Jürgen Liminski: An die 400 Schiffe hat die Deutsche Marine vor der libanesischen Küste bereits kontrolliert. Sie operiert jetzt auch innerhalb der Sechs-Meilen-Zone. Die Verwirrung um ihren Einsatz hat damit zu tun, dass die libanesische Regierung selbst über den Einsatz der internationalen Verbände uneins ist. Die schiitischen Hisbollah-Minister und christliche Politiker von der Partei des ehemaligen Generals Aoun sind dagegen. Die Mehrheit allerdings der Drusen, Sunniten und der andere Teil der Christen, die zur Forces Libanaises gehören, ist dafür. Diese Mehrheit hat sich nach dem Abzug der Syrer formiert und unter dem Namen 14. März, dem Tag des Abzugs und der Befreiung des Libanon vor eineinhalb Jahren, eine Allianz gebildet.
Wenige Tage nach dem 14. März 2005 wurde auch Samir Geagea, der Chef der Forces Libanaises, freigelassen. Die Syrer und ihre Verbündeten hatten ihn elf Jahre lang unter fadenscheinigen Vorwänden in Einzelhaft gehalten. Er ist mittlerweile rehabilitiert und wieder an der Spitze der christlichen Partei. Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, ihn im Libanon zu treffen. Auf die Frage, wie er die Präsenz deutscher Schiffe vor der Küste beurteile und ob dies überhaupt sinnvoll sei, sagte er.
Samir Geagea: Diese Präsenz ist nicht nur sinnvoll. Sie ist absolut notwendig für unser Land. Bedenken Sie: Der Libanon hat nicht die Tradition einer starken Armee wie andere Länder in der Region. Wir sind ein kleines Land mit begrenzten Ressourcen. Unsere Stärke ist die Kultur, die Koexistenz verschiedener Kulturen und das Zusammenleben und Zusammenhalten. Dafür braucht man keine große kostspielige Armee, das übersteigt unsere Mittel und Möglichkeiten. Das Land ist heute nach all den Kriegsjahren völlig überschuldet.
Auf der anderen Seite setzt uns gerade die Mittlerfunktion und die strategische Lage dem Druck regionaler Mächte aus. Deshalb brauchen wir die internationalen Truppen: nicht nur zu unserem Schutz, sondern für den Frieden oder wenigstens die Waffenruhe in der Region.
Liminski: Wie lange sollen die Truppen und Marineverbände denn bleiben? Sie können ja nicht für immer diese strukturellen Defizite ausgleichen.
Geagea: Wenn es nach mir ginge, sollten sie so lange bleiben, wie es geht. Wenigstens ein Jahr sollte der Einsatz schon dauern, also bis nach den Präsidentschaftswahlen im Libanon, und vielleicht dann noch ein halbes Jahr, bis die Lage sich beruhigt hat und der neue Präsident unangefochten regieren kann.
Liminski: Aber selbst wenn auf dem Seeweg keine Waffen in den Libanon und zur Hisbollah gelangen, sie könnten über die libanesisch-syrische Grenze in den Bergen eingeschmuggelt werden. Dort sind keine internationalen Truppen stationiert.
Geagea: Die libanesische Regierung hat sich diesem Problem gestellt. Syrien hat daraufhin mit der Schließung der Grenzen gedroht, und damit wäre Libanon von der arabischen Welt abgeschnitten gewesen. Ich glaube, dass die libanesische Armee mit modernen elektronischen Mitteln die Grenze überwachen und den Waffenschmuggel wenigstens aufdecken und zum Teil auch verhindern kann. Die meisten der hochwertigen elektronischen Spürgeräte kommen aus Europa. Mehr sollte ich im Moment dazu nicht sagen.
Liminski: Wird Syrien Ihrer Meinung nach versuchen, die Hisbollah wieder zu stärken, um die libanesische Regierung zu schwächen?
Geagea: Die Beziehungen mit Syrien lassen sich auf ein einziges Problem zurückführen: Syrien akzeptiert nicht, dass der Libanon ein unabhängiger, souveräner Staat ist. Damaskus hält uns für einen Fehler der Geschichte, der auf das Sykes-Picot-Abkommen zwischen den damaligen Mandats- oder Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien vor rund 90 Jahren zurückgeht. Für die syrische Regierung sind wir eine Provinz mit Eigenständigkeiten, ähnlich wie Bayern in Deutschland. Auch das heutige Palästina und Jordanien sind für die syrischen Politiker Provinzen eines imaginären großsyrischen Reiches. Das heißt, Damaskus muss den Traum von einem großsyrischen Reich aufgeben, unsere Souveränität anerkennen und diplomatische Beziehungen aufnehmen. Bis dahin ist alles blockiert. Danach ist alles möglich.
