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Antike zum Anfassen

Auf dem antiken Gelände von Delphi gab es vor 150 Jahren noch eine Ortschaft, die Kastrí hieß. Durch ein starkes Erdbeben brachen Häuser in sich zusammen und tief unter den Fundamenten stießen Archäologen auf die antike heilige Stätte von Delphi.

Von Marianthi Milona |
    Wochenende. Minus 3 Grad Celsius. Ein wenig Wind, der sich eisig anfühlt. Zaghafte Schneeflocken, die bald in Regen übergehen. Doch das Tor zur antiken Ausgrabungsstätte von Delphi ist auch an diesem Tag geöffnet. An einem Wintertag im Februar durch Delphi zu laufen, hat durchaus seine Vorteile: Von der sommerlichen Hitze keine Spur! Frische Bergluft, eine noch immer grüne Landschaft, Gezwitscher von Lerchen, Elstern und Spatzen, die nur hier überwintern mögen. So mancher Greifvogel, wie der Adler, zieht auch gerne seine Bahnen nahe der Felsformationen, die sich oberhalb der Delphi-Stätte befinden. Und in der Ferne der Anblick des schneebedeckten Gipfels des Parnassos Gebirges. Wer zum nächstgelegenen 17 Kilometer entfernten Skiort Arachova fahren möchte, kommt sowieso am Eingangstor von Delphi vorbei.

    Ich hab mich mit Nikos Kondogiannis verabredet, einen echten Delpher, der die lokalen Gegebenheiten, wie kein Zweiter kennt. Und der zu seiner größten Überraschung, weil er noch so jung ist, kürzlich zum Bürgermeister von Delphi gewählt wurde.

    "Schauen Sie", sagt er, "dort oben hatten die Athener ihre Schätze aufbewahrt". Er zeigt auf einen aus weißen Marmor bestehenden Säulenaltar, der sich unmittelbar vor den Ruinen des Heiligtums des Apollon befindet. Die Ausgrabungsstätte von Delphi ist an einem Hang errichtet worden. Wer in Delphi von weit her anreiste, der hatte viele Fragen und suchte nach Antworten. Eine Weissagungsstätte ist es gewesen, in der Apoll, der Gott der Musen und der Künste, den Menschen Rede und Antwort gestanden haben soll. Doch ganz so einfach war das auch in der Antike nicht. Eine Frau, bekannt als Pythia, vermittelte zwischen Mensch und Gott, weswegen man sie wegen ihrer Prophezeiungen sehr fürchtete. Für Nikos Kondogiannis ist Delphi aber noch mehr als das.

    "Delphi ist noch immer der Ort, der die Kultur Griechenlands zusammenhält. Und es ist der Ort, der noch die Idee des Zusammenhalts der Kulturen repräsentiert. Denn sie dürfen eines nicht vergessen: das was wir heute als Organisation der Vereinten Nationen ansehen war das, was unsere antiken Väter vorhergesehen haben und es 2500 Jahre vor unserer Zeit ins Leben gerufen haben."

    In Delphi kamen in der Antike Menschen zusammen, um sich in schwierigen politischen Situationen beraten zu lassen. Sie trainierten dafür im Stadion, um ihren Körper und ihren Geist zu erleichtern. Sie wetteiferten miteinander, wer der beste in Kunst und Handwerk war und sie legten, ähnlich wie bei den Olympischen Spielen, für die Zeit der Wettkämpfe in Delphi ihren Waffen nieder. Heute wissen wir sogar, dass die alten Griechen für schwerwiegende Entscheidungen, sich bedeutende Orte aussuchten. Und das war sowieso eine Kunst für sich.

    "Delphi galt als das Zentrum der Welt und ich glaube, dass es noch immer das Zentrum der Welt ist. Wenn Sie mal bei Google Earth im Internet reinschauen, sich also die geographische Lage von Delphi anschauen, werden sie feststellen, dass unsere antiken Väter keinen Ort zufällig irgendwo gründeten. Alles war mit mathematischer Genauigkeit berechnet. Bei den wichtigen, vor allem auch heiligen Orten der Antike handelte es sich immer um Energie geladene Plätze. Manchmal stellten sie die Spitze eines Dreiecks aus drei verschiedenen Orten dar. Wir wissen bis heute nicht, auf welche Weise die alten Griechen sie berechneten und entdeckten. Ähnlich wie Delphi wurden ja auch Orte, wie Dodoni, Olympia und Athen exakt berechnet und gegründet."

    An der Opferstätte von Delphi, dort wo die Pythia erschien und ihre Weissagung aussprach, erweckt auch heute bei den Besuchern großes Interesse. Viele würden gerne etwas fragen, oder auf eine Antwort hoffen. So steht auch der Bürgermeister von Delphi vor dem antiken Opferaltar.

