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Antijudaismus in Kirchenmusik
Bach, Luther und die Juden

Martin Luther rief 1543 dazu auf, die Synagogen der Juden zu verbrennen. Heute hat sich die Evangelische Kirche von diesem Teil von Luthers Lehre verabschiedet. Doch die Popularität der Musik von Johann Sebastian Bach verleiht dem unaufgeklärten Luthertum des Barock weiter eine Stimme. Um antijüdische Botschaften bei Bach geht es in einer Ausstellung in Eisenach.

Von Henry Bernhard | 27.06.2016
    Bach Bachwochen
    Johann Sebastian Bach als Puzzle bei den Thüringer Bachwochen (dpa / picture alliance / Michael Reichel)
    Johann Sebastian Bach, das Genie, der fünfte Evangelist, die in Musik gegossene Stimme des Luthertums – ein Antisemit? Oder zumindest ein Antijudaist, der Juden nur dann respektiert, wenn sie zum Christentum konvertieren? Die Ausstellung im Eisenacher Bachhaus stellt diese Fragen sehr deutlich. Der Direktor des Bachhauses und Kurator der Ausstellung "Luther, Bach – und die Juden", Jörg Hansen beantwortet sie auch ebenso:
    "Bach war strammer Lutheraner! Er schrieb ja auch für eine sehr orthodoxe Leipziger Gemeinde. Das heißt, die antijüdischen Aussagen, also die Betonung des Judentums hauptsächlich als negatives Beispiel für die christliche Gemeinde – das ist das, was Bach auch in seinen Passionen ausgedrückt hat!"
    Die Ausstellung leitet den Blick auf Bach auch an diesem vorbei, hin zu Luther. War im jungen Luther noch Hoffnung, dass sich die Juden von der Reformation mitreißen ließen und endlich Jesus als den Messias anerkennen und folglich zum Christentum konvertieren würden, so sah sich der spätere Luther enttäuscht und entschlossen antijüdisch. Nicht aus Altersstarrsinn oder befangen von gängigen Vorurteilen, sondern streng theologisch hergeleitet aus der Bibel.
    "Das ist der Grund, warum sich der Protestantismus bis heute damit schwer tut. Es wäre ja schön, wenn man sagen könnte: Aber er hat diesen Antijudaismus hergeleitet aus seinen Grundsätzen und gesagt: Schon die Erwähnung des Gottesnamens durch einen Juden ist eine Gotteslästerung. Deswegen: Weg mit ihnen! Die Vertreibung war die einzige Lösung für Martin Luther."
    Judenfeindliche Schriften in Bachs Bibliothek
    Die Ausstellung präsentiert Luthers Schrift "Von den Jüden und ihren Lügen", in der er dazu aufruft, Synagogen anzuzünden, Juden zu Zwangsarbeit zu zwingen, ihnen ihre Gottesdienste zu verbieten und sie zu vertreiben. Damals Anstoß für praktische Politik. Dagegen ist die Quellenlage für Bachs Antijudaismus – wie überhaupt zu seinem Leben – nicht so üppig. Da sind einerseits Hinweise aus seiner Privat-Bibliothek. Sie beinhaltete explizit judenfeindliche Schriften. Die Ausstellung zeigt ebenso, dass Bach in seiner Bibel genau jene Stellen angestrichen hat, auf die sich jene berufen, die von einer vermeintlichen jüdischen Verstocktheit ausgehen. Jörg Hansen:
    "Dort sagt der Kommentar, dass das sich auf die im Unglauben verharrenden Juden bezieht, die entsprechend der Vorhersage im Alten Testament nun schon 1500 Jahre – so bei Luther – 1500 Jahre im Exil und Elende ausharren müssen, als Strafe für ihren Unglauben. In dem Calov-Kommentar ist die Zahl dann schon auf 1600 Jahre korrigiert, und Bach korrigiert dann noch in seiner Ausgabe handschriftlich das Datum auf 1700 Jahre."
    1700 Jahre gerechtfertigtes Leiden des jüdischen Volkes – 1700 Jahre Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Bach hat es ihnen wohl gegönnt - den Anhängern jener Religion, aus dem das Christentum hervorging. So klingt es auch in seinen Passionen, dem lebendigsten Beweis für Bachs Antijudaismus für Jörg Hansen:
    "Die Turba-Chöre, "wild-dämonisch" nannte die Philipp Spitta, anderes Zitat dazu von Philipp Spitta ist, "fanatischer Haß in verschiedenfarbigsten Schattierungen", die Turba-Chöre "Kreuzige Barrabam, "sein Blut komme über uns und unsere Kinder" - die sind halt sehr kraftvoll und in der Charakterisierung chromatisch-dissonant, perfide obstinat; das ist eine Charakterisierung des verstockten Unglaubens. Dagegen hat Bach gesetzt: Die schönen Arien und die Choräle, die den Christenglauben der Gemeinde und die individuelle Reue darstellen. Bachs Passionen gewinnen ihre Aussage aus diesem Gegensatz, und ihre Attraktivität. Das ist ja dieses Mitfiebern, wenn man die Musik singt oder hört: Man hat diese aufwühlende Erzählung durch den Evangelisten mit den turbulenten Chören dazwischen, "Ach, jetzt fängt da schon wieder eine Arie an!" Dann ist diese Arie "Erbarme dich!" so schön; man möchte gar nicht, dass sie endet, "und jetzt müssen da wieder die blöden Juden brüllen!" Also, das ist dieser Gegensatz, aus dem diese Musik ihre unglaubliche Dynamik gewinnt; und das ist ein ganz lutherischer Gegensatz: Die Juden sind das Negativbeispiel für Unglauben – verstockt verharrende Sünder. Die Christen bereuen ihre Sünden, und im Glauben erfahren sie die Gnade Gottes!"
    Bach vom Sockel stoßen?
    Die Eisenacher Ausstellung stellt auch die Frage: Wie umgehen mit dem Bachschen Antijudaismus? Die Texte ändern? Die kritischen Stellen mit weniger Impetus spielen? Aufklärende Handzettel verteilen? All diese Vorschläge gibt es, sie wurden erprobt und zeigen sich der Bach'schen Wucht allemal unterlegen. Jörg Hansen empfiehlt, immer die Entstehungszeit mitzudenken, den Kontext der lutherischen Theologie, die keine Quellenkritik kannte, sondern nur die Bibel als das authentische Wort Gottes.
    "Die Schwierigkeiten, die man mit Bachs Passionen hat, mit dem Antijudaismus, der doch zum Vorschein kommt hier, sind vielleicht warnendes Beispiel dafür, dass man Bachs geistliche Musik nicht zu sehr verklären sollte! Ich glaube, in der Verehrung des Kirchenmusikers Bach weht immer noch der Nationalchauvinismus aus dem 19. Jahrhundert nach, in dem Bach auf einen ganz großen Sockel gestellt worden ist. Aber man sollte hier nicht versuchen, Bach so zu überhöhen, dass er die Aussagen der eigenen Kirche, der er angehörte, übertönt."
    … der Kirche, die sich in Fragen des Antijudaismus in den vergangenen Jahrzehnten massiv gewandelt hat. In einem zweiten Teil widmet sich die Eisenacher Ausstellung dem Phänomen, dass gerade jüdische Bürger, unter ihnen auch viele Konvertiten, wie zuallererst Felix Mendelssohn Bartholdy, Bachs Werk im 19. Jahrhundert zu einer Renaissance verholfen haben, die bis heute nicht abebbt.