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Antiatom-Kampagne in Genf

Physik. - Am Europäischen Forschungszentrum für Kernphysik Cern in Genf hat man Antiwasserstoff hergestellt. Das ist das Antimaterie-Spiegelbild des einfachsten Atoms in unserer Materiewelt. Treffen beide Welten aufeinander zerstrahlen sie zu purer Energie. Die Antiwasserstoff-Produktion war daher nicht einfach. In der aktuellen "Nature" berichten die Cern-Forscher über ihren Erfolg.

Von Frank Grotelüschen | 18.11.2010
    Bild und Spiegelbild. Das trifft es wohl am besten, will man das Verhältnis von Materie und Antimaterie umschreiben. Denn im Grunde besitzt ein Antiteilchen dieselben Eigenschaften wie ein Teilchen – nur mit umgekehrten Vorzeichen: Ein Elektron etwa ist elektrisch negativ geladen, sein Pendant aus der Antiwelt namens Positron ist positiv.

    "Zu jedem Materieteilchen, das wir kennen, gibt es ein Antiteilchen. Aus irgendwelchen Gründen scheint das Universum nur aus Materie zu bestehen. Doch im Labor können wir Antimaterie künstlich erzeugen. Und wir haben versucht, das einfachste Atom aus Antimaterie zu erzeugen und zu untersuchen, den Antiwasserstoff","

    sagt Jeffrey Hangst, Sprecher eines Experiments namens Alpha am Cern in Genf. Um ein Antiwasserstoffatom zu erzeugen, braucht es zwei Bausteine: ein Antiproton als Kern sowie ein Positron, das den Kern umschwirrt. Die beiden Bausteine für sich können die Physiker schon lange erzeugen: Positronen entstehen beim Zerfall bestimmter radioaktiver Präparate. Antiprotonen lassen sich mit großen Teilchenbeschleunigern kreieren, wie sie in Genf stehen. Hangst:

    ""Cern ist momentan der einzige Ort auf der Welt, wo wir die Antiprotonen bekommen, die wir für unser Experiment brauchen. Wir erzeugen sie, indem wir mit einem Beschleuniger herkömmliche Protonen mit voller Wucht auf einen Kupferblock feuern."

    Bei diesem Scheibenschießen entstehen Antiprotonen. Allerdings sind sie viel zu schnell, und um sie mit den Positronen verheiraten zu können. Deshalb müssen sie von einer Art Entschleuniger abgebremst werden – von fast Lichtgeschwindigkeit auf das Tempo eines Motorrollers. Erst dann können die Antiprotonen in die Falle gehen. Hangst:

    "Um sie einzufangen, benutzen wir starke elektromagnetische Felder, erzeugt durch wuchtige Magneten. Damit können wir die Antiprotonen und auch die Positronen einsperren. Beide sind ja elektrisch geladen und reagieren auf ein Magnetfeld. Mit Glück tun sich beide dann im Inneren der Falle zu einem Antiatom zusammen. Aber: Dieses Antiatom trägt keine Ladung mehr, ist also elektrisch neutral."

    Eben diese elektrische Neutralität war es, die den Physikern großes Kopfzerbrechen bereitete. Denn neutrale Teilchen sprechen nur schwach auf Magnetfelder an und drohen deshalb aus der Falle zu flutschen wie ein glitschiges Stück Seife aus der Hand. Der einzige Trick, mit dem sich der Antiwasserstoff in der Falle halten ließ, war eine radikale Kälte-Kur: Die Physiker mussten die Antiatome abkühlen auf weniger als 0,5 Kelvin – gerade mal ein halbes Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt bei minus 273 Grad Celsius. Außerdem mussten die Antiteilchen dabei stets im Vakuum gehalten werden, um bloß nicht mit Materie in Berührung zu kommen und zu purer Energie zu zerstrahlen. Das alles kostete Jahre an Tüftelei. Doch nun kann Jeffrey Hangst Vollzug melden.

    "In unserem Experiment konnten wir 38 Antiwasserstoffatome einfangen, und zwar 0,2 Sekunden lang. Damit ist bewiesen, dass unser Konzept funktioniert. Jetzt arbeiten wir daran, Hunderte von Antiatomen mehrere Sekunden lang zu speichern. Und im Moment geht es sehr gut voran."

    Das Ziel: Die Forscher wollen die Antiatome mit einem Laser beleuchten, um deren Eigenschaften präzise unter die Lupe zu nehmen.

    "Damit wollen wir untersuchen, ob Wasserstoff und Antiwasserstoff denselben physikalischen Gesetzen gehorchen. Die Theorie sagt zwar, dass sie es sollten. Aber ob das wirklich stimmt, ist unklar. Denn bislang hat noch niemand Messungen an Antiatomen gemacht."

    Und sollten die Fachleute tatsächlich auf Differenzen stoßen, wären sie einem alten Rätsel der Physik auf der Spur – dem der Dominanz von Materie im Universum. Theoretisch nämlich müssten beim Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren exakt so viele Teilchen wie Antiteilchen entstanden sein. Kurz danach hätte sich alles wieder vernichten müssen; übrig geblieben wäre ein Kosmos völlig ohne Masse. Stattdessen gibt es heute Abermilliarden Sterne im Kosmos, und sie bestehen so wie es aussieht alle aus Materie. Des Rätsels Lösung könnte in einem winzigen Unterschied im Verhalten von Teilchen und Antiteilchen liegen. Nach diesem Unterschied wollen die Forscher nun bei den eingefangenen Antiatomen suchen.