sind auch Anmerkungen redaktioneller Art dem Tagebuch hinzugefügt worden. Es war eine Zeit ohne Fotokopierer und ähnliche Hilfsmittel, wie wir sie heute kennen. Und dadurch finden sich auf dem Originalmanuskript auch einige Notizen, die mit Kugelschreiber gefertigt sind. Und da es den Kugelschreiber erst nach dem Krieg gegeben hat, wurde diese Tatsache dann immer wieder herangezogen, als Argument, das ganze Tagebuch sei nicht authentisch.

    Novy: Was war denn eigentlich der Anlass des Gutachtens damals?

    Krebs: Der Anlass war ein Prozess vor dem Landgericht Hamburg, wo es darum ging, dass der Beklagte die Authentizität des Tagebuchs faktisch in Frage gestellt hatte.

    Novy: Warum?

    Krebs: Es ist ja ein bekannter Topos rechtsextremistischer Ideologie, zu sagen, dass Zeugnisse über den Holocaust nicht authentisch seien um zu begründen, der Holocaust habe in dieser Form gar nicht stattgefunden und sei eine Erfindung. Und da muss man sich natürlich mit verschiedenen Dingen beschäftigen; dazu gehören schriftliche Zeugnisse aus der Kriegszeit. Es gibt ja genauso unwissenschaftliche Angriffe, beispielsweise, die Gaskammern in Auschwitz seien tatsächlich keine Gaskammern gewesen, seien nie für diese Zwecke benutzt worden und ähnliches. In diesem Kontext ist das zu sehen.

    Novy: Der Beklagte war also jemand, der die Echtheit des Tagebuchs geleugnet hatte.

    Krebs: Ja.

    Novy: Und wieso wurde aus dieser nahe liegenden Vermutung, die Sie ja eben schon geäußert haben, dass nämlich andere Leute mit Kugelschreiber in diesem Manuskript herumgefingert haben, dann ein so haltbares Argument für rechtsextreme Kreise gegen die Echtheit des Tagebuchs?

    Krebs: Die Schwierigkeit liegt darin, dass das damalige Gutachten hier nicht besonders differenziert war, nur, im Grunde, einen kleinen Ausschnitt der Vielfalt von wissenschaftlichen Untersuchungen, die grundsätzlich möglich gewesen wären, gemacht hat. Man hat zum Beispiel damals keine grafologischen Untersuchungen der Handschrift angestellt. Und in der Art und Weise, wie das Gutachten gehalten ist, ist einfach diese widersprüchliche Deutung möglich. Und von daher lag uns eben schon sehr lange an der Klarstellung dieser Zusammenhänge. Die Gesamttagebücher, es handelt sich ja auch um mehrere Bücher und eine große Zahl noch einzelner Seiten, die Anne Frank beschrieben hat, all das ist in den folgenden Jahren, in einem sehr aufwendigen wissenschaftlichen Untersuchungsprozess, der auch Handschriftensachverständige eingeschlossen hat, in den Niederlanden dann untersucht worden. Und es gibt ein umfangreiches Untersuchungsergebnis von 1986, des Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation, das zweifelsfrei die Authentizität des Tagebuchs in vielerlei Hinsicht nachweist.

    Novy: Kommen wir noch einmal auf das BKA zurück. In der Stellungnahme, die gestern herausgegeben wurde vom BKA, heißt es, dass das BKA eigentlich grundsätzlich gar keine Stellungnahmen abgibt, zu Gutachten, außer eben gegenüber dem Auftraggeber, also dem Gericht in diesem Fall. Nun ist die Stellungnahme aber, wenn auch 26 Jahre später, doch gekommen. Das heißt, man kann durchaus von der Regel abweichen. Aber warum hat denn das so lange gedauert, Ihrer Meinung nach?

    Krebs: Ich würde Sie zunächst bitten, diese Frage dem BKA zu stellen, denn das ist ja die einzige Stelle, die eine authentische Antwort dazu geben kann. Wir können nur spekulieren. Vor allen Dingen sind wir jetzt erst einmal sehr froh, dass es jetzt diese Antwort gibt, denn das war eine sehr wichtige und nötige Klarstellung. Ich denke, große Behörden haben sicher immer wieder ihre Schwierigkeiten, von eigenen Regeln abzuweichen. Und auf der anderen Seite ist es sicher ja auch eine politisch problematische Tatsache, wenn ein Gutachten, das im Auftrag des Bundeskriminalamtes, also einer wichtigen rechtspflegenden Behörde der Bundesrepublik, angefertigt wurde, wenn das geeignet ist - und das war es offensichtlich - um von Rechtsextremisten missbraucht zu werden. Von daher hat man sicher aus verschiedenen Gründen gezögert, so einen Schritt zu gehen. Aber wie gesagt, wir sind sehr froh, dass er nun gegangen worden ist.