Freitag, 19. April 2024

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Anspiel - Avant-Première 2021
Ein Jahr voller Chancen und Risiken

"Corona hat der Digitalisierung einen extremen Push gegeben", resümiert Katharina Jeschke. Sie ist die Geschäftsführerin des IMZ, das alljährlich die Messe Avant Première organisiert. Dort trifft sich die weltweite Musik- und Tanzfilmbranche.

Katharina Jeschke im Gespräch mit Jonas Zerweck | 03.03.2021
    Eine Frau steht vor Kameras in einem Studio und moderiert. Verschwommen im Vordergrund sind die Bildschirme der Bildregie zu sehen.
    Katharina Jeschke bei der Moderation einer der Veranstaltung der Avant-Première 2021. (IMZ)
    Jonas Zerweck: Seit knapp einem Jahr ist die Kultur zum Stillstand gezwungen, zumindest was die Live-Erlebnisse betrifft. Geboomt hat dagegen der gesamte Streaming-Bereich. Die Kulturschaffenden haben Lösungen gesucht, wie sie digital per Videoaufzeichnungen ihr Publikum erreichen. Live – oder auch aufgezeichnet und dann zum Abruf im Netz bereit. Und auf allen Qualitätsniveaus: Vom charmanten-amateurhaften Stream aus dem Wohnzimmer eines einzelnen Musikers bis hin zur aufwendigen Produktion von einem großen Haus.
    Mitte Februar ist die Szene digital bei der Messe Avant-Première zusammengekommen. Also alle, die in irgendeiner Form daran beteiligt sind, wenn darstellende Künste durch audiovisuelle Medien abgebildet werden. Dieses Zusammenkommen wird vom International Music + Media Centre, dem IMZ, seit Jahren veranstaltet. Dieses Jahr das erste Mal rein digital. Katharina Jeschke ist die Geschäftsführerin des IMZ.
    Frau Jeschke, das letzte Jahr war ja auch für den Kulturbereich, der sich bei der Avant-Première trifft, ein ganz schön ungewöhnliches. Wie war denn die Stimmung unter den Beteiligten?
    Katharina Jeschke: Es war eine große Freude, dass wir eine Lösung gefunden haben, diese Messe, dieses Branchentreffen tatsächlich zu organisieren. Gleichzeitig war es auch so, wie kann etwas, was normalerweise in normalen Treffen einfach stattfindet und was so von der Begegnung lebt, wie kann das digital und online funktionieren? Wir haben uns wahnsinnig gefreut, dass unser Angebot so angenommen wurde von allen Enden der ganzen Welt. Wir haben Teilnehmer gehabt aus 33 Ländern.

    "Der erste Lockdown war eine Schocksituation"

    Zerweck: Wie war denn die Stimmung hinsichtlich des letzten Jahres, was ja auch für alle ein schwieriges Jahr war? Konnte man von dieser Situation vielleicht sogar profitieren, dass auf einmal so eine große Nachfrage nach Videoaufzeichnungen unter den Kulturschaffenden herrschte?
    Jeschke: Das letzte Jahr war natürlich ein extrem bewegtes. Gerade für die Branche bei uns. Da muss ich vielleicht noch ganz kurz was dazu sagen: Das IMZ vereint die gesamte Kultur-, Musik- und Filmbranche. Das heißt, es sind von Opernhäusern über Orchester, seien es jetzt die Berliner Philharmoniker, die Wiener Staatsoper, die Met, sind bei uns Mitglied. Aber genauso auch Filmproduktionsfirmen, Fernsehanstalten und Streamingdienste. Also wir haben so die gesamte Bandbreite bei uns in diesem Netzwerk. Und das heißt, den einzelnen Akteuren ginge es unterschiedlich im letzten Jahr. Natürlich die Kulturinstitutionen wie Opern- oder Konzerthäuser und Orchester, die haben es extrem schwierig. Und es war auch dieser erste Lockdown letztes Jahr im Frühling war eine totale Schocksituation für alle.
    Das hat aber eine unglaubliche Kreativität und Flexibilität in dieser Branche ausgelöst. Man musste sich an die Situation adaptieren und schauen, was ist möglich. Und es war ein irrsinniger Bedarf an Content da. Wie Sie richtig sagen wegen der Streamingdienste und de ganzen VoD-Plattformen: Das ist natürlich geboomt. Da gibt es Zuwächse, zum Beispiel bei takt1 im Frühjahr alleine von hundert Prozent bei den Nutzerzahlen. Oder Arte Concert: Die haben letztes Jahr im April alleine 1,6 Millionen Zuschauer weltweit erreicht. Die sind also auch ein bisschen so die virtuelle Bühne für die Musikszene geworden. Da gab es eine extreme Nachfrage. Gleichzeitig waren auch die Orchester und Opernhäuser sehr daran interessiert, im Austausch mit dem Publikum zu bleiben. Man möchte weiterhin die Beziehung mit dem Publikum haben. Da wurden sehr viele Filme angeboten auf der Website, und Aufzeichnungen, die es schon gab, wurden frei zur Verfügung gestellt und das wurde sehr gut angenommen. Der digitale Konsum ist extrem gestiegen im letzten Jahr.

