Tatsächlich - da steht haushoch und bühnenbreit im ausgeräumten Ballhof-Bühnenraum der Gitterkäfig, der die Grenzen der Gewalt markiert. Und der Staat darin sind wir; um uns, um den Käfig herum und über unseren Köpfen tobt die Schlacht um Macht und Widerstand. Gerade hat Kreon, König von Theben, im Krieg gesiegt - und erliegt im Überschwang prompt der Versuchung, sich zu überschätzen: in dem er das Verbot erlässt, den Krieger Polyneikes zu begraben, der sein Neffe ist, doch im frisch beendeten Bruderzwist zum Feind geworden war. Antigone, Schwester des Toten und Teil der herrscherlichen Sippe, setzt bekanntermassen nun das unveräusserliche Menschenrecht über staatliche Regeln – und streut, wie's immer Sitte war, den Grabstaub auf die Leiche. Drauf wird, auf obersten Befehl, Antigone lebendig eingemauert – und nimmt sich das Leben in der steinernen Gruft; wie der Geliebte Haimon, Kreons Sohn, und Königsgattin Eurydike. Alles, noch das letzte Liebste, ist geopfert worden: für die Macht.
Klar trennt der Käfig die Gewalten: die Herrschaft oben drauf, wir drin; und mit uns der Chor, den Kresnik (wie bei Königs, nur anders) als Vater-Mutter-Sohn-Familie sehr von heute zeigt – die Eltern, die sich gerade landfein machen fürs Theater, und der Sohn mit Breakdance in den Gliedern und (vermutlich) Hiphop in den allgegenwärtigen Kopfhörern. Wie überhaupt, nach vertrauter Kresnik-Machart, alles sehr von Hier und Heute ist – und der Bote dem Herrscher die immer schlimmen Neuigkeiten mal als Bauer mit Traktor wie frisch vom Felde bringt, mal als Gabelstaplerfahrer und schliesslich als Trauergast mit Blumen im Arm. Antigones Steingrab lässt sich nur per Presslufthammer öffnen, und Haimon, Kreons Sohn, ist hier das dicke Kind, gemästet lebenslang mit Erdnuss-Chips und Coca Cola. So rückt Kresnik den Alltag von Gewalt und Unterwerfung ins Zentrum der Bilder – und eine der schönsten Visionen von der "anderen Welt" zeigt die schon todgeweihten Kinder, Haimon und Antigone, in innigster Verschlingung. Da schlitzt sie ihm die Kunst-Haut auf, alles kunst-stoffliche Styropor quillt aus dem dicken Kind. Und nichts bleibt als der schöne, junge, edle Körper.
Lieber also tot als noch das selbst verschuldete Elend überleben – den Herrscher lässt Kresnik unter Greisen enden, umgeben von Video-Bildern aus einem Berliner Altenheim. Sterbende Körper, brechende Blicke, der Schmerz des Noch-nicht-sterben-Könnens – das ist der Fluch der absoluten Macht.
Nicht Revolte also auch über das Ende des Aufruhrs hinaus steht am Ende dieser Kresnik-Phantasie – auch das wäre ja denkbar gewesen: die Ulrike-Meinhof-Beschwörung drei Jahrzehnte danach. Nur im Prolog vor dem Käfig, zwei getanzt-gesprochenen Monologen vom Selbstmord zwischen Bügeleisen und Kleiderschrank, wuchern entsprechende Assoziationen über Terror und Tod. Mit den Bildern der Alten, die den leeren Blick der Honeckers, der Ceaucescus und der Milosevic-Potentaten dieser Welt besitzen, steht am Ende erstaunlicherweise viel eher Brechts entspannte Zuversicht: Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.
Ist die hannoversche "Antigone" also Johann Kresniks erstes Alterswerk? Bestenfalls theoretisch – praktisch treibt er das Ensemble mit vertrauter Vehemenz an die Grenzen eigener Energie: im aufrührerischen und dennoch vielschichtigen Ton von Franziska Hentschels Antigone und der beratungsresistenten Selbstgerechtigkeit von Roland Renners Kreon - dem allerdings mehr Reflexion ganz gut bekommen wäre, und zwar schon bevor ihm Teiresias, der blinde Seher (hier vom Band gesprochen und also aus dem privaten Fundus der Chor-Familie gespult) das Ende der Macht anzeigt. Klug ist der jungen Kämpferin die Schwester Ismene mit Sibylle Brunner als gealterte Frau gegenüber und Marc Prätsch als dickes Kind Haimon zur Seite gestellt; Chor und Bote agieren funktionell und schlüssig.
