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Anschlag auf "Charlie Hebdo"
Polizei fahndet weiter nach Tätern

Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" sind die beiden Hauptverdächtigen weiter auf der Flucht. Sie sollen im Norden Frankreichs rund 80 Kilometer nordöstlich von Paris bei einem Tankstellenüberfall erkannt worden sein.

08.01.2015
    Ein bewaffneter Polizist steht in Paris vor einer Häuserzeile.
    Die französische Polizei sucht weiter nach den mutmaßlichen Tätern des Anschlags auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo". (picture alliance / dpa / Simone Perolari)
    Über die aktuelle Entwicklung informieren Sie die Deutschlandfunk-Nachrichten.
    Der Besitzer der Tankstelle, auf die der Überfall verübt wurde, habe die maskierten und bewaffneten Männer eindeutig identifiziert, berichteten französische Medien unter Berufung auf Ermittler. Die Ermittler konzentrierten sich bei der Suche daraufhin auf das Gebiet in der nordfranzösischen Region Picardie. Die höchste Terrorwarnstufe wurde vom Großraum Paris auf Picardie ausgedehnt.
    Die Hauptverdächtigen seien den Sicherheitsbehörden bereits seit längerem bekannt gewesen, sagte Korrespondentin Ursula Welter im Deutschlandfunk. Es handele sich um zwei Brüder, die mit Dschihadisten-Kreisen in Verbindung gebracht würden. Ein Augenzeugenbericht deute darauf hin, dass die Männer schwer bewaffnet wieder nach Paris unterwegs sein könnten - "entschlossen vielleicht zu weiteren Taten", so Welter. Die Situation rund um die Hauptstadt sei "sehr aufgeladen".
    Aus dem Umfeld der beiden dringend Tatverdächtigen wurden neun Personen in Gewahrsam genommen. Premierminister Manuel Valls sagte dem Radiosender RTL, dass die Angreifer "ohne Zweifel von Polizei und Justiz verfolgt" würden, dass aber ein Restrisiko für die Bevölkerung bleibe. Valls schrieb auf Twitter: "Die einzige Antwort auf die Barbarei ist der universelle Schrei Frankreichs, der Schrei nach Freiheit."
    Schweigeminute für die Opfer
    Mit Glockengeläut und einer Schweigeminute wurde in Frankreich am Mittag der Opfer des Anschlags gedacht. Zehntausende versammelten sich um 12 Uhr auf öffentlichen Plätzen. Staatspräsident François Hollande, der einen nationalen Trauertag ausgerufen hatte, nahm an einer Gedenkzeremonie im Hof der Polizeipräfektur in Paris teil.
    Bei einem Krisentreffen zahlreicher Islam-Organisationen in Paris forderten deren Vertreter alle Muslime Frankreichs auf, beim Freitagsgebet eine Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags abzuhalten. Ein französischer Islamgelehrter rief seine Glaubensbrüder am Rande einer interreligiösen Begegnung mit dem Papst in Rom zu Massendemonstrationen gegen den Terrorismus auf.
    Le Pen fordert Einführung der Todesstrafe
    Die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen bekräftige ihre Forderung nach einer Einführung der Todesstrafe. Im Fall ihrer Wahl zur Staatschefin plane sie ein Referendum zu der Frage, erklärte die Vorsitzende der Partei Front National einem Fernsehinterview. Sie selbst befürworte eine Einführung der Todesstrafe, um damit "die abscheulichsten Verbrechen" ahnden zu können, sagte Le Pen.
    Auch in Deutschland fühlen sich rechte Politiker und Gruppierungen wie Pegida durch den Anschlag auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" in ihren Vorbehalten gegen den Islam bestätigt.
    Bundeskanzlerin Merkel wies pauschale Vorwürfe gegen Muslime zurück. "Was das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland anbelangt, so haben wir mit der überübergroßen Mehrheit der Muslime in Deutschland ein sehr gutes Verhältnis", sagte Merkel in Berlin. Es gebe jedoch auch in Deutschland vereinzelte Kräfte, die sich Dschihadisten angeschlossen hätten. Daher müssten die Sicherheitsmaßnahmen entsprechend aufrecht erhalten werden. Als Zeichen der Solidarität mit Frankreich setzten sämtliche Bundesbehörden ihre Fahnen auf Halbmast.
    Neue Art des Terrorismus
    Nach Ansicht des früheren CIA-Chefs Michael Hayden deutet der Anschlag auf "Charlie Hebdo" auf eine neue Art des Terrorismus' hin. Die Täter nähmen offenbar kleinere Ziele ins Visier, bei denen sie schnell zuschlügen. Hier zeige sich ein immer professionelleres Vorgehen, sagte Hayden dem Sender NBC.
    Gestern Vormittag waren insgesamt drei vermummte und bewaffnete Männer in die Redaktion von "Charlie Hebdo" in Paris eingedrungen und hatten dort gezielt zwölf Menschen erschossen. Nach der Tat riefen die Attentäter laut Augenzeugen "Wir haben den Propheten gerächt" und "Wir haben Charlie Hebdo getötet". Unter den Todesopfern war der Chefredakteur Stéphane Charbonnier. Weitere elf Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schweben noch in Lebensgefahr. Offenbar in Reaktion auf den Anschlag waren in der vergangenen Nacht mehrere islamische Einrichtungen in Frankreich attackiert worden. Verletzt wurde niemand.
    Heute griff ein Mann im Süden von Paris mit einem Maschinengewehr Polizisten an. Eine Polizistin starb an ihren Verletzungen, ein Mitarbeiter der Stadtreinigung ist noch in Lebensgefahr. Ob der Angriff mit dem gestrigen Anschlag zusammenhängt, war unklar. Inzwischen erklärte Innenminister Bernard Cazeneuve, nach derzeitigem Ermittlungsstand gebe es keinen Zusammenhang.
    Am Abend nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" versammelten sich in vielen europäischen Städten Tausende Menschen zu Solidaritätskundgebungen unter dem Motto "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie), darunter 5.000 vor der französischen Botschaft in Berlin. Weltweit drückten Karikaturisten ihre Trauer um ihre toten Kollegen mit Zeichnungen aus. Führende Politiker verurteilten die Bluttat als Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit.
    Die öffentlichen Medien "France Télévisions" und "Radio France" sowie die Tageszeitung "Le Monde" boten "Charlie Hebdo" materielle und personelle Hilfe an, damit das Satiremagazin weiter erscheinen kann.
    (kis/nin)