Am Arbeitsplatz von Kai-Uwe Schmitt am Institut für biomedizinische Technik der Eidgenössisch-Technischen Hochschule Zürich lagern Schaumstoffe, ein zerlegter Autositz, eine alte Sitzschiene und Einzelteile eines Crashtest-Dummies. Seit mehreren Jahren erforscht der Ingenieur die Kräfte, die bei einer Heck-Kollisionen auf die Halswirbelsäule wirken.
Eine Heck-Kollision heißt quasi, dass das Fahrzeug von hinten angestoßen wird, dadurch bewegt sich das Fahrzeug mit dem Sitz und dem Insassen nach vorne, im ganzen gesehen, der Kopf jedoch, weil er eine Trägheit besitzt und meistens nicht direkt an der Kopfstütze anliegt, kann frei im Raum stehen bleiben, so dass wir eine Verschiebung haben: der untere Teil des Körpers, vor allem der Brustbereich, bewegt sich nach vorne, und der Kopf bleibt quasi im Raum stehen, das heißt, es kommt eine Relativbewegung zwischen Kopf und Brust zustande, und prinzipiell kann man sagen, dass diese Relativbewegung als kritisch und äußerst ungeschickt angesehen wird.
In Zeitlupe betrachtet, sieht diese Relativbewegung aus wie eine S-Kurve. Das kann zu Scherbewegungen in der Halswirbelsäule führen, durch die Gelenkstrukturen geschädigt und Bänder und Muskeln gezerrt werden können. Einige Forscher vermuten sogar, dass während dieser Relativbewegung Druckwellen im Venenblut und in der Rückenmarksflüssigkeit entstehen, die dann zu Schäden an Nervenzellen führen. Die Folgen einer derartigen Verletzung haben schon viele Menschen gespürt: Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, manchmal Ohrensausen und Schwindel. Verhindern lassen sich derartige Unfälle nicht. Deshalb haben Schmitt und seine Kollegen nach einem Mittel gesucht, die Stärke der einwirkenden Kräfte auf die Halswirbelsäule zu verringern. Auf seinem Tisch liegt der 40 Zentimeter lange Prototyp eines Apparates, den er unter dem Autositz zwischen den beiden Sitzschienen befestigen kann.
Also das System, sehen Sie hier, besteht aus verschiedenen Komponenten, in der Mitte, der Block ist der Beschleunigungssensor, der wird aktiviert, wenn eine Beschleunigung wirkt, und durch ein Masse-Feder-System wird ein Hebel hoch gelöst, so dass das System dadurch dann verschieblich wird. Wenn dieser erste Schritt erfolgt ist und die Beschleunigung vorhanden ist, muss noch eine Kraft wirken, da sehen sie hier rechts und links sind zwei bügelartige Profile, es sind zwei einfache Stahlprofile, die ausgelegt wurden für eine Heck-Kollision, für einen Heckcrash mit einer Geschwindigkeitsänderung von ungefähr 15 Kilometer pro Stunde. Da wirkt dieses System, indem sie diese Profile dann auseinander spreizen und verformen.
Wenn die beiden bügelartigen Stahlprofile bei einem Crash aufgedehnt werden, rutscht der Sitz 4 Zentimeter nach hinten.
Man beeinflusst dadurch die Bewegung des Insassen, so dass sich vor allen Dingen der Kopf- und der Brustbereich gemeinsam Richtung Kopfstütze beziehungsweise Lehne bewegen.
Somit verschieben sich Kopf- und Brustbereich nur noch sehr wenig untereinander, so dass die Halswirbelsäule nicht mehr so stark verformt wird. In Versuchen mit Crashtest-Dummies wurde die relative Belastung zwischen Kopf und Brustkorb um 40 Prozent vermindert. Das ist besser als bei anderen Sitzkonstruktionen, die zum Schutz vor Schleudertraumen eingebaut werden.
Die derzeitigen Systeme auf dem Markt beziehen sich entweder auf aktive Kopfstützen-Systeme oder auf Systeme, die das Lehnen-Gelenk beeinflussen, es ist aber derzeit kein System bekannt, was ausschließlich an der Sitzschiene wirkt.
Anders als bei den bereits erhältlichen Modellen lässt sich die Neuentwicklung aus Zürich in jeden beliebigen Autositz einbauen, ohne dass der Sitzaufbau verändert werden muss. Und nach einem Crash muss nur das verbogene Metallstück ersetzt werden. Dennoch wird es nach Ansicht von Schmitt noch einige Zeit dauern, bis das Sitzschienen- System serienreif ist.