Liminski: Auch eine neue Staatsform? Man hört in diesen Tagen viel von einer föderalen Struktur im Libanon. Das sei schon wegen der demografischen Entwicklung nötig.
Geagea: Eine Föderation für den Libanon, das ist nicht nötig. Wir haben das Abkommen von Taef und unsere Verfassung. Wir sind ein pluralistischer Staat. Unsere Verfasstheit ist von der Demografie unabhängig. Schauen Sie, es gibt zwei Formen von Demokratie. Die eine mit einem reinen Verhältniswahlrecht geht nur von der Zahl aus. Die andere berücksichtigt auch die Unterschiede unter den Bürgern und sucht den Konsens zwischen allen. Das ist der Fall in der Schweiz und in den USA. Dort wird jetzt gewählt. Auch im Senat werden Sitze neu bestimmt. Alaska hat zwei Senatoren und nicht mal eine Million Einwohner. Kalifornien hat auch zwei Senatoren, aber 40 Millionen. Beide Staaten haben im Senat, der alle Gesetze absegnen muss, das gleiche Gewicht. Etwas Ähnliches haben sie mit ihrem Bundesrat.
Im Libanon ist der Konsens durch den Religionsproporz institutionalisiert. Der Präsident ist maronitischer Christ, der Premierminister ein Sunnit, der Parlamentspräsident Schiit, und die Drusen sind in der Regierung vertreten. Wir brauchen keine Föderation. Unser Staat ist, wie man so schön sagt, "in the making". Dieser Staat muss vor allem stabilisiert werden.
Liminski: Sie haben vor zehn Tagen davor gewarnt, dass die Sicherheitslage im Land destabilisiert werden könnte. Danach stimmten auch Washington und Paris in diese Warnung ein. An wen richtete sich die Warnung?
Geagea: Zuerst an die Verbündeten Syriens, die prosyrischen Parteien im Libanon und dann auch an die Hisbollah. Wir rechnen aufgrund unserer Informationen mit Attentaten, Entführungen und Morden, nicht mit einem Krieg, sondern mit gewalttätigen Einzelaktionen, um die Lage im Land zu verunsichern. Das betrifft vor allem Beirut. Man will diese Regierung schwächen oder gar stürzen. Aber sie kann sich politisch auf die Mehrheit im Parlament und im Land stützen. Die Allianz des 14. März steht zu ihr. Ich hoffe, General Aoun schließt sich uns noch an, denn es handelt sich bei diesen Warnungen leider nicht um eine politische Analyse, sondern um harte Informationen der staatlichen Nachrichtendienste.
Liminski: Die Einheit des Landes zu fördern hat offenbar hohe Priorität im Programm Ihrer Allianz. Das kann man von der Hisbollah kaum behaupten. Sie erscheint eher als ein verlängerter Arm des Iran. Man hat im Südlibanon unter den Toten auch iranische Revolutionswächter gefunden. Wie kann man die Hisbollah zur libanesischen Räson bringen?
Geagea: Ich würde die Hisbollah nicht als einen verlängerten Arm des Iran bezeichnen, aber es ist klar, dass die Hisbollah eine andere Sicht hat. Sie hat eine islamistische Perspektive. Ihre Priorität ist Jerusalem. Sie nennen es die Befreiung Jerusalems. Das ist sicher keine libanesische Angelegenheit. Und klar ist auch, dass die Hisbollah sehr gut vorbereitet in diesen Krieg gegangen ist. Die Präsenz iranischer Revolutionswächter kann ich bestätigen. Aber es gibt ein Szenario, das die Hisbollah vor aller Welt auf die Probe stellen würde. Wenn die Sheba-Farmen, die zurzeit von Israel besetzt sind, von der libanesischen Armee übernommen würden, dann hätte die Hisbollah keinen Grund mehr, Übergriffe in den Norden Israels zu unternehmen. Sie wäre argumentativ entwaffnet. Sie wäre im Zugzwang und müsste auch de facto ihre Waffen abgeben. Wenn die Sheba-Farmen libanesisch wären, würde sich zeigen, wie libanesisch auch die Hisbollah oder wie islamistisch und ferngesteuert sie ist.
