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Antike Surrealisten

Geometrische Formen prägten die Kunst der Kelten: surreale Muster, die später durch die naturalistischen Darstellungen der Römer mehr und mehr verdrängt wurden. Das Historische Museum in Bern zeigt eine Auswahl von 450 keltischen Kunstschätzen aus ganz Europa: prachtvoller Schmuck, Gebrauchsgegenstände und Grabschätze.

Christian Gampert im Gespräch mit Katja Lückert |
    Katja Lückert: Die Kunst der Kelten ist im neuen Erweiterungsbau des Historischen Museums in Bern zu sehen, eine Auswahl von 450 keltischen Kunstschätzen aus ganz Europa: Prachtvoller Schmuck, Gebrauchsgegenstände, aber auch kürzlich entdeckte Neufunde aus Frankreich wurden da in der Schweiz zusammengetragen.

    Man kapriziert sich diesmal auf das Kunstschaffen der antiken Kelten, von den Anfängen im siebten Jahrhundert vor Christus bis zur Nachblüte in der irischen Buchmalerei um 700 nach Christus. Zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum werde dieses einzigartige keltische Kunstschaffen präsentiert. Ist da was dran, Christian Gampert, oder ist das die übliche Werbemelodie, die immer auf Prospekten und Webseiten gespielt wird?

    Christian Gampert: Also wenn man die Werbeslogans jetzt runterdampft auf Museumsniveau, dann ist das immer noch eine relativ gut inszenierte, reiche, bescheiden inszenierte Ausstellung, die doch sehr viel erzählt über die Entwicklung der keltischen Kunst und die in ganz kleinen Schritten vorführt, wie sich da etwas entwickelt, vor allen Dingen, wie diese Gesellschaft anfängt, zu denken. Und das ist doch etwas, was man im Museum eigentlich relativ selten erlebt.

    Lückert: Der Begriff "keltische Kunst" wurde durch den englischen Antiquar John Kemble, so las ich es, geprägt, 1857 gestorben. Er identifizierte vor allem ein dreiteiliges Fischblasenmuster als typisch keltisch. Später gab es da verschiedene Studien. Wie schafft es die Berner Ausstellung, da spezifisch keltische gegen andere Kulturen, zum Beispiel die Etrusker, abzugrenzen?

    Gampert: Ach, von den Etruskern haben die ja eine ganze Menge geklaut, mit denen hat die ja guten Kontakt. Das Keltische ist zunächst mal die Liebe zur Geometrie. Also das sind ja sämtliche Grabbeigaben, die wir zum Beispiel in diesem berühmten Fürstengrab bei Hochdorf bei Esslingen, die man da finden kann. Das sind alles so gepunktete Muster, gerade Linien, die dann im rechten Winkel aufeinander zulaufen, die sich wiederholen. Das sind alles geometrische Sachen, die sich dann erst langsam anfangen zu verflüssigen und so organische Formen annehmen.

    Und das deutet darauf hin, dass da so etwa im dritten Jahrhundert vor Christus Kontakt mit anderen Kulturen stattgefunden hat, kriegerischer Natur natürlich, aber auch handelsmäßig, und dass da überhaupt erst die Idee in der keltischen Kultur geboren wurde, dass man so was wie ein Abbild des Menschen machen könnte, also was die griechische Kultur ja schon lange tat.

    Allerdings wollten die Kelten den Menschen nie naturalistisch abbilden, sondern es sind immer stilisierte Formen, die dort bedient werden, so Art Strichmännchen. Es ist eine Liebe zur Abstraktion. Und erst viel später werden auch dann Gesichter gemacht, die aber auch so keilartig sind, richtig keilartige Nasen. Aus Punkten entwickeln sich Augen.

    Das ist besonders gut zu sehen an einem Exponat aus Bulgarien, das ist ja die größte Ausbreitung dieser Kultur: Über den Balkan und runter nach Italien sind sie gezogen. Das ist ein Führungsring für einen Pferdezügel, das sieht zunächst ganz ornamental aus, und das sind die typischen Kennzeichen, die dann auch später auftauchen, sogar noch nach Christus, in römischen Kaiserbüsten, die von Kelten gemacht worden sind - also der Kaiser Marc Aurel ist in genau dieser Form in einer goldenen Büste abgebildet. Und das ist das Kennzeichen der keltischen Kultur, diese Formensprache.

    Lückert: Klingt fast ein bisschen wie antike Surrealisten. Ist das so eine Faszination dieses Kunstschaffens?

    Gampert: Ja, ich finde es relativ abstrakt. Und es ist offenbar eine Kultur, die den Schematismus liebt; ganz anders als die Griechen und die Römer, die ja dann das Zepter ergreifen und die Kelten an den Rand drängen.

    Das wird von der Ausstellung dann auch relativ schön und ausführlich erzählt. Da stellt man dann eine Augustus-Statue, die da im römischen Reich dann ja überall aufgestellt wurde in einer bestimmten Form - also mit diesem vorwärts deutenden Arm: Da geht es lang. Aber selbst die Römer waren eben von dieser keltischen Kultur fasziniert, obwohl sie sie eben abdrängten. Und in den Randgebieten, da kann man dann auch später, nach Christus noch keltische Zeugnisse finden: in der Bretagne, in Schottland, in Irland, wo frühchristliche irische Mönche ihre Buchmalerei ja mit diesem Flechtwerk, mit diesen Wirbelzeichen dann die Evangelienbücher verzierten - und eben auch da keltische Traditionen dann noch fortführten.

    Lückert: Gibt es eigentlich schriftliche Zeugnisse?

    Gampert: Nein, gibt es nicht. Das ist ja unser Problem. Deswegen wissen wir ja eigentlich nichts über diese Gesellschaft, außer diesen Zeugnissen, die offensichtlich halt von der wohlhabenden Oberschicht, von den Fürsten hinterlassen worden sind.

    Also der Fürst von Hochdorf hat wahrscheinlich sein halbes Leben mit dem Nachdenken über seinen Nachruhm verbracht. Was der alles in seinem Grab drin hatte: einen Prunkwagen, Speisewerkzeuge, Trinkhörner, Pferdegeschirr, goldverzierte Schuhe - eine unglaubliche Inszenierung und großer Aufbau. Das ist 1978 zufällig gefunden worden bei Bauarbeiten und war - völlig unversehrt - nicht geplündert von Grabräubern, einer der größten Funde der Archäologiegeschichte.

    Lückert: Die keltische Sprache gehört zur indoeuropäischen Sprachgruppe. Christian Gampert über eine Ausstellung im Historischen Museum in Bern.