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Antikes Einkaufszentrum

Es soll ein mittelalterliches Einkaufszentrum gewesen sein, glauben römische Archäologen. Sie entdeckten bei Grabungen im Kolosseum Herdfeuerstellen, Mauerwerk und den Boden eines Stockwerks, die aus der Zeit um das 12. Jahrhundert stammen und wahrscheinlich zu einem Wohnhaus gehörten.

Von Thomas Migge | 30.07.2011
    So kennt man das Kolosseum: um ihr Leben kämpfende Gladiatoren, die sich schwer bewaffnet gegenüberstehen und von einem begeisterten Publikum angefeuert werden.

    Das in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts errichtete größte römische Amphitheater, 156 Meter breit, 188 Meter lang, mit einem Umfang von 527 Metern und einer Höhe von 48 Metern, wurde über 400 Jahre lang als Arena genutzt. Wahrscheinlich im Jahr 435 fanden die letzten Gladiatorenkämpfe statt. Mit den Tierhetzen ging es noch weiter, bis 523. Dann musste das gigantische Kolosseum schließen. Im christlichen Rom waren solche heidnischen Vergnügungen verboten. Wer aber denkt, dass das Gebäude, in dem einst circa 50.000 Zuschauer Platz fanden, für immer schloss, der irrt sich, erklärt Architekt Riccardo Martone von der Universität Roma 3:

    "Man muss daran erinnern, dass mit dem Verfall des Kolosseums seine Nutzung nicht unterbrochen wurde. Im Gegenteil. Man weiß seit Langem, dass es in dem Arenenoval auch nach der Antike recht lebendig zuging. Wir hatten nur bisher keine archäologische Beweise dafür."

    Die wurden jetzt aber gefunden. Sechs Wochen lang gruben Nachwuchsarchäologen der Universität Roma 3. Bis zu eineinhalb Metern gingen die Wissenschaftler in die Tiefe. Grabungsgebiet ist der Boden im ersten Rang des Kolosseums. Hier wurden unter anderem Herdfeuerstellen, Mauerwerk und der Boden eines Stockwerks entdeckt, die aus der Zeit um das 12. Jahrhundert stammen und wahrscheinlich zu einem Wohnhaus gehörten.


    "Das sind natürlich provisorische Forschungsergebnisse, die durch weitere Grabungen noch bestätigt werden müssen, aber diese Grabungsergebnisse decken sich mit dem Inhalt der Dokumente, die im Archiv der Kirche Santa Maria Nova untergebracht sind. In diesen Dokumenten ist nur von Gebäuden die Rede; um was für Gebäude es sich handelt, wussten wir bisher nicht. Hier weiterzuforschen, das ist unsere Strategie."


    Der Kirche Santa Maria Nova gehörte seit dem 10. Jahrhundert die gigantische Ruine des Kolosseums. Sie vermietete darin Räumlichkeiten. Wofür, war bislang weitgehend unbekannt. Die neuesten Grabungen bringen nun aber Licht in das Dunkel der mittelalterlichen Baugeschichte der Arena - die ab dem 6. Jahrhundert auch als Steinbruch zum Bau neuer Gebäude genutzt wurde.

    Die Archäologen der Universität Roma 3 stießen auf Gebäudereste, die auf die Präsenz zahlreicher Gewerbelokale hindeuten. Italiens Medien nennen das Kolosseum in diesem Zusammenhang bereits Roms erstes Shoppingcenter.

    Dazu der Archäologe Carlo Montisi:

    "Wir haben uns den Kopf darüber zerbrochen, was in den entdeckten Räumlichkeiten untergebracht war. Wir sind inzwischen davon überzeugt, dass es sich um Werkstätten, Geschäfte und Lokale zum Essen und Trinken handelte. Gleichzeitig wohnten die Geschäftsleute auch hier. Das ergaben unsere archäologischen Grabungen."

    Ein mittelalterliches Einkaufszentrum also. Jedenfalls bis zu einer gewissen Zeit. Zunehmend nutzten ab 13. Jahrhundert dann nämlich Roms Adelsfamilien die Steine des Kolosseums als Baumaterial für ihre neuen Paläste. Diese langsame Zerstörung wurde erst im 18. Jahrhundert beendet. Als Papst Benedikt XIV. das Kolosseum zur Märtyrerstätte erklärte. Ein päpstliches Edikt von 1744 ordnete auch den Erhalt der restlichen Ruine an. Die letzten Einwohner der Arena mussten umziehen.

    Die jüngsten Grabungen sollen fortgesetzt werden. Geplant ist, wahrscheinlich ab diesem Herbst, dass die neuen Grabungsstätten mit den Resten von Wohngebäuden, Geschäften und Kneipen aus dem Mittelalter in den Besichtigungsparcours des Kolosseums einbezogen werden.