Freitag, 29. März 2024

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"Anti"- die 6. Athen Biennale
Was bleibt von der documenta-Aufmerksamkeit?

"Zerstört Athen" forderten die Veranstalter der Athen Biennale im Gründungsjahr 2007. Damals schwelgten die Griechen noch in der Illusion immerwährenden Glücks und Wohlstands. Dies ist längst nicht mehr so, aber die Biennale hat sich zum spannendsten griechischen Kulturevent entwickelt.

Von Alkyone Karamanolis | 27.10.2018
    Die Latex-Installation "Pigpen" der japanischen Künstlerin Saeborg auf der Athen Biennale 2018
    Die Latex-Installation "Pigpen" der japanischen Künstlerin Saeborg auf der Athen Biennale 2018 (Saeborg/gallery trollradio)
    Es ist ein aufgebrachtes Völkchen, das da durch die Ausstellungsräume der Biennale prozessiert. Kreuzritter, Mitglieder eines Kults oder vielleicht auch Indigene einer fernen Galaxie; mit bunter Körperbemalung und improvisierten Kopfhelmen. Sie tragen Reminiszenzen an nationale Symbole und mysteriöse Insignien vor sich her: Schilde und Zepter aus Papptellern, Alu-Folie, Schwemmholz und Stoffresten. Ihr Protest ist vehement, aber unverständlich. Ihr Anliegen scheint gravierend, aber ist es das auch? Auf welcher Seite stehen sie, wessen Ansprüche vertreten sie?
    Was ist Widerstand heute, fragt auch die Athener Biennale. Welche Möglichkeiten der Opposition gibt es noch, wenn der Tabubruch generalisiert ist und sich auch die reaktionärsten Bewegungen durch lautstark eingenommene Gegenpositionen zum Establishment definieren, siehe Donald Trump? Stefanie Hessler vom Biennale-Kuratorentrio:
    "In der Ausstellung geht es darum, wie eine Kartographie zu zeigen, in welchen unterschiedlichen Bereichen diese Oppositionen stattfinden, um zu verstehen, wie sie auch miteinander zusammenhängen. Wie zum Beispiel bestimmte progressive Bewegungen reaktionäre Antworten hervorrufen."
    Spiel mit Konventionen
    Rund einhundert Arbeiten sind ausgestellt, viele von ihnen performativ. Sie stellen Widerstände, Gegensätze und Grenzziehungen in Frage. Sie spielen mit unseren Vorstellungen von sozialen Konventionen, von Geschlecht, Geschlechterrollen, Wellness und Eskapismus, Kontrolle und Sicherheit.
    Der Künstler Yuri Pattison baut einen am Flughafen Heathrow ausgemusterten check-in-Schalter auf. Ein zugehöriges Video, entstanden in Kooperation mit einer auf Krisenmanagement spezialisierten Firma, enttarnt unsere vermeintliche Sicherheit als ein gut inszeniertes Theater, das davon ablenkt, dass sich die Schlinge von Diktatur, Aufruhr und Krieg immer enger zuzieht.
    Stachel im Fleisch der Stadt
    Es sind Arbeiten, die den Zuschauer zwingen, Position zu beziehen, und es passt, dass die Schau einem Aktivisten der Athener LGBT-Szene gewidmet ist, der vor wenigen Wochen nur wenige Häuserblocks entfernt am hellichten Tage vor den Augen teilnahmsloser Passanten zu Tode geprügelt wurde. Die Biennale will wie ein Stachel im Fleisch der Stadt wirken, sagt Kurator und Biennale-Direktor Poka-Yio, und sie möchte den Wohlfühl-Impuls der Privilegierten sabotieren.
    "Ich suche nach Kunst, die das bestehende Gleichgewicht anficht. Wir haben zuletzt Ausstellungen gesehen, die zu den Bekehrten gepredigt haben. Ausstellungen, die auf den gemeinsamen Glaubensgrundsätzen von Kuratoren, Künstlern und Besuchern aufbauten. Es braucht aber eine Prekarität in der Kunst. Eine Herausforderung. Wer dem Publikum bloß schmeichelt, tut weder sich noch der Kunst einen Gefallen."
    Krisenverfall und Gentrifizierung
    Auch diesmal meidet die Athener Biennale den white cube und re-aktiviert brisante Ausstellungsorte, um sie in ihre Narration einzuflechten. Die Schau findet in vier Gebäuden der Athener Innenstadt statt, an der Schnittstelle von Krisenverfall und Gentrifizierung. Darunter: ein vor wenigen Jahren pleite gegangenes Traditionshotel, die ehemaligen Büros eines Sozialversicherungsträgers und das kafkaeske Gebäude des früheren Telegrafenamts, das ein Investor demnächst zum Luxus-Hotel umbauen wird. Indes hat sich die aktuelle Nutzung der Häuser unter den zahlreichen Obdachlosen der Stadt noch nicht herumgesprochen, und so liegt am Tag der Pressekonferenz eine schlafende Frau vor dem Eingang eines der Gebäude, während hunderte Journalisten an ihr vorbeiziehen.
    Unangetastet bleibt auch die Innenausstattung der Ausstellungsorte. In den Fluren des Traditionshotels etwa hängen noch die angestaubten Stadtansichten der Belle Époque und doppeln das Unbehagen, welches die ausgestellten Arbeiten provozieren. In Athen ist nichts unpolitisch.
    Am Ende der Performance tritt die Prozession ab - in geordnetem Marsch. Das Toben ist beendet, als hätte jemand den Stecker gezogen. Doch mehr noch als ihr unverständliches Schreien ist ihr Schweigen gespenstisch.