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Anti-Antisemitismus auf der Bühne?

Ein Pappteller, links fettet die Berliner Currywurst, rechts krümelt das jüdische Mazzebrot, und darüber prangt das Motto "16.Jüdische Kulturtage: Berlin open". Schon der Umschlag des Programmheftes verdeutlicht: die diesjährigen Berliner Jüdischen Tage versuchen sich an einem zeitgenössischen Programm. Zwar gab es zum Beginn mit einer Revue über die jüdischen Unterhaltungskünstler von Hollaender zu Rudolf Nelson ein "Stück vom Himmel", das die immer noch notwendige, aber doch allzu bekannte Rückschau in Verlorenes und Vergangenes bot. Doch das weitere Programm besteht ausschließlich aus zeitgenössischer Kunst. Die in Zagreb geborene und in Italien und Deutschland aufgewachsene Berliner Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras, die erstmals das Programm verantwortet, hat zahlreiche Werkaufträge vergeben:

Ein Beitrag von Hartmut Krug |
    Weil das Thema Berlin ist, und da gab es halt einfach nicht so viel, was man hätte sofort nehmen können, wie wenn man nach New York fährt und kauft Produktionen ein. Also habe ich mir gedacht: lassen wir doch was machen, und fragen jüdische Künstler, die hier in Berlin leben (russische, israelische, deutsche, - alles, was es halt da gibt: Maler, Theatermacher, Musiker), das sie was machen, komponieren, schreiben für die jüdischen Kulturtage. Also viele Themen: Assimilation, Vergangenheit, Regeneration (hat z.B. die Gruppe Meschulasch). Oder die Rabbiner haben das Thema, was bringen sie uns eigentlich, können sie uns was bringen?

    Gegen Skepsis aus der jüdischen Gemeinde setzt Adriana Altaras auf heutige Kunst. Und auf Öffnung: eine lange Nacht der Synagogen ist ein wirklich erstaunliches Angebot. Und dann haben Yoram Kaniuk, Rafael Seligmann und Maxim Biller neue Texte geschrieben, und u.a. Sharon Brauner, Dani Levy, Esther Slevogt und Ulrike Ottinger haben neue Kurzfilme geschaffen. Adriana Altaras geht es dabei nicht darum, die Illusion einer regenerierten jüdischen Gemeinde zu erzeugen. Auch deshalb hat sie selbst ein Theaterstück mit dem Titel "Jud Sauer" geschrieben und am Maxim Gorki Theater inszeniert.

    Ein Klavier, ein weißbekitteltes junges Mädchen und ein Infusionsständer. Dazu ein Beistelltischchen, auf dem Gebäck und Obst, Weinflasche und Wasserkaraffe, Yoghurtbecher und Tablettenschachteln traulich vereint sind. Es ist Tanztee-Zeit im Altersheim, - in einem jüdischen Altersheim. Und so bedeckt Ignaz den Kopf und fängt an zu rezitieren: den Shylock aus Shakespeares "Kaufmann von Venedig". Dann wird er zu einem jüdischen Kaufmann Josef Süß Oppenheimer, der um 1730 dem Herzog Carl Alexander in Stuttgart Edelsteine verkauft. Doch dem Käufer nennen die Höflinge als Namen des Verkäufers nur "ein Jud". Noch immer erregt sich der alte Mann über diese Geschichte aus alter Zeit und über die Missachtung des Juden als Individuum. Und wenn der alte Schauspieler Ignaz auf sein eigenes Leben zurückschaut, dann wird er deshalb zu einem Jud Sauer. Der Shakespeare mit Freude und Faßbinder mit Grimm rezitiert. Und wenn er bitter-groteske Witze vorträgt, "jüdische", selbstironische, dann fallen die anderen vier ein. Nicht anklagend, sondern bitter bis melancholisch: "Sie haben uns Auschwitz nicht verziehen", meint die eine über Deutschland, während der andere betont, "ohne Juden wäre die Tagesschau nur halb so lang". Und dann kommen Damenwahl und Herrenbeschwerden.

    Fünf alte Juden, ehemalige jugoslawische Partisanen, alte Kommunisten, nach Deutschland zurückgekehrte Auswanderer graben in ihren Erinnerungen. Warum sind sie wieder hier, warum sind sie nicht nach Amerika oder Australien gegangen oder in Palästina geblieben? Und was haben sie mit ihrem Leben und Lieben als Partisanen gemacht?

    Adriana Altaras hat, auch aus eigener familiärer Erfahrung, die Bühne für die Erinnerungen und Lebensläufe einer aussterbenden Generation bereitet. Ein Stück Reflexionsarbeit für heute, bei dem ihr Schreibimpuls war,

    ... dass in 10, 20 Jahren die Überlebenden des Holocaust nicht mehr leben werden. Dass wir, die second generation, wie wir heißen, die nächsten sind, die was zu sagen haben. Und ich wollte ihnen noch einmal einen Abend widmen. Speziell meinem Vater, der im Dezember gestorben ist. Auch so ein großer Mahner wie Bubis und Galinski, und ich wollte auch an die Widerständler, die Juden, die nicht nur Opfer waren, sondern im Widerstand waren, erinnern. Was ja Arno Lustiger auch immer macht. Also wieder ein Bild des Juden zurecht rücken.

    "Jud Sauer" ist ein stilles und unspektakuläres Stück. Es bietet nicht große Literatur, sondern warmherziges Spielmaterial. Das die Autorin mit ebenso zarter Hand selbst inszeniert hat. Es geht um Erinnerungen an die Liebe zu einem Katholiken, oder um das Verhältnis zu den Alliierten. Einer Beerdigung wird gedacht, und die junge Pflegerin singt das Partisanenlied von den Titosoldaten:

    Es ist kein rührender, sondern ein anrührender Abend, voll beschwingter, lockerer Ernsthaftigkeit. Adriana Altaras Stück "Jud Sauer" macht, indem es vom Leben und Leiden einer jüdischen Generation erzählt, Geschichte von gestern für heute sichtbar. Historisch wie menschlich.

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