    "Zu sinnvollen Zahlungsmodellen finden"

    Natürlich, Corona hat der Digitalisierung einen extremen Push gegeben. Was dadurch sehr klar geworden ist: Musik kommt mit einem Bild, in einem Film, also als Live-Übertragung. Das ist jetzt tatsächlich, glaube ich, bei vielen angekommen und auch genutzt worden, um weiterhin hier den Kultur- und Musikgenuss zu haben.
    Ich möchte vielleicht noch kurz die Salzburger Festspiele erwähnen, die ja durchgehalten haben, und dann tatsächlich stattfinden konnten unter gegebenen Vorschriften und Einhaltung der ganzen Regeln. Normalerweise werden dort Karten verkauft in der Höhe von etwa 245 000 Stück. Durch die gesamten Übertragungen und Live-Übertragungen hat man über drei Millionen Menschen erreicht. Da passiert einfach sehr, sehr viel.
    Das stellt auch eine weitere Herausforderung jetzt schon dar: Der Content und die Filme werden hier meist frei zur Verfügung gestellt, aber man braucht natürlich schon Zahlungsmodelle dafür. Die Künstler leben von etwas, die Produktionsfirmen müssen von etwas leben. Es wird wichtig, dass man von diesem gratis Content zu sinnvollen, funktionierenden Zahlungsmodellen findet.

    "Eine digitale Strategie ist für Opernhäuser extrem wichtig"

    Zerweck: Ja, das wäre meine nächste Frage gewesen: Im letzten Jahr haben ja sehr viele Solo-Künstlerinnen und Künstler angefangen, ihre Streams auch gratis auf den verschiedenen Plattformen anzubieten. Ist das nicht eine große Gefahr für die ganze Branche bei Ihnen?
    Jeschke: Also es wurde wahnsinnig viel Content produziert tatsächlich auf allen unterschiedlichen Niveaus. Das verstärkt im Grunde genommen eine Entwicklung, die schon davor begonnen hat. Opernhäuser und Orchester beschäftigen sich seit längerem mit einer digitalen Strategie. Also denken wir zum Beispiel nur an die Berliner Philharmoniker, die seit über zehn Jahren die Digital Concert Hall haben und ihre Konzerte eben live streamen und für ein viel, viel größeres internationales Publikum verfügbar machen. Da ziehen viele Konzert- und Opernhäuser und Orchester nach - auch wissend, dass eine digitale Strategie extrem wichtig in Zeiten wie diesen ist. Das bedeutet nicht unbedingt, dass man alles selber machen muss, sondern dass man sich tatsächlich eben Fachexpertise ins Haus holt, Produktionsfirmen ins Haus holt, die genau diese Dinge abdecken und natürlich produzieren können.

    Mehr Offenheit für kleine, kreative Projekte

    Zerweck: Bei der Avant Première zeigen ja auch immer die Mitglieder des IMZs als Business-Netzwerks ihre neuesten Projekte. Und da stellt man auch neue Projekte für die nächste Zeit vor. Wohin geht denn da gerade bei den Filmen, was da gezeigt wurde, in Ihrem Empfinden nach die Reise hin? Haben Sie neue Trends erkennen können?
    Jeschke: Innovation ist ein großes Thema: Welche Herangehensweisen gibt es einerseits gerade in Richtung Technologie, in Richtung Virtual Reality, in Richtung Artificial Intelligence? Was kann man da integrieren in den Kultur-Filmbereich? Da gibt es viele tolle und spannende Projekte. Da haben wir auch ein paar vorgestellt. Und das, was jetzt auch geprägt vom letzten Jahr ist, dass es durchaus schnellere Produktionszyklen eigentlich gibt, also durchaus auch kleinere, kreativere Projekte, dass man sich auf sowas eigentlich einlässt. Also da würde ich jetzt vielleicht sagen, da geht's irgendwo hin.
    Aber das ganz, ganz große Thema ist Digitalisierung in dieser Branche. Da geht es vor allem dahin, dass man Prozesse, die bis jetzt nur analog sind, digitalisiert. Bei der Branche, die sich jetzt auch bei der Avant-Première trifft: Da geht es sehr viel auch um Lizenzhandel. Das heißt, eine Fernsehanstalt kauft die Rechte für einen Film, für eine Carmen zum Beispiel, um sie dann auszustrahlen. Dieser Lizenzhandel passiert sehr analog bis jetzt und um hier den nächsten Schritt gemeinsam als Branche zu machen, entwickelt das IMZ gerade einen Online-Marktplatz, wo man Filmlizenzen handeln kann bzw. auch einen riesigen Katalog hat, wo man auf einer Plattform Zugriff hat auf den gesamten Content der Musik- und Kultur-Filmbranche.