Mittwoch, 24. April 2024

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Antisemitismus an Schulen
"Das Internet ist ein Brandbeschleuniger"

"Der Antisemitismus war nie ganz weg - er wird aber durch die digitalen Medien sichtbarer und teilweise auch radikaler", sagte Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter in Baden-Württemberg, im Dlf. Es sei wichtig, bei der Aufklärung nicht darauf zu setzen, bei den Schülern Schuldgefühle zu wecken.

Michael Blume im Gespräch mit Benedikt Schulz | 27.01.2020
Schülerinnen und Schüler der Liebfrauenschule schwenken zum Ende eines Erinnerungsgangs zum Gedenken an die Ereignisse der Reichspogromnacht im November 1938 eine israelische Flagge im Innenhof des historischen Gefängnisses im heutigen Gerichtsviertel. Foto: Hauke-Christian Dittrich | 10.11.2018, Niedersachsen, Oldenburg
Schüler protestieren gegen Antisemitismus: "Wir setzen uns mit der Geschichte auseinander, nicht um Schuldgefühle zu wecken, sondern weil es um Zukunft geht", sagt Michael Blume. (dpa / picture alliance / Hauke-Christian Dittrich)
Antisemitismus ist ein Problem in unserer Gesellschaft, das hat sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr gezeigt, denn auch nach Jahrzehnten politischer Bildung in deutschen Schulen ist es gerade in den vergangenen Monaten vermehrt zu antisemitischen Vorfällen an Schulen gekommen. Wie soll man damit umgehen?
Michael Blume ist Landesbeauftragter gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg, er ist regelmäßig in dieser Funktion zu Besuch in Schulen.
Abstumpfung durch digitale Medien
Schulz: Herr Blume, Sie waren heute den ganzen Vormittag auf Schulbesuch in Mannheim, Sie haben da also jetzt frische Eindrücke, wenn man so will. Was haben Sie da für einen Eindruck gewonnen, wie stehen die Schülerinnen und Schüler dort zum Thema Antisemitismus?
Blume: Ich hab ganz bewusst am heutigen Jahrestag gesagt, ich möchte in Schulen gehen, möchte mit jungen Menschen sprechen und arbeiten. Es ist tatsächlich so, dass ich hier an einer Schule bin, die sehr aktiv ist in dem Bereich, wo tolle Dinge laufen, die aber trotzdem oft mit antisemitischen Vorfällen zu kämpfen hatte und damit gut umgegangen ist: das gemeldet hat, sich damit auseinandersetzt. Hier finden bei allem Übel auch ganz tolle Dinge statt, gerade auch an Schulen. Es gibt dort total engagierte Lehrerinnen und Lehrer und auch Schülerinnen und Schüler, die sich richtig interessieren.
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Schulz: Ja, jetzt haben Sie es gerade gesagt, es gab antisemitische Vorfälle an dieser Schule vor einigen Wochen noch, es sind aber keine Einzelfälle, das gibt es auch an anderen Schulen. Vielleicht können Sie es mal beschreiben, von was für Vorfällen wir da sprechen?
Blume: Es fragen sich ja viele Leute, warum der Antisemitismus jetzt eigentlich wieder da ist, wie das sein kann am Anfang des 21. Jahrhunderts. Es ist so: Der Antisemitismus war nie ganz weg, es gab ihn immer, er wird nur jetzt sichtbarer und teilweise auch radikaler durch die digitalen Medien. Das heißt zum Beispiel, in Facebook-Gruppen oder in WhatsApp-Gruppen, da kommen Witze, da wird aufgestachelt, und manche Leute merken dann auch selber nicht mehr, wie weit sie da eigentlich gehen.
"Niemand wird als Antisemit oder Rassist geboren"
Und das ist ein Problem, das haben wir durchgängig, ich krieg da sehr, sehr viel mit aus den Schulen, aber in den meisten Fällen versucht man das eher zu vertuschen und nicht dran zu arbeiten. Genau das ist aber das Wichtige.