Und über allem fliegt Simona Furlanis totentanzende Eurydike – zu Livio Tragtenbergs extrem dynamischer, vom Korps der Statisten mit Stangen und Stiefeln stählern verstärkter Musik. Fern aller ausgestellten Spektakelei zeugt Kresniks "Antigone" aber vor allem vom Ernst des Alters – und ein wenig von der Angst in ihrem Gefolge.
Link: mehr ...
309.html
Klar trennt der Käfig die Gewalten: die Herrschaft oben drauf, wir drin; und mit uns der Chor, den Kresnik (wie bei Königs, nur anders) als Vater-Mutter-Sohn-Familie sehr von heute zeigt – die Eltern, die sich gerade landfein machen fürs Theater, und der Sohn mit Breakdance in den Gliedern und (vermutlich) Hiphop in den allgegenwärtigen Kopfhörern. Wie überhaupt, nach vertrauter Kresnik-Machart, alles sehr von Hier und Heute ist – und der Bote dem Herrscher die immer schlimmen Neuigkeiten mal als Bauer mit Traktor wie frisch vom Felde bringt, mal als Gabelstaplerfahrer und schliesslich als Trauergast mit Blumen im Arm. Antigones Steingrab lässt sich nur per Presslufthammer öffnen, und Haimon, Kreons Sohn, ist hier das dicke Kind, gemästet lebenslang mit Erdnuss-Chips und Coca Cola. So rückt Kresnik den Alltag von Gewalt und Unterwerfung ins Zentrum der Bilder – und eine der schönsten Visionen von der "anderen Welt" zeigt die schon todgeweihten Kinder, Haimon und Antigone, in innigster Verschlingung. Da schlitzt sie ihm die Kunst-Haut auf, alles kunst-stoffliche Styropor quillt aus dem dicken Kind. Und nichts bleibt als der schöne, junge, edle Körper.
Lieber also tot als noch das selbst verschuldete Elend überleben – den Herrscher lässt Kresnik unter Greisen enden, umgeben von Video-Bildern aus einem Berliner Altenheim. Sterbende Körper, brechende Blicke, der Schmerz des Noch-nicht-sterben-Könnens – das ist der Fluch der absoluten Macht.
Nicht Revolte also auch über das Ende des Aufruhrs hinaus steht am Ende dieser Kresnik-Phantasie – auch das wäre ja denkbar gewesen: die Ulrike-Meinhof-Beschwörung drei Jahrzehnte danach. Nur im Prolog vor dem Käfig, zwei getanzt-gesprochenen Monologen vom Selbstmord zwischen Bügeleisen und Kleiderschrank, wuchern entsprechende Assoziationen über Terror und Tod. Mit den Bildern der Alten, die den leeren Blick der Honeckers, der Ceaucescus und der Milosevic-Potentaten dieser Welt besitzen, steht am Ende erstaunlicherweise viel eher Brechts entspannte Zuversicht: Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.
Ist die hannoversche "Antigone" also Johann Kresniks erstes Alterswerk? Bestenfalls theoretisch – praktisch treibt er das Ensemble mit vertrauter Vehemenz an die Grenzen eigener Energie: im aufrührerischen und dennoch vielschichtigen Ton von Franziska Hentschels Antigone und der beratungsresistenten Selbstgerechtigkeit von Roland Renners Kreon - dem allerdings mehr Reflexion ganz gut bekommen wäre, und zwar schon bevor ihm Teiresias, der blinde Seher (hier vom Band gesprochen und also aus dem privaten Fundus der Chor-Familie gespult) das Ende der Macht anzeigt. Klug ist der jungen Kämpferin die Schwester Ismene mit Sibylle Brunner als gealterte Frau gegenüber und Marc Prätsch als dickes Kind Haimon zur Seite gestellt; Chor und Bote agieren funktionell und schlüssig.
Und über allem fliegt Simona Furlanis totentanzende Eurydike – zu Livio Tragtenbergs extrem dynamischer, vom Korps der Statisten mit Stangen und Stiefeln stählern verstärkter Musik. Fern aller ausgestellten Spektakelei zeugt Kresniks "Antigone" aber vor allem vom Ernst des Alters – und ein wenig von der Angst in ihrem Gefolge.
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