Doch gerade die unnachgiebige Haltung der Lobbyisten, wie sie zum Beispiel beim Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst oder beim Streit um die Gesundheitsreform zu Tage tritt, könnte einer der Gründe sein, warum Interessenvertreter ihr Ansehen in der Öffentlichkeit verlieren. So ist der grüne Bundestagsabgeordnete Matthias Berninger überzeugt, dass die Gewerkschaften besser sind als ihre Ruf, genau dies aber nicht vermitteln können. Er sagt:
Es gibt einen Unterschied zwischen der Rhetorik nach außen und dem was die Gewerkschaftler machen. Nehmen sie die IG Metall. Das ist eine der pragmatischsten Industriegewerkschaften der Welt, die viele hervorragende Abschlüsse in einzelnen Unternehmen hingekriegt hat, die Arbeitsplätze sichern, und kaschiert das mit einer absoluten Revolutionsrhetorik nach außen. Das ist das eine Gesicht der Gewerkschaft. Und das andere Gesicht ist das, das ganz hart Grundsatzreformen verhindert. Das halte ich für unklug, weil ich glaube, auf Dauer sinkt so der Einfluss. Der Einfluss würde bei den Menschen, glaube ich, steigen, wenn deutlich würde, wie viel positive Impulse die Gewerkschaft aufbringen kann. Mein Eindruck ist: Die IG-Metall hat da ein großes Potential, lässt das aber in der täglichen Auseinandersetzung, in dieser Säbelrasselrhetorik völlig unter der Decke.
Matthias Berninger ist nicht der einzige, der den Interessenvertretern raten möchte, sich zu ihrem eigenen Wohl zu verändern. "Sich wandeln, um zu erhalten" – diese Losung hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Diskussion um die Agenda 2010 für seine Partei, für die SPD, ausgegeben. Schon da hatte er es auf ein hartes Tauziehen mit den Gewerkschaften ankommen lassen. Wenig später forderte er sie auf, Reformen anzugehen. Die Gewerkschaften seien in der gleichen Situation wie die SPD. Sie müssten eine neue Balance zwischen Freiheit und Solidarität in ihren Programmen finden.
Selbst Gewerkschaftskollegen aus dem Ausland haben die deutschen Interessenvertreter übrigens unlängst als zu kompromisslos kritisiert. Genau diesen Vorwurf wollen die hiesigen Gewerkschaften allerdings nicht stehen lassen. Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Ursula Engelen-Kefer erklärt:
Ich kenne ja die Vorwürfe, die wir tagtäglich in den Zeitungen lesen. Ich kann mich nur sehr wundern. Gewerkschaften sind ja nicht irgendeine Institution, sondern eine Bewegung, die Arbeitnehmerinteressen zu vertreten hat. Und wir werden daran gemessen, ob wir sie wirksam vertreten können. Und ich habe jetzt in letzter Zeit den Eindruck: Da wo man dann tatsächlich Erfolge hat, ist die andere Seite so beleidigt, das sie trotzig dann in die Reaktion ausweicht, alle zu beschimpfen, die sich erfolgreich für Arbeitnehmerinteressen einsetzen, sie seien Betonköpfe. Das ist sehr durchsichtig.
s ist eine demokratische Grundaufgabe von Lobbyisten, die Interessen ihrer Klientel effektiv zu vertreten. Bei der repräsentativen Demokratie kann nicht jeder einzelne Bürger seine Meinung in den politischen Entscheidungsprozess einbringen. Lobbyisten sollen gewährleisten, dass die Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen trotzdem zu Wort kommen.
