Archiv


Antigone-Variante mit Selbstmordattentäter

Der iranische Autor Amir Reza Koohestani, von Haus aus Ingenieur, wurde fürs deutsche Theater beim Bonner Festival Theater der Welt mit dem Stück "Dance on Glasses" entdeckt. Dass Kohestaani nun auch ein Auftragswerk für die Kölner Bühnen schreibt, ist eine kleine Wende in den deutsch-iranischen Kulturbeziehungen.

Von Dorothea Marcus |
    "Ich bin Johann, Sohn der Besitzerin der Hauptfiliale von "Macfries" im Norden. Trotzdem bin ich Vegetarier. In einigen Stunden werde ich aus Protest gegen die Ermordung unzähliger unschuldiger Tiere für die Ernährung Fleisch essender Menschen mich selbst und das Restaurant meiner Mutter in die Luft jagen. Wenn Sie diese Aufzeichnung sehen, bin ich nicht mehr unter Ihnen..."
    Auch wenn Johann ein Selbstmordattentäter ist, scheint es an diesem Abend zuallerletzt um Selbstmordattentäter zu gehen. Die Hauptfigur ist kein Islamist, sondern allenfalls ein Ökoterrorist - seine Religion ist Vegetarismus und Tierschutz, aber das ist wohl auch eher Ironie. Beim der Selbstsprengung im Fastfoodrestaurant seiner Mutter reißt Johann seinen Bruder und eine Frau mit in den Tod, die danach als Geister weiterwandeln. "Einzelzimmer" ist ein Vierpersonenstück auf einer düsteren Kammerbühne, in dem Lebende und Tote vergeblich miteinander kommunizieren. Eine moderne Verballhornung des Antigone-Stoffs: Wie Antigone ihren Bruder, will die besitzergreifende Mutter den Leichnam ihres Kamikaze-Sohnes dennoch beerdigen. Sie holt ihn nach Hause, legt ihn in ein psychedelisch angeleuchtetes Wasserbecken und in ihr eigenes Bett und hält ein so absurdes wie vergebliches Zwiegespräch mit ihm. Doch der Totengestank ist nicht wegzukriegen, letztlich stirbt die Mutter an der Unterkühlung, mit der sie Johann konservieren wollte. Auch die anderen Opfer wandeln als lebende Tote über die Bühne: Johanns Zwillingsbruder diskutiert mit einer Videoameise, die über seinen zerfetzten, sich zersetzenden Körper krabbelt. Eine junge Frau mit Engelsflügeln macht ihm seinen Grabplatz streitig.
    Lakonisch distanziert sitzen die Toten dann auf den Plastikhockern des Fastfood-Imbiss und finden keinen Kontakt zu ihrer früheren Realität - wie ein Fremdkörper liegt ein einsamer zerdrückter Hamburger vor ihnen. Das Fastfoodrestaurant ist indes zum Bioparadies mit Ökoviehzuchtfarm geworden - Johanns Tod hat etwas erreicht.
    Den Toten ist das rechtschaffen egal. Für wen oder was man vor dem Tod gekämpft hat scheint für Regisseur und Autor Koohestani ohne jede Bedeutung. Ohnehin war das Selbstmordattentat wohl nur Einbildung:
    "Johann war müde, legte sich ins Gras und schaltete seinen I-Pod ein. Er erinnerte sich an den Tag, an dem er mit seiner Mutter und David vor dem Fernseher gesessen und auf sein Lieblings-Musikvideo gewartet hatte. Dann aber hatte ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter aufgeschreckt: "Da ist es! Sie bringen es!". Am folgenden Morgen sah ein Schäfer, der seine Tiere in der Nähe weidete, dass sich alle Schafe um ein riesiges Loch versammelt hatten. Der Schäfer rief: "Ein Meteorit hat eingeschlagen!""
    Das Stück des im Westen gefeierten Teheraner Jungregisseurs ist eine fast schon provokative Weigerung, das Thema überhaupt ernst zu nehmen. Letztlich geht es hier um etwas ganz anderes als um eine fundamentalistisch gemeinte Zerstörung der Welt - eher darum, wie vergeblich und überheblich es ist, sie überhaupt retten zu wollen. Amir Reza Koohestani:
    "Selbstmordattentäter spielen in der iranischen Gesellschaft eigentlich gar keine Rolle. Ich kann da auch gar nicht ernsthaft drüber nachdenken will auch gar keine politische Analyse betreiben. Das Stück spielt bewusst an einem unbestimmten Ort. Ich wollte eigentlich damit eher die Erwartungen durchbrechen, die man von einem iranischen Regisseur im Westen hat. Ich habe das Thema der Selbstmordattentäter eher ironisch verwendet. Mein Stück ist es eine schwarze Komödie, eine dunkle Farce, die in Wirklichkeit von der Einsamkeit handelt. Ich glaube, die meisten Probleme in unserer Welt kommen durch Einsamkeit, psychologische Probleme und Kommunikationslosigkeit zustande. "
    Die einzige Konstante des Lebens scheint die Einsamkeit zu sein, ob vor dem Tod oder hinterher. Der Regisseur lässt seine Schauspieler konzentriert, still und intensiv sprechen, mehr zu sich selbst als zu ihren Mitspielern - jeder fährt hier, ob lebend oder tot, seinen eigenen Film. Was für eine Anmaßung, ihn auf andere auszudehnen. Ein melancholischer Abend über Kommunikationslosigkeit, in die doch jeder schuldhaft verstrickt ist, eine sakrale Satire ohne Sinn. Dennoch spielt Koohestani etwas zu leichtfertig mit dem wohligen Grusel, den sein Thema hierzulande erweckt, um es dann so derartig links liegen zu lassen.