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Antikisierendes Stück im Amphitheater

Beim Hellenic Festival trifft sich die internationale Theateravantgarde. Im großen und malerisch gelegenen Amphitheater von Epidaurus war die Premiere von "Phaedra" mit Helen Mirren in der Hauptrolle zu sehen. Doch die Inszenierung zwischen hohem Pathos und Alltagston orientierte sich an der direktesten Wirkung und vermochte nicht richtig zu überzeugen.

Von Hartmut Krug | 12.07.2009
    Zerrissen von Leidenschaft und Scham, leidend und liebend, wirft sich Phädra in den Sand der offenen Bühne. Einen fließenden Schleier über langem goldblonden Haar und purpur prunkendem Gewand, gibt sich die Schauspielerin Helen Mirren bei Phädras mitleidheischender innerer Konfliktsituation ganz dem äußerlichen theatralen Effekt hin, - und beherrscht so die runde Orchestra des antiken Theaters mit ihren zwanzig Metern Durchmesser.

    Nicht vor mächtigen Steinquadern wie im Londoner National Theatre, sondern vor hohen, leicht nach hinten geneigten rostigen Wänden, aus denen ein Steg in die Orchestra führt, werden die Schauspieler immer wieder als Dekoration im weiten Rund verteilt. Nicholas Hytners Inszenierung mit den Filmstars Helen Mirren und Dominic Cooper gibt die große Tragödie als Sprech- und Stehtheater. Dabei klingt Helen Mirrens Theaterton, als stünde sie unter der Anspannung eines Mottos, das da lautet: "Hier wird Theater als Kunst gemacht!"

    Die Geschichte der in ihren Stiefsohn Hippolytos verliebten Königin Phädra, die mit ihrer Liebe zurückgewiesen wird und bei der Rückkehr ihres als tot gemeldeten Gatten Theseus dem Stiefsohn aus Selbstschutz eben des Vergehens bezichtigt, das sie beging, hat nach Euripides etliche Dichter zu eigenen Versionen angeregt. Racines 1677 in Paris uraufgeführte "Phädra" untersucht die Ehrbegriffe seiner höfischen Gesellschaft. Es geht um Schuld und moralische Kraft. Das Stück wirkt wie eine Tugendschule mit seiner Feier einer durch Vernunft zu erreichenden Ordnung. So lässt Racine auch die untugendhaftesten Handlungen nicht Phädra, sondern deren Amme unternehmen.

    Was den Regisseur Nicholas Hytner an diesem Stück interessiert, wird nie deutlich. Die Geschichte einer älteren Frau, die verzweifelt gegen eine inzestuöse Liebe kämpft, bei der sie in der unschuldigen, jungfräulichen Jugenderscheinung ihres Stiefsohns das Wunschbild des eigenen, ihr unentwegt untreuen Ehemanns zu entdecken glaubt, hat es auf deutschen Bühnen immer schwer gehabt. Eine psychologisierende Inszenierung kommt dem Stück und seinem Thema kaum bei. So versuchte es Peter Stein an der Berliner Schaubühne Ende der 80er-Jahre mit einer in große Bilder gegossenen hohen Form und erzählte damit eine Geschichte der Berührungsängste, während kurz davor Alexander Lang in München das Pathos des Stückes brach, indem er die Selbstinszenierungen der Figuren als Trugbilder entlarvte und deren gesellschaftliche Zwänge ironisch als Verbotene-Liebe-Fernsehspiel-Klischees ausstellte.

    Nicholas Hytner benutzt beides, Fernsehspiel-Klischees und hohe, vor allem aber hohle Pathosformen. Schiller hat, als er die Phädra des Euripides in Blankverse übersetzte, das Fehlen menschlicher Wahrheit und Natürlichkeit beklagt und vor "des falschen Anstands prunkende(n) Gebärden" gewarnt. Genau diese hohlen Pathostöne und großen Gesten aber bestimmen das Spiel von Helen Mirren. Die Schauspielerin hebt die Hände gen Himmel, legt den Kopf in die Hand und stützt beides auf den anderen Ellenbogen, ihre Phädra wird in jeder Szene von gestisch überdeutlicher Bedeutung bestimmt. Die Darstellerin ihrer jungen Rivalin Arikia flattert mit ausgebreiteten Armen im weißen Unschuldskleid umher, während Dominic Cooper als Hippolytos nicht diesen darstellt, sondern sich selbst im Unterhemd ausstellt, und der massige Darsteller des Theseus schließlich dröhnt mit der gesamten Palette abgenutzten Repräsentationstheaters durch das Stück. Die Inszenierung weiß weder etwas von den Erkenntnissen, die Roland Barthes anhand des Stückes zum Verhältnis von Sprechen und Schweigen gewonnen hat noch etwas von der Poesie des Blickes, die Jean Starobinski aus ihm entwickelte.

    Ted Hughes hat die tödliche Tragödie in ein Alltagsenglisch übersetzt, das mit flachen Metaphern auftrumpft. Die Inszenierung schwankt zwischen hohem Pathos und Alltagston und orientiert sich stets an der direktesten Wirkung. So fassen sich die Personen, ganz gegen ihre Angst-Liebe-Haltungen, oft an. Und während die resolute Amme mit taffem Boulevard-Ton Lacher sammelt, moduliert Phädra den bedeutungsvollen hohen Ton als Kunstform, und die Zikaden lärmen ihr Dauerkonzert dazu.

    Dennoch vermag dies unbewegliche Stehtheater die weite offene, von der nächtlichen Dunkelheit wie von Wänden umschlossene Bühne eine zeitlang spannungsvoll zu beleben, doch spätestens nach der Hälfte der fast zwei pausenlosen Aufführungsstunden erschöpft sich sie sich, weil sich die Gesten und Töne monoton wiederholen. Nicht nur der Bericht vom schrecklichen Tod des Hippolytos tönt hohl, sondern auch Phädras Verzweiflung wirkt schließlich nur noch wie eine Pose. Wenn Arikia hier gar die blutigen Reste des toten Hippolytos auf einer Plane hereinzieht und wenn schließlich Phädra mit zitternder Hand berichtet, dass sie Gift geschluckt habe, dann wird die Aufführung mit ihrer Handfestigkeit, in der sie realistische Überdeutlichkeit mit hohem Theater-Kunst-Getue zu vereinen sucht, für den griechischen Zuschauer bald langweilig und für den deutschen Zuschauer eher unfreiwillig komisch.

    Den meisten Applaus gab es ohnehin vor der Aufführung, - als sich in der ersten Reihe des Halbrunds der eng besetzten, steil ansteigenden Steinreihen Tom Hanks erhob, um mit seinem Handy die Zuschauer zu fotografieren.