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Anschlag in der Türkei
Erdogan sieht Verschwörung verfeindeter Terrororganisationen

Für den Anschlag in Gaziantep mit 51 Toten macht der türkische Präsident Erdogan die Terrormiliz IS verantwortlich. Ein 12 bis 14 Jahre altes Kind habe den Selbstmordanschlag begangen. Erdogan sieht eine Verschwörung gegen die Türkei. Die miteinander verfeindeten Gruppen IS, PKK und die Gülen-Bewegung würden gemeinsam sein Land angreifen.

Von Thomas Bormann | 21.08.2016
    Ein grüner Sarg mit einer darübergelegten Fahne wird von einer Gruppe von Menschen in die Höhe gehalten
    Bei der Beerdigung eines Todesopfers in Gaziantep tragen Menschen den Sarg des Opfers auf ihren Händen. (AFP / Ilyas Akengin)
    In der südtürkischen Millionenstadt Gaziantep trauern die Angehörigen um die Opfer des Terroranschlags. Viele Särge stehen aufgebahrt auf einem Platz im Stadtteil Bahcebey. Die Menschen sind erschüttert. Aus den Nachrichten hören sie, dass der Selbstmordattentäter noch ein Kind war, etwa 12 bis 14 Jahre alt, und dass er wohl im Auftrag der Terrormiliz IS die Bombe gezündet habe.
    Plötzlich mischen sich in die Trauer Buh-Rufe, die trauernde Menge ist wütend. Dann Sprechchöre: "Mörder Erdogan", rufen die Angehörigen. Sie machen Staatspräsident Erdogan mitverantwortlich für diesen Anschlag. Die Trauernden sind sicher: Der Selbstmordattentäter hatte ganz bewusst die Hochzeitsfeier einer kurdischen Familie angegriffen, die sich politisch engagiert; einige Familienmitglieder gehören der pro-kurdischen Partei HDP an.
    Die Kurden, die hier trauern, fühlen sich von Präsident Erdogan und der türkischen Regierung im Stich gelassen. Deshalb die Protestrufe. Die pro-kurdische HDP hat heute Nachmittag in einer Erkärung der Regierung vorgeworfen, sie habe Warnungen vor Terroranschlägen durch den IS ignoriert. Vielmehr habe die Regierungspartei AKP tatenlos zugesehen, wie sich die Terrormiliz IS gerade in der grenznahen Stadt Gaziantep ausbreite. Die Terrormiliz IS hatte schon mehrfach gezielt Anschläge gegen Kurden in der Türkei verübt.
    Angehörige finden Streit unerträglich
    Präsident Erdogan freilich interpretiert das Selbstmordattentat der vergangenen Nacht völlig anders. Er vermutet zwar auch, dass die Terrormiliz IS hinter diesem Anschlag steckt. Aber er zieht gleichzeitig eine Verbindung zur kurdischen PKK und zur Gülen-Bewegung, die für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich gemacht wird. Präsident Erdogan heute Nachmittag:
    "Die Türkei ist einem Angriff ausgesetzt, der immer demselben Ziel folgt, auch wenn die Anschläge von unterschiedlichen Terrororganisationen ausgehen. Die Terrororganisationen stehen in engen Beziehungen zueinander. Am 15. Juli hatte die Fethullah-Gülen-Terrororganisation unser Volk angegriffen. Aber ohne Erfolg. Deswegen haben die anderen Terrororganisationen nun die Aufgabe übernommen."
    Erdogan konstruiert einen Zusammenhang, als hätten sich die miteinander verfeindeten Terrororganisationen miteinander verschworen - zum Angriff auf die Türkei.
    Für die Angehörigen, die in Gaziantep trauern, ist dieser Streit unerträglich. Einer von ihnen sagt:
    "Es schmerzt immer, wenn jemand stirbt. Besonders schmerzhaft ist es aber, wenn in diesen sinnlosen Tod auch noch die Religion und dann sogar noch die Politik mit hineingebracht werden. Unsere Angehörigen, die hier getötet wurden, waren doch unschuldig. Unser Schmerz ist groß. Wir leiden alle."
    Der Terroranschlag von Gaziantep mit mehr als 50 Toten zeigt somit einmal mehr, welch ein Riss sich durch die türkische Gesellschaft zieht.