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Anthony Swofford: Jarhead im Krieg

Nachdem wir Aufklärer/Scharfschützen des Zweiten Bataillons die Nachricht vom bevorstehenden Krieg im Nahen Osten gehört haben, marschieren wir zugweise zum Friseur der Basis und lassen uns den Kopf kahl rasieren, bis auf ein paar Stoppeln auf der Schädeldecke. Kein Wunder, dass man uns "Jarheads" nennt - unsere Köpfe sehen aus wie ein umgedrehter Topf, mit den Ohren als Henkel. Anschließend fahren ein paar von uns in die Stadt und leihen alle Kriegsfilme aus, die sie kriegen können; außerdem bringen sie jede Menge Bier mit. Danach hocken wir drei Tage lang im Aufenthaltsraum rum, trinken und trinken und schauen uns jeden einzelnen verdammten Film an und brüllen Semper Fi und hauen die Köpfe gegeneinander und prügeln uns und geilen uns auf an Bildern von Gemetzel und Gewalt und Betrug und Vergewaltigung und Töten und Plündern.

    Es geht das Gerücht, dass viele Vietnamfilme Antikriegsfilme sind mit der Botschaft, Krieg ist unmenschlich und schaut euch an, was passiert, wenn man junge Amerikaner zum Töten und Morden ausbildet, dann verwandeln sie sich in Killermaschinen, vergessen ihre Ziele, entehren das Land, schießen auf Autopilot und vergessen, dass sie zum Zielen ausgebildet wurden. Aber tatsächlich sind alle Vietnamfilme Kriegsfilme, ganz egal, wie die Botschaft eigentlich lautet oder was Kubrick, Coppola oder Stone sagen wollten. Mr. und Mrs. Johnson in Omaha oder San Francisco oder Manhattan sehen sich diese Filme an und weinen und beschließen ein für alle Mal, dass Krieg unmenschlich und schrecklich ist, und sagen das ihrer Familie und auch all ihren Freunden in der Kirche, aber wenn Corporal Johnson im Camp Pendleton und Sergeant Johnson auf der Travis Air Base und Seemann Johnson in der Coronade Naval Station und Lance Corporal Swofford in der Twentynine Palms Marine Corps Base sich dieselben Filme anschauen, macht es sie an, weil die magische Brutalität dieser Filme die schreckliche und widerwärtige Schönheit ihrer eigenen Kriegskunst verherrlicht. Kampf, Vergewaltigung, Krieg, Plünderung, Brand, Filmbilder von Tod und Verwüstung sind Pornographie für den Soldaten; sie reiben seinen Schwanz und kitzeln seine Eier mit der rosa Feder der Geschichte, geilen ihn auf für sein echtes Erstes Mal. Ganz egal, wie viele Mister und Missis Johnsons gegen den Krieg sind - die richtigen Killer, die wissen, wie man mit Waffen umgeht, sind dafür.

    Auch das ist eine "Filmtheorie". Vorgetragen wird sie in dem bei Kiepenheuer und Witsch erschienenen Band "Jarhead im Krieg", in dem der Ex-Marine Anthony Swofford von seiner Zurichtung für und seiner Teilnahme am Golfkrieg von 1990/ 91 berichtet.