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Antifouling-Anstrich ohne Nebenwirkungen

Mit einem neuen Schutzlack wollen Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik in Halle verhindern, dass Muscheln und andere Organismen an Schiffsrümpfen anwachsen. Anders als übliche Schutzanstriche ist die neue Beschichtung umweltneutral: Sie wirkt nicht chemisch oder biologisch, sondern elektrisch.

Von Remko Kragt | 16.01.2013
    Im Stralsunder Stadthafen dümpelt die MS Barth. "Fischereiaufsicht" steht in großen Buchstaben auf dem Steuerhaus des gut acht Meter langen Bootes. Es fährt aber nicht nur im Dienst der Behörde, sondern auch der Wissenschaft. Sein Rumpf ist unter der Wasserlinie mit einer Schutzschicht versehen, die verhindern soll, dass sich sogenannte sessile Organismen ansiedeln. Gemeint sind damit etwa Muscheln oder Seepocken, die häufig in solchen Mengen anwachsen, dass sie das Gewicht von Schiffen deutlich erhöhen. Außerdem machen sie den eigentlich glatten Rumpf rau. Die Folge: Die Boote werden schwerfälliger und ihr Energieverbrauch steigt.

    Das Besondere der Schutzschicht: sie leitet Strom, erläutert Manfred Füting vom Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik:

    "Sie stellen sich vor den Schiffsrumpf, der sieht angemalt aus wie so ein Zebrastreifen, also weiße und schwarze Streifen, und dann haben Sie ein Gerät, das mal die weißen Streifen plus schaltet und die schwarzen minus und dann wieder andersherum."

    Zwischen den Streifen baut sich unter Wasser ein elektrisches Feld auf. Der darin entstehende elektrolytische Prozess verändert das Wasser in unmittelbarer Nähe des Rumpfes. Auf diese Veränderung reagieren die Organismen.

    "Was wir jetzt mit der elektrischen Ansteuerung erreichen, ist, dass wir ihre Ansiedlungsumgebung im Wasser sozusagen immer umschalten - der Chemiker nennt das von sauer nach basisch - also wir ändern den pH-Wert im Wasser an der Oberfläche des Schiffsrumpfes und weil sich das ändert, können die sich nicht drauf einstellen. Also das wichtige ist das Ändern, nicht dass man das verändert und dann so lässt, da können sich die Organismen drauf einstellen. Das muss man sich so vorstellen, dass man 20 Minuten plus macht, dann 20 Minuten minus, dazwischen eine kleine Pause."

    Die verschiedenen Tiere brauchen unterschiedliche Umweltbedingungen. Während die einen im basischen Milieu leben, siedeln die anderen in saurer Umgebung. Deshalb vertreibt die Umpolung jeweils die einen und zieht die anderen an. Das System aber hält die Zeiten zwischen den Schaltungen zu kurz für eine Ansiedlung. So kann keine der beiden Arten sich am Schiffsrumpf verankern.

    Der Zusammenhang ist schon seit Längerem bekannt. Versuche mit elektrischen Beschichtungen, die den pH-Wert des Wassers ändern, laufen bereits seit etlichen Jahren. Aber das Problem lag bislang in der Handhabung der Beschichtungen.

    "Man muss sich vorstellen, dass das ein System war, das aus zwölf verschiedenen Schichten zusammengesetzt wird, was nicht alles nur Lacke sind, was es natürlich sehr, sehr schwierig macht, das zum Beispiel auf ein Schiffskörper zu bringen."

    Gemeinsam mit einem Lackhersteller in Mecklenburg-Vorpommern erproben die Wissenschaftler nun einen eigens entwickelten Anstrich auf der Grundlage von Nanokompositen. Er besteht aus nur drei Schichten. Auf den Schiffsrumpf kommt zunächst eine Grundierung. Sie ist nötig, weil der stählerne Schiffskörper sonst durch den elektrischen Strom korrodieren könnte.

    "Das sind kommerziell erhältliche Grundierungen, die verwenden wir so, wie die eben auf den Werften üblicherweise eingesetzt werden. Darauf kommen dann unsere funktionalen Lackschichten, also hochleitfähige Lacke, und darüber kommt dann noch mal eine Deckschicht, die sozusagen auch die mechanische Stabilität, die Glattheit des Anstriches sicherstellt."

    Das System hat einige Vorteile. Einer davon ist der geringe Stromverbrauch.

    "Der Energieaufwand ist nicht sehr hoch, weil die Ströme, die fließen nicht sehr hoch sind, wir haben das ausprobiert: für unseren Teststand sind wir mit zwei Solarmodulen ausgekommen."
    Eingeschaltet werden muss das System ohnehin nur, wenn ein Schiff im Hafen liegt. Sobald es mehr als drei Knoten fährt, verhindert die Strömung, dass Tiere andocken. Ein weitere Vorteil ist, dass der Schutz den jeweiligen Umwelt- und Wetterbedingungen entsprechend eingesetzt werden kann. In kaltem Wasser etwa siedeln sich nur wenige Tiere an.

    Anwendungsgebiete für das System sieht Manfred Füting vor allem bei Schiffen mit langen Liegezeiten, die aber oft sehr schnell einsatzbereit sein müssen - Rettungsboote oder Behördenschiffe beispielsweise wie die MS Barth.