Diese wichtige und aktive Rolle, politische Entscheidungen gerecht zu gestalten, gestehen die Regierenden den Interessenvertretern noch nicht allzu lange zu. Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts hatten die Interessenvertreter kein offizielles Mitspracherecht. Sie waren allein auf die Macht ihres organisierten Kampfes angewiesen. Doch der Politikwissenschaftler Martin Sebaldt ist überzeugt, dass die deutsche Politik heute ohne die Impulse der Interessenvertreter gar nicht mehr gestaltend tätig werden könnte:
Die Masse der inhaltlichen Bestimmungen von Gesetzten geht seit Jahrzehnten auf die Eingaben von Interessengruppen zurück. Beispielsweise ist die moderne Umweltgesetzgebung, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, ohne die permanenten Eingebungen der sich formierenden Umweltbewegung gar nicht denkbar. Zum zweiten sind auch die detaillierten Bestimmungen zum Kündigungsschutz, oder auch zu den Sicherheitsbestimmungen am Arbeitsplatz ohne die präzisen Eingaben der verschiedenen Gewerkschaften auch nicht denkbar. Kurzum: Diejenigen, die ein Problem am meisten betrifft, die sich in der Regel ja in Interessengruppen organisieren, sind dann in der Regel auch diejenigen, die präzise Wünsche an die Politik äußern, welche dann in den Gesetzen auch aufscheinen.
Dennoch ist es kein reiner Populismus, wenn Politiker und die Öffentlichkeit das Verhalten der Lobbyisten kritisieren. Matthias Berninger war früher Mitglied des Haushaltsausschusses des Bundestages und ist jetzt Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. In beiden Positionen hat er das Verhalten der Lobbyisten im Detail kennen gelernt. Er erinnert sich:
Na ja, zum Beispiel der deutsche Bauernverband ist natürlich sehr laut. Der Bauerntag in Cottbus im Jahre 1999, dort hat man den Bundeskanzler praktisch nicht zu Wort kommen lassen, hat sehr laut und nach einem, glaube ich, sehr veralteten Prinzip Lobby gemacht. Weil da hat eine Interessengruppe untereinander sich gegenseitig versichert, wie recht sie haben. Aber der Kanzler hat gesagt, na und die Bauern haben mich früher nicht gewählt, sie werden mich in Zukunft nicht wählen, also kein Einfluss. Eine andere Lobby, die wesentlich leiser ist, ist zum Beispiel die Vertretung der Lebensmittelindustrie. Das ist ja ein florierender Wirtschaftszweig, viele Milliarden Euro Umsatz, einer der größten Wirtschaftszweige in Deutschland. Die sind viel lautloser und versuchen mit ihren Experten die Politik zu beeinflussen. Es kann zum Teil so funktionieren, dass sie unterhalb der politischen Führung eines Hauses versuchen, mit der Fachebene Positionen zu fixieren, die zu ihrem Nutzen sind, mitunter nicht unbedingt zum Nutzen der Verbraucher.
Lobbyismus ist schon längst nicht mehr allein die Sache von Unternehmern, Arbeitnehmern und gewissen Berufsständen, wie es früher der Fall war. Die Zahl der Interessengruppen steigt ständig. Viele Nichtregierungsorganisationen und verschiedene Bürgerinitiativen haben erkannt, wie wichtig es ist, einen direkten Draht zur politischen Entscheidungsebene zu pflegen. Befriedigende Kompromisse zu finden, wird dadurch immer schwieriger. Wenn in dieser Situation verdeckter Lobbyeinfluss hinzukommt, ist die demokratische Legitimation von Entscheidungen nicht mehr gesichert. Um das zu verhindern, hat das Verbraucherministerium bei der letzten Agrarreform versucht, alle wichtigen Interessengruppen einzubeziehen. Bei den Verhandlungen waren Bauern, Futtermittelhersteller, die Lebensmittelindustrie, der Einzelhandel und die Verbraucher vertreten. Matthias Berninger:
Diese Form von Transparenz erschwert dann den verdeckten Lobbyeinfluss. Und der verdeckte Lobbyeinfluss, der auf leisen Sohlen daherkommt, ist nach meinen Erfahrungen der gefährlichste, weil er häufig unbemerkt bleibt und weil er vor allem deshalb auf leisen Sohlen daherkommt, weil er bestimmte Dinge verteidigen will, für die die Allgemeinheit weniger Verständnis hat. Wir haben auch mit allen Beteiligten Gespräche geführt, sowohl vor als auch nach der Wahl. Wir sind auch nicht nachtragend, dass der Bauernverband zum Teil in Großplakataktionen dafür geworben hat, dass man jetzt die CDU wählen soll. Das hat eben nichts genutzt. Der Bauernverband repräsentiert 400.000 Bauern, kann aber heute mit seiner Lobbymacht keine Politik mehr gegen 70-80 Millionen Verbraucher durchsetzen. Das ist ein Trugschluss der Lobby. Ihre alte Wirkung, die sie auf die Union hatte, ist heute nicht mehr gegeben. Wir setzen uns trotzdem mit allen Beteiligten zusammen. Unser Ziel der Politik im Umgang mit Lobbyisten und Interessenvertreter ist es, dass deren Einfluss transparent und in geordneten Bahnen verläuft.
