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Anregung zum Weiterdenken

Aus dem 15-teiligen Bilderzyklus "18.Oktober 1977" des Malers Gerhard Richter über den Höhepunkt des "Deutschen Herbstes" hat die Dramatikerin Katharina Schmitt sich 9 zur Vorlage für ihr Stück "Knock out" genommen. Sie dramatisiert nicht die Bilder, sondern denkt sie weiter, fragt nach Kampf und Terror.

Von Hartmut Krug | 02.11.2007
    Der Himmel ist offen und leer über den grauweißen Grobputzwänden einer Zelle, deren sandiger Boden mit Herbstblättern übersät ist. Die Figuren und Schraffuren der Filmbilder, die auf die Rückwand geworfen werden, wirken grau und düster dumpf. Die Szene der Uraufführung von Katharina Schmitts "Knock Out" am Theaterhaus Jena verstrahlt die gleiche trostlose Hoffnungslosigkeit wie die auf Vorlagen von Polizei- und Medienfotos beruhenden 15 Bilder von Gerhard Richters Zyklus "18. Oktober 1977". Richters Bilder liefern keine Erklärungen, kein Urteil, keine eindeutige politische Haltung zum "Deutschen Herbst", zu den Selbstmorden in Stammheim nach der Befreiung der Lufthansamaschine Landshut. Sie bewegen sich im Grenzbereich zwischen teils diffuser Trauerarbeit und deren ästhetischer Konsumierbarkeit (mit einem christusgleich erschossen am Boden liegenden Andreas Baader, mit einer toten Ulrike Meinhof, bei der die Würgemale des Strickes zu sehen sind).

    Katharina Schmitt nimmt für ihr Stück 9 von Richters 15 Bildern zur Vorlage, nicht um sie nachzustellen oder nachzuspielen, sondern um sie durch und weiter zu denken. Es geht um die Suche nach Haltungen und Handlungen, gefragt wird weniger nach den Ursachen als nach den Mechanismen von Kampf und Terror. Man muss Richters Bilder nicht kennen, deren Titel den einzelnen Theaterszenen vorangestellt sind. Doch mit ihrer Kenntnis erschließen sich die knappen Dialogszenen des einstündigen Abends leichter.

    Regisseur Heiko Kalmbach treibt die beiden Schauspieler Zoe Hutmacher und Gunnar Titzmann, die alle wechselnden Rollen spielen, wobei auf Geschlechterrollen nicht geachtet wird, kaum einmal in stärkere Aktion. Hier wird vor allem szenisch vorgedacht. Die Aufführung wirkt aber keineswegs statisch, sondern lebt aus dem Rhythmus der Texte heraus. Von Texten, die nicht poetisieren, sondern die den Zuschauer durch ihre klare Einfachheit in die Konzentration zwingen. Etwas atmosphärische Musik und zuweilen Live-Videos der Agierenden - mehr braucht der Regisseur nicht für seine Versinnlichung von Schmitts Dialogen, auch wenn sich die Autorin gelegentlich mehr kunstvolle Anspielungen gedacht hat zum Beispiel mit szenischen Bildern im Stil von Edward Hopper.

    "Jugendbildnis" heißt die erste Szene: ein Gespräch und Verhör, von klatschenden Folter- oder Kindheitsschlägen untermalt. Da versucht sich jemand seiner Kinderspiele und deren festen Regeln zu vergewissern, gegen ein anderes, (be)herrschendes Ich, das diese Spiele ("Blinde Kuh", "Räuber und Gendarm") nie gespielt haben will. Ein Dialog um Macht und Unterdrückung und das Befolgen von gesellschaftlichen Spielregeln, im Off beginnend und in der Dynamik von Videogroßaufnahmen des Sprechenden gipfelnd.

    Die Szene "Festnahme" zeigt dann schon, wie die Illusion scheitert, man könne der Gesellschaft davon laufen, statt ihr entgegentreten zu müssen. Der sich dies mit dem Mikrofon in der Hand einredet, wird auf düsterer Bühne von einer Frau, deren Stimme aus der Flüstertüte mechanisch und kalt klingt, mit einem kleinen Lampe verfolgt. Dabei berühren sich die beiden wie alle Figuren an diesem Abend nicht, sie bleiben sich stets fern und halten sich einander mit ihren Fragen vom Leibe. So wird auch die Festnahme nicht gespielt, sondern nur erzählt, bei der dem polizeilichen Kinnhaken das titelgebende "Knock out" folgt. Bei Katharina Schmitt kommt auch die Frau eines Opfers zu Wort.

    In "Erschossener" steht sie mit dunkler Sonnenbrille vor einer Windmaschine im Gang neben der Zelle und wirkt gefasst, beinahe cool. Ein Bild gegen Betroffenheitserwartungen, ein sich allzu sicheres Bild. Die weitgehende Fraglosigkeit von Katharina Schmitts Dialogen ist zugleich Stärke wie manchmal auch Schwäche ihres Stückes.

    Die Autorin gewann mit diesem Stück den Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis der Stadt Jena. Es besitzt bei seiner Uraufführung in der Szene "Tote" seine stärksten Momente. In ihr wird über ein Päckchen geredet, mit dem an der Kontrolle vorbei ein Strick ins Gefängnis kam. Wie hier, mit wechselnden Positionen im Raum und auf den Wänden, von Wärter und Gefangener über Selbstmord geredet wird, dabei mit dem Wissen über den Ausgang auch an Mord gedacht wird, so muss die Szene konsequenterweise in der Einsicht der Gefangenen münden: "Ich bin schon lange tot."

    Wunderbar bewegt und bedrückend schließlich die Szene "Plattenspieler", mit der Regisseur Heiko Kalmbach ein schönes, eindrückliches szenisches Bild für die Ausweglosigkeit terroristischen Handelns findet. Andreas Baader soll in seinem Plattenspieler eine Pistole versteckt gehabt haben. So bringt auf der Bühne der Plattenspieler die Terroristen zum (revolutionären) Tanz, der zum Drill in einem Ausbildungscamp mündet. Wieder und wieder werden sie aufs neue zum Tanz angetrieben, werden dabei als Nullen beschimpft und für eine Aktion eingeteilt, die nicht sinnvoll, sondern nur propagandistisch, also "Journalistenfutter" ist. Da tritt etwas auf der Stelle in wilder Bewegung, das in die Freiheit will: Gezeigt wird die Sinnlichkeit der Sinnlosigkeit.

    All das ergibt zwar noch kein großes Stück und keinen großen Theaterabend, doch die konzentrierte Ernsthaftigkeit von Stück und Inszenierung nehmen für beide ein. Ein überzeugender Abend, der anregt zum Denken, zum Weiterdenken. Als Auftakt und eingebettet in das kleine, zehntätige Jenaer Festival "Heißer Herbst", neben Vorträgen, Diskussionen und Aktionen, ist er richtig am Platz.