    "Ich wünsche mir eine Pythia könnte den Menschen heute prophezeien, dass das Geld nicht der Garant für absolutes Glück ist. Dass das Geld nur Mittel zum Zweck sein kann. Für das Glück sind wir selbst verantwortlich. Und das bedarf immer unserer eigenen, individuellen Bemühung. Viele Menschen auf dieser Welt haben das vergessen."

    Seitdem Griechenland aufgrund der Wirtschaftskrise in aller Munde ist, hat die griechische Tourismusbranche in den letzten beiden Jahren starke Einbussen hinnehmen müssen. Delphi hat davon nicht viel gemerkt. Die 2000 Seelengemeinde verbucht jährlich eine 300-Tage Saison. Das stellt für Griechenland eine Ausnahmesituation dar. Nur die deutschen Besucher, eigentlich die Treusten, sind in den beiden letzten Jahren immer weniger nach Delphi angereist. Dagegen haben so viele Franzosen, Engländer, Holländer und Italiener, Delphi besucht wie noch nie zuvor. Jetzt will der Bürgermeister die deutschen Gäste mit Kulturveranstaltungen nach Delphi locken.

    "Die schönste Erinnerung, die ich in Delphi habe, ist als ich als Kind, die antiken Aufführungen im Delphi-Theater besuchen durfte. Ein Theater, dass die letzten 30 Jahre aus Sicherheitsgründen nicht mehr für Aufführungen genutzt wird.
    Wir haben in diesem Jahr mit ersten Restaurierungsarbeiten begonnen. Die finanziellen Mittel für eine Wiederbelebung des antiken Theaters in Delphi, sprengen allerdings unser Budget. Wir werden aber alles versuchen, um private Investoren zu finden, die uns bei unserem Vorhaben zukünftig unterstützen können."

    Was in Delphi ungewöhnlich ist: die Kombination zwischen Berg und Tal. 15 Minuten braucht der Besucher, um in eines der berühmtesten und am besten ausgebauten Skizentren des Landes zu gelangen. Und ebenfalls nur 15 Minuten sind es bis an die Küste. Die Fahrt entlang eines weitauslaufenden Tals voller Olivenbäume bis hinunter zur Küste gehört zu den stärksten Erinnerungen, die man von Delphi wieder mit nach Hause nehmen kann. In Delphi ist auch eines der größten europäischen Kulturzentren zu Hause. Viele Seminare und Kongresse finden hier alljährlich statt. Deshalb legt der junge Bürgermeister Kondogiannis den Focus auf die kulturellen Veranstaltungen seiner Region. Vor allem hat er einen Traum.

    "Da wir nicht vergessen dürfen, dass alle Bürger in Delphi von und mit dem Tourismus leben, habe ich vor, das Theater für antike Zeremonien freizugeben. So könnte der fremde Gast, der uns in Delphi besucht, mit seiner Liebsten und seinen Freunden eine altgriechische Hochzeitszeremonie zelebrieren. So etwas hat es seit der Antike bei uns nicht mehr gegeben."

    Ob für eine antike Hochzeitszeremonie oder einer kulturellen Rückführung in die Antike: ich stelle fest, dass mir der winterliche Ausflug in die griechische Antike gut getan hat. Das Laufen durch Stock und Stein, vorbei an den zahlreichen Schatzkammern meiner Vorfahren vermittelt mir den Eindruck, dass das Bitten und das Opfern in der Geschichte der Menschheit immer von größter Bedeutung war. Nehmen und Geben gehörten unweigerlich zusammen. Wie zwei Seiten einer Medaille. Meine Bitten an Apoll, nun die will ich für mich behalten. Aber ich kehre zurück mit den letzten Wünschen des Bürgermeisters von Delphi, Nikos Kondogiannis. Als ein delphischer Bürger aus Griechenland, sind seine Worte an die Westeuropäer vielleicht ein wenig mehr von Bedeutung.

    "Ich hätte eine Nachricht aus dem antiken Weissagungsort von Delphi. Gerichtet an die europäische Welt: Ob wir es nun alle mögen oder nicht, die Geschichte wiederholt sich. Es wäre nicht unklug einmal nachzulesen, was die antiken Weissagungen in solchen Situationen den Menschen mitzuteilen hatten. Die Pythia hatte zwar immer enigmatisch und in Rätseln gesprochen. Eines gab sie aber immer unmissverständlich zum Ausdruck: Dass es zu jedem Anfang auch ein Ende gibt. Ganz sicher aber, werden in unserem, griechischen Fall, die Finanzprobleme weder der Anfang noch das Ende unseres Daseins darstellen."