Was wir nicht wollen, ist, dass vorbei am Parlament, vorbei an der politischen Leitung eines Hauses Lobbyisten Einfluss nehmen auf das Gesetzgebungsverfahren und ihre Interessen durchsetzen in einer Art und Weise, die für das Gemeinwohl nicht sonderlich zuträglich ist.
Allerdings hat es in den letzten Jahrzehnten schon viele Versuche gegeben, das Spiel von Interessen und Macht in der Politik durchsichtiger und gerechter zu gestalten. So muss sich jeder Verband, der beim Bundestag angehört werden will, offiziell in einer Lobbyliste registrieren lassen. Die Geschäftsordnung der Bundesministerien regelt darüber hinaus die Art und Weise, wie Interessengruppen beim Gesetzgebungsprozess einbezogen werden. Beiräte sollen den Mitbestimmungsprozess formalisieren. Dennoch gibt es viele Negativbeispiele von Lobbyismus. Martin Sebaldt zweifelt daher, ob solche Maßnahmen überhaupt erfolgreich sein können.
Natürlich ist da das Problem, dass Verbände nicht gleichmäßig berücksichtigt werden. Liegt auch daran, dass neu gegründete Verbände erst eine gewisse Zeit brauchen, um prominent genug zu werden, um in den Einladungsverteiler für solche Anhörungen zu kommen. Das ist ein Strukturproblem, mit dem vor allem neue Verbände zu kämpfen haben. Da liegt es vor allem an den Verbänden selbst, durch entsprechende öffentlich wirksame Maßnahmen sich diese Einladung quasi zu erstreiten. Ein klassisches Beispiel, wo das mittlerweile erfolgreich war, sind die Verbraucherverbände, die früher auch das Problem hatten, nicht eingeladen zu werden, sich heute aber vor derlei Einladung kaum noch retten können. Die andere Frage ist aber die, in wieweit eine rechtliche Bestimmung überhaupt sicher stellen kann, dass sich Inhalte gleichgewichtig in Referentenentwürfen niederschlagen. Zu glauben, dass man das vorgeben könne, ist sehr optimistisch. Interessenvertretung ist über weite Strecken per Definition eine informell ablaufende Tätigkeit. Man greift zum Telefon, trifft sich bei einer Veranstaltung. Zu glauben, dass man mit rechtlichen Bestimmungen dies regeln könnte, geht fehl.
Ob man Lobbyisten offen und gleich behandelt, ist für den Politikwissenschaftler nicht die wichtigste Frage. Welche gesellschaftlichen Aufgaben man ihnen überträgt und was man von ihnen erwartet, hält er dagegen für viel entscheidender. So übernehmen die großen Interessengruppen wichtige Funktionen bei der Selbstverwaltung verschiedener öffentlicher Organe. Im Verwaltungsrat von Krankenkassen beispielsweise sitzen Vertreter von Gewerkschaften, Unternehmer- und Verbraucherverbänden. Sie handeln wichtige Regelungen, wie Versicherungstarife, Preise und Leistungsstandards gemeinsam aus und entlasten so den Staat von Verwaltungsfunktionen.
Gerade in den letzten Jahren neigen die Regierenden nun aber dazu, den Interessenvertretern immer mehr solcher Regelungsaufgaben zu übertragen. Beispiele dafür sind das Bündnis für Arbeit oder die zahlreichen Expertenkommissionen im Bereich der Sozialsysteme. Die Lobbyisten sind damit jedoch überfordert. Martin Sebaldt:
Sagen wir mal so: Sie sind in einem gewissen Zweispalt. Weil sie natürlich auf der einen Seite, wenn sie diese Selbstverwaltungsfunktion wahrnehmen, dies natürlich unparteiisch sollen – sprich sie treten ein in Aufgaben, die eine Verwaltung ansonsten machen müsste. Sprich er muss aus seiner klassischen Rolle als Interessenvertreter heraustreten. Das ist im Regelfall aber nicht möglich, weil natürlich ein Interessenvertreter, der sozusagen in einer solchen Körperschaft tätig wird, bildlich gesprochen seinen anderen Hut als Verbandsvertreter aufbehält und natürlich regelmäßig auch versucht ist, im Rahmen dieser Tätigkeit die Positionen seines Verbandes zu stärken. Und natürlich resultiert dadurch auch, dass solche Selbstverwaltungskörperschaften neben ihrer klassischen Funktion immer auch eine Interessenvertretungsfunktion dadurch bekommen.