Jedem kann auch mal was danebengehen, aber dann muss man drüber sprechen und dann muss man auch für sich Konsequenzen ziehen. Ich muss zum Beispiel sagen, leider sind die sogenannten sozialen Medien ein Ort, an dem leider auch manche Leute – ja, an dem eine Verrohung stattfindet, und zwar nicht nur in der jungen Generation. Niemand wird als Antisemit oder als Rassist geboren, sondern das kommt ja von woher, und das Internet ist da leider ein großer Brandbeschleuniger.
Schulz: Genau. Jetzt ist eben die Frage, wie kommt der Antisemitismus eigentlich in deutsche Klassenzimmer. Sie haben jetzt sozusagen den technischen Weg, wenn man so will, beschrieben oder zumindest die Art und Weise, wie der Antisemitismus verbreitet und eben katalysiert wird, wenn man so will. Aber wie kommt der Antisemitismus denn zu den Schülern hin? Sie haben ja selber gesagt, man wird ja nicht als Rassist, als Antisemit geboren – wie kommt man denn mit antisemitischen Stereotypen zum Beispiel in Berührung?
Blume: Ja, es ist so, dass wir Menschen durchaus dazu tendieren, dass wir uns die Welt über Glaubenssätze erklären. Man kann natürlich glauben, dass die Welt von guten Mächten regiert wird und dass ich sie erforschen kann und dass sich etwas im Guten verändern kann, aber Menschen können auch glauben, dass böse Mächte die Welt beherrschen, dass alles eine riesige Verschwörung ist: die Medien, die Politiker, die Ärzte, die Journalisten.
"Der Verbreitungsweg hat sich erleichtert"
Und dieser Glaube, den kann man relativ leicht auch triggern, und da ist quasi die Gefahr, wenn dann Menschen da sind, die sagen: Hast du schon gehört, diese Juden und man weiß, ja … Das geht einmal über Peergroups, also über Gleichaltrige, das geht aber auch ganz stark von älteren Generationen auf jüngere, und das ist auch nicht neu. Wir haben auch früher in Deutschland gehabt die sogenannten Altnazis und die Neonazis, nur durch das Net ist es jetzt halt noch viel, viel einfacher.
Die Leute, die den Hass verbreiten wollen, die machen jetzt halt ein Meme und schicken das umher und suchen da leichte Beute. Das heißt, der Verbreitungsweg hat sich erleichtert.
Außerdem ist es natürlich so, dass ich den Gesprächspartner auch nicht sehe. Bei manchem Witz würde ich den nie reißen, wenn ich jemanden direkt ins Gesicht dabei schaue, aber im Internet, in einer WhatsApp-Gruppe da schreibt sich so was schneller, und andere feuern das vielleicht sogar noch an, und das führt zu so einer Verrohung. Das sehen wir am Antisemitismus, aber nicht nur da. Wir haben hier inzwischen Drohungen, das hat so zugenommen.
Deswegen sag ich immer, wie der Buchdruck, wie die elektronischen Medien – Radio und Film –, das hat unglaublich positive Effekte, aber es hat auch immer eine gefährliche Unterseite, und mit der müssen wir uns jetzt auseinandersetzen, damit uns nicht wieder eine Gesellschaft auseinanderfliegt. Deswegen bin ich so dankbar, dass Schulen da echt viel machen und dass es total engagierte Leute gibt, die sagen, diesmal werden die es nicht schaffen, unsere Demokratie wieder kaputt zu machen. Und daran glaube ich fest.
"Es geht hier nicht um Schuld"
Schulz: Es gibt eine Klage von Schülerinnen und Schüler, die gibt es auch nicht erst seit diesem Jahr, das gab’s auch schon zu meiner Schulzeit, dass es ein Übermaß an Nationalsozialismusthemen im Unterricht gibt. Also einerseits, das Thema spielt eine große Rolle in der Schule, andererseits gibt es trotzdem Antisemitismus. Ist da ein Missverhältnis, läuft da irgendwas schief an den deutschen Schulen?
Blume: Ja, also natürlich nicht an den deutschen Schulen, aber ich kenne das auch, mir ist es auch selber so gegangen. Vor allem