Liminski: Das war Samir Geagea, Chef der christlichen Partei Forces Libanaises. Das Gespräch haben wir vor ein paar Tagen im Libanon aufgenommen.
Das Interview wurde aus dem Französischen übersetzt.
Wenige Tage nach dem 14. März 2005 wurde auch Samir Geagea, der Chef der Forces Libanaises, freigelassen. Die Syrer und ihre Verbündeten hatten ihn elf Jahre lang unter fadenscheinigen Vorwänden in Einzelhaft gehalten. Er ist mittlerweile rehabilitiert und wieder an der Spitze der christlichen Partei. Vor einigen Tagen hatte ich Gelegenheit, ihn im Libanon zu treffen. Auf die Frage, wie er die Präsenz deutscher Schiffe vor der Küste beurteile und ob dies überhaupt sinnvoll sei, sagte er.
Samir Geagea: Diese Präsenz ist nicht nur sinnvoll. Sie ist absolut notwendig für unser Land. Bedenken Sie: Der Libanon hat nicht die Tradition einer starken Armee wie andere Länder in der Region. Wir sind ein kleines Land mit begrenzten Ressourcen. Unsere Stärke ist die Kultur, die Koexistenz verschiedener Kulturen und das Zusammenleben und Zusammenhalten. Dafür braucht man keine große kostspielige Armee, das übersteigt unsere Mittel und Möglichkeiten. Das Land ist heute nach all den Kriegsjahren völlig überschuldet.
Auf der anderen Seite setzt uns gerade die Mittlerfunktion und die strategische Lage dem Druck regionaler Mächte aus. Deshalb brauchen wir die internationalen Truppen: nicht nur zu unserem Schutz, sondern für den Frieden oder wenigstens die Waffenruhe in der Region.
Liminski: Wie lange sollen die Truppen und Marineverbände denn bleiben? Sie können ja nicht für immer diese strukturellen Defizite ausgleichen.
Geagea: Wenn es nach mir ginge, sollten sie so lange bleiben, wie es geht. Wenigstens ein Jahr sollte der Einsatz schon dauern, also bis nach den Präsidentschaftswahlen im Libanon, und vielleicht dann noch ein halbes Jahr, bis die Lage sich beruhigt hat und der neue Präsident unangefochten regieren kann.
Liminski: Aber selbst wenn auf dem Seeweg keine Waffen in den Libanon und zur Hisbollah gelangen, sie könnten über die libanesisch-syrische Grenze in den Bergen eingeschmuggelt werden. Dort sind keine internationalen Truppen stationiert.
Geagea: Die libanesische Regierung hat sich diesem Problem gestellt. Syrien hat daraufhin mit der Schließung der Grenzen gedroht, und damit wäre Libanon von der arabischen Welt abgeschnitten gewesen. Ich glaube, dass die libanesische Armee mit modernen elektronischen Mitteln die Grenze überwachen und den Waffenschmuggel wenigstens aufdecken und zum Teil auch verhindern kann. Die meisten der hochwertigen elektronischen Spürgeräte kommen aus Europa. Mehr sollte ich im Moment dazu nicht sagen.
Liminski: Wird Syrien Ihrer Meinung nach versuchen, die Hisbollah wieder zu stärken, um die libanesische Regierung zu schwächen?
Geagea: Die Beziehungen mit Syrien lassen sich auf ein einziges Problem zurückführen: Syrien akzeptiert nicht, dass der Libanon ein unabhängiger, souveräner Staat ist. Damaskus hält uns für einen Fehler der Geschichte, der auf das Sykes-Picot-Abkommen zwischen den damaligen Mandats- oder Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien vor rund 90 Jahren zurückgeht. Für die syrische Regierung sind wir eine Provinz mit Eigenständigkeiten, ähnlich wie Bayern in Deutschland. Auch das heutige Palästina und Jordanien sind für die syrischen Politiker Provinzen eines imaginären großsyrischen Reiches. Das heißt, Damaskus muss den Traum von einem großsyrischen Reich aufgeben, unsere Souveränität anerkennen und diplomatische Beziehungen aufnehmen. Bis dahin ist alles blockiert. Danach ist alles möglich.