Wie negativ dieser Rollenkonflikt auf die Interessengruppen zurückschlagen kann, zeigt beispielsweise die seit Monaten geführte Diskussion um die Gesundheitsreform. Hier versuchen Gewerkschaften, Verbraucherverbände und Kirchen genauso Einfluss zu nehmen wie etwa die Vertreter der Ärzteorganisationen, die Pharmaindustrie oder Apotheken. Einer der strittigen Punkte war und ist das Monopol der kassenärztlichen Vereinigung.
In Deutschland handelt nicht jeder einzelne Arzt sondern die kassenärztlichen Vereinigungen als Vertreter der Ärzteschaft die Honorare zwischen Ärzten und Krankenkassen aus und übernehmen die monatlichen Abrechnungen. Denn – so die Argumentation der Ärzte-Lobbyisten - es gibt mehrere Hundert verschiedene Krankenkassen. Die Ärzte hätten keine Zeit, mit jedem von ihnen einzelne Verträge auszuhandeln. Darüber hinaus fühlten sich die Ärzte auch nicht stark genug, als Einzelkämpfer mit den großen und mächtigen Krankenkassen zu verhandeln. Die Kassenärztliche Vereinigung übernimmt in dieser Hinsicht also annäherungsweise die Funktion einer Gewerkschaft. Doch der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB möchte dieses Verhandlungsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen aufweichen. Die stellvertretende Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer erklärt:
Natürlich kann man die Kollektivverträge nicht völlig ersetzen. In jedem Fall steht im Vordergrund die Aufrechterhaltung des Versorgungsauftrages für die Patienten. Die können nicht warten, bis irgendwann einmal eine Verhandlung stattgefunden hat. Die müssen versorgt werden. Und das muss im Vordergrund stehen. Aber das kann man nicht mehr dem Monopol der Kassenärztlichen Vereinigung überlassen wie bisher. Sondern die Krankenkassen, die ja die Finanzierung aufbringen müssen über die Beitragszahler, die müssen in der Lage sein, das Geschehen auch selber stärker beeinflussen zu können. Also wenn es zum Beispiel in Ärztepraxen gelingt, eine vernünftigere Gesundheitsleistung, auch eine vernetztere Gesundheitsleistung anzubieten, womit man dann ja auch wieder Kosten einsparen kann und gesundheitliche Belastungen für den Patienten. Dann muss das in den Fordergrund gestellt werden. Oder wenn feststeht, dass bestimmte Ärzte die Leistungen nicht erbringen oder nur zu besonders hohen Kosten, dann muss man auch hier die Spreu vom Weizen trennen und insofern muss den Krankenkassen mehr Kompetenz gegeben werden.
Krankenkassen als neutraler Vertreter der zahlenden Patienten. Die Theorie klingt gut, entbehrt aber der Realität. Denn auch die gesetzlichen Krankenkassen müssen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen im Auge behalten. Um keine Kunden zu verlieren, genehmigen sie beispielsweise freiwillig Versicherten, die hohe Beiträge zahlen, aber auch in eine private Krankenkasse wechseln könnten, Behandlungen, die eigentlich nicht durch den Leistungskatalog der Krankenkassen abgedeckt sind.
