Freitag, 19. April 2024

Archiv

Anschlag in Peschawar
Pakistans fragwürdiges Verhältnis zur Taliban

Mehr als 140 Menschen starben beim Taliban-Massaker an einer Schule im pakistanischen Peschawar. Die Angehörigen der Opfer fordern Aufklärung. Ob sie die bekommen, scheint fraglich. Es gibt Indizien, die auf eine Zusammenarbeit der Regierung mit den Taliban hinweisen.

Von Jürgen Webermann | 20.12.2014
    Trauernde zünden im pakistanischen Quetta Kerzen für die Opfer eines Anschlags auf eine Schule an.
    Trauernde zünden Kerzen für die Opfer des Anschlags auf eine Schule an. (pa/dpa/Akber)
    Vor der Roten Moschee in Pakistans Hauptstadt Islamabad protestieren sie, es sind vielleicht einige Hundert, die gekommen sind und Kerzen angezündet haben, wenige Tage nach dem Massaker an der Armeeschule von Peschawar. Die Rote Moschee liegt im Herzen der pakistanischen Hauptstadt, sie gilt als Hort des Extremismus. Sie rufen Parolen gegen Abdul Aziz, den Vorsteher der Moschee. Denn in seiner Koranschule haben viele junge Männer gelernt, die später zu Führern der Taliban werden sollten. Aziz hat dem ARD-Hörfunkstudio Südasien noch im November Einblicke in seine Gedankenwelt gegeben. Zum Beispiel zum Thema Osama bin Laden:
    "Er ist ein wahrhaftiger Kämpfer für den Islam. Es sind die Amerikaner, die ihn Terrorist nennen. Der Heilige Krieg steht nicht für Aggression. Sondern dafür, sich gegen einen Unterdrücker zu wehren. Sagen Sie mir: Sind Iraker und Afghanen aufgebrochen, um anderswo Bomben abzuwerfen? Es sind Amerikaner, die tausende Kilometer reisen, um Völker zu bombardieren und Länder zu besetzen. Die Mudschaheddin reagieren nur auf diese Verbrechen."
    Proteste vor Moschee
    Dass Abdul Aziz sein Gedankengut so offen mitten in der Hauptstadt verbreiten kann, stört zumindest diejenigen, die vor seiner Moschee protestieren.
    "Gehen Sie zu Politikern wie Imran Khan oder Premierminister Sharif. Zu allen. Sie haben alle eine Liste von Taliban-Kommandeuren und wissen genau, wo diese sind. Die Politiker müssen endlich aufhören, diese Leute zu decken!"
    Ein gewaltiger Vorwurf, der aber nicht neu ist. Die zivile Regierung gilt danach als eher schwach in Pakistan. Die Armee und ihr mächtiger Geheimdienst ISI ziehen dem Vorwurf zufolge die Fäden in einem sehr komplizierten Spiel. Es hat zu tun mit dem Erzfeind Indien, mit dem Kampf um Einfluss in Afghanistan und mit dem äußerst schwierigen Verhältnis zu Amerika.
    Kooperation mit Taliban?
    Drei Beispiele: Die USA hatten Anfang Dezember eine Milliarde Dollar für die pakistanische Armee frei gegeben. Zwei Tage später erschossen pakistanische Militärs einen hochrangigen Al Kaida-Terroristen – seinen Kopf hatten die Amerikaner jedoch schon seit Langem gefordert.
    Ein angeblicher Anführer der Terrorgruppe, die 2008 die indische Stadt Mumbai angegriffen hat, zeigt sich in Pakistan zudem in aller Öffentlichkeit. Er wird beschützt von der Polizei. International ist er zur Fahndung ausgeschrieben.
    Und in Afghanistan wiederum berichteten jahrelang entsetzte amerikanische Soldaten, dass sich die Extremisten vor ihren Augen über die Grenze nach Pakistan retteten – beschützt von den pakistanischen Grenztruppen. Die damalige US-Außenministerin Clinton verlor vor drei Jahren während eines Besuchs in Pakistan die Geduld.
    "Sie können sich keine Schlangen im Hinterhof halten und glauben, die beißen nur Ihre Nachbarn. Wir brauchen mehr Kooperation auf der pakistanischen Seite."
    Taliban retten sich nach Afghanistan
    Seit dem Sommer, so scheint es, geht die Armee in einer Offensive entschlossener gegen die Taliban vor. Doch aus Afghanistan wurde der nächste Vorwurf laut: Aus dem Präsidentenpalast in Kabul hieß es, einige Talibangruppen seien vorgewarnt worden – und hätten sich rechtzeitig nach Afghanistan retten können. In der schwer zugänglichen Grenzregion hat die afghanische Regierung nur wenig Zugriff auf die Extremisten. Von dort aus griffen Taliban auch in diesem Jahr mehrere afghanische Provinzen an.
    Auch die Hintermänner des Massakers von Peschawar sollen von der afghanischen Seite der Grenze operiert haben, das erklärte wiederum die pakistanische Armee.
    Dass der Feind im Innern lauert, daran scheinen einige Pakistaner aber nicht zu glauben, und auch nicht, dass die eigene Armee Terrorgruppen zumindest geduldet hat. Auch in der Stadt Lahore gedenken Demonstranten der Opfer des Anschlags von Peschawar. Aber für diesen Unternehmer aus Lahore sind die Schuldigen ganz andere: Amerika und Indien.
    "Die Terroristen sind Agenten Amerikas und des indischen Geheimdienstes. Alle Pakistaner sollten gegen sie aufstehen. Wir werden diese Terroristen bis zu unserem letzten Atemzug bekämpfen."
    Dann rufen er und seine Mitstreiter: Lang lebe die Armee.