Liminski: Auch eine neue Staatsform? Man hört in diesen Tagen viel von einer föderalen Struktur im Libanon. Das sei schon wegen der demografischen Entwicklung nötig.
Geagea: Eine Föderation für den Libanon, das ist nicht nötig. Wir haben das Abkommen von Taef und unsere Verfassung. Wir sind ein pluralistischer Staat. Unsere Verfasstheit ist von der Demografie unabhängig. Schauen Sie, es gibt zwei Formen von Demokratie. Die eine mit einem reinen Verhältniswahlrecht geht nur von der Zahl aus. Die andere berücksichtigt auch die Unterschiede unter den Bürgern und sucht den Konsens zwischen allen. Das ist der Fall in der Schweiz und in den USA. Dort wird jetzt gewählt. Auch im Senat werden Sitze neu bestimmt. Alaska hat zwei Senatoren und nicht mal eine Million Einwohner. Kalifornien hat auch zwei Senatoren, aber 40 Millionen. Beide Staaten haben im Senat, der alle Gesetze absegnen muss, das gleiche Gewicht. Etwas Ähnliches haben sie mit ihrem Bundesrat.
Im Libanon ist der Konsens durch den Religionsproporz institutionalisiert. Der Präsident ist maronitischer Christ, der Premierminister ein Sunnit, der Parlamentspräsident Schiit, und die Drusen sind in der Regierung vertreten. Wir brauchen keine Föderation. Unser Staat ist, wie man so schön sagt, "in the making". Dieser Staat muss vor allem stabilisiert werden.
Liminski: Sie haben vor zehn Tagen davor gewarnt, dass die Sicherheitslage im Land destabilisiert werden könnte. Danach stimmten auch Washington und Paris in diese Warnung ein. An wen richtete sich die Warnung?
Geagea: Zuerst an die Verbündeten Syriens, die prosyrischen Parteien im Libanon und dann auch an die Hisbollah. Wir rechnen aufgrund unserer Informationen mit Attentaten, Entführungen und Morden, nicht mit einem Krieg, sondern mit gewalttätigen Einzelaktionen, um die Lage im Land zu verunsichern. Das betrifft vor allem Beirut. Man will diese Regierung schwächen oder gar stürzen. Aber sie kann sich politisch auf die Mehrheit im Parlament und im Land stützen. Die Allianz des 14. März steht zu ihr. Ich hoffe, General Aoun schließt sich uns noch an, denn es handelt sich bei diesen Warnungen leider nicht um eine politische Analyse, sondern um harte Informationen der staatlichen Nachrichtendienste.
Liminski: Die Einheit des Landes zu fördern hat offenbar hohe Priorität im Programm Ihrer Allianz. Das kann man von der Hisbollah kaum behaupten. Sie erscheint eher als ein verlängerter Arm des Iran. Man hat im Südlibanon unter den Toten auch iranische Revolutionswächter gefunden. Wie kann man die Hisbollah zur libanesischen Räson bringen?
Geagea: Ich würde die Hisbollah nicht als einen verlängerten Arm des Iran bezeichnen, aber es ist klar, dass die Hisbollah eine andere Sicht hat. Sie hat eine islamistische Perspektive. Ihre Priorität ist Jerusalem. Sie nennen es die Befreiung Jerusalems. Das ist sicher keine libanesische Angelegenheit. Und klar ist auch, dass die Hisbollah sehr gut vorbereitet in diesen Krieg gegangen ist. Die Präsenz iranischer Revolutionswächter kann ich bestätigen. Aber es gibt ein Szenario, das die Hisbollah vor aller Welt auf die Probe stellen würde. Wenn die Sheba-Farmen, die zurzeit von Israel besetzt sind, von der libanesischen Armee übernommen würden, dann hätte die Hisbollah keinen Grund mehr, Übergriffe in den Norden Israels zu unternehmen. Sie wäre argumentativ entwaffnet. Sie wäre im Zugzwang und müsste auch de facto ihre Waffen abgeben. Wenn die Sheba-Farmen libanesisch wären, würde sich zeigen, wie libanesisch auch die Hisbollah oder wie islamistisch und ferngesteuert sie ist.
Liminski: Das war Samir Geagea, Chef der christlichen Partei Forces Libanaises. Das Gespräch haben wir vor ein paar Tagen im Libanon aufgenommen.
Das Interview wurde aus dem Französischen übersetzt.