Lehnt der Arzt die Behandlung aber ab, weil sie nach den Regeln der gesetzlichen Versicherung eigentlich nicht durchgeführt werden dürfte, läuft er Gefahr, den Patienten zu verlieren. Denn dieser weiß oft nicht, dass der Arzt für solche Leistungen in Regress genommen werden kann. Viele Ärzte sind daher mittlerweile froh, dass durch die angestrebte Gesundheitsreform die Patientenrechte gestärkt werden. So können künftig auch gesetzlich Versicherte, ähnlich wie Privatversicherte, zumindest zu Kontrollzwecken eine Rechnung von ihrem Arzt einfordern. Nur wer Preis und Leistung kennt, könne wie ein mündiger Kunde handeln, argumentieren Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Horst Seehofer, übereinstimmend. DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer sagt dagegen:
Ein Kranker kann nicht sagen, jetzt gehe ich erst mal zu drei verschiedenen Ärzten, bis mir das einer zu den Preisen anbietet, die mir genehm erscheinen oder die ich mir leisten kann. Sondern wenn eine Krankheit vorliegt, dann muss man schnellstmöglich eine Versorgung bekommen. Außerdem ist ja der Kunde oder der Patient kein Sachverständiger. Der weiß ja gar nicht, ob die Leistungen, die der Arzt anbietet, auch wirklich das richtige und nötige ist. Und er ist noch weniger sachverständig, wenn es um die Medikamente geht. Da muss man sich voll auf das Urteil der Ärzte verlassen. Insofern ist das Gesundheitswesen kein Markt für Seifenmittel, wo ein Kunde leicht selbst entscheiden kann, sondern hier kommt es schon darauf an, dass über die Krankenversicherungen ein Schutz der Patienten vorgenommen wird.
Auch die Gewerkschaften sind allerdings in der Diskussion um die Position der Krankenkassen mit Eigeninteressen vertreten. Denn sie sind an der Selbstverwaltung der gesetzlichen Krankenkassen beteiligt. Steigt die Macht der Krankenkassen gegenüber den Ärzten, steigt auch die Macht der Gewerkschaften in der Gesellschaft insgesamt. Ist es falsch, Gewerkschaften des Egoismus zu bezichtigen? Der Unternehmensberater Michael Jäger sagt:
Ein Problem vieler Diskussionen ist, dass sowohl Politiker als auch verschiedenen Interessengruppen versuchen, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, statt die Menschen aufzuklären. Vieles von dem, was wir als Information aufgetischt bekommen, verkürzt gezielt den Sachverhalt und dient letztlich weniger der Aufklärung als der reinen Stimmungsmache.
In der Tat vermag bei dieser Gemengelage niemand mehr durchzublicken und sachliche Argumente von Eigennutz zu unterscheiden. Auch Martin Sebaldt, der das System der Interessenvertretung aus historischer und aktueller Sicht erforscht hat, kennt keine Lösung. Die Forderung, die Macht der Interessenverbände einzuschränken, zum Beispiel indem man sie aus den Selbstverwaltungsgremien heraushält, hält Sebaldt jedenfalls für falsch:
Es ist die Frage, ob sich das realisieren ließe. Denn die Interessenvertreter haben den großen Vorteil, dass sie die Bedürfnisse ihrer Klientel kennen. Oder man könnte anders herum fragen: Wenn man diese Aufteilung vornehmen wollte, wer sollte dieser neue Typus von Vertreter sein, der in so einem Gremium sitzen kann. Es wäre wohl auch deshalb nicht zielführend, es zu trennen, denn am Ende muss ja der dort gefundene Konsens von den einzelnen Organisationen auch umgesetzt werden. Das heißt: Im Grundsatz ist das Prinzip schon am besten, dass die Interessenvertreter, also etwa die Gewerkschaften, die ihren Mitgliedern die Aufweichung des Kündigungsschutzes etwa auch verkaufen müssen, mit am Tisch sitzen. Denn, wenn sie nicht eingebunden sind, und in Folge dessen auch nicht auf den dort gefundenen Beschluss festlegen lassen müssen, besteht für sie natürlich auch kein Bedarf, ihre Mitglieder davon zu überzeugen. Also letztlich kann es, wenn überhaupt, nur so funktionieren, dass die, die davon betroffen sind, in den Gremien sitzen.
Auf die Interessenvertreter wird man also auch in Zukunft nicht verzichten können. Aber es steht zu befürchten, dass die Krise der Interessenvertreter und damit die gesellschaftliche Krise noch eine Weile anhält. Auch dann noch, wenn die IG Metall ihren Führungsstreit schon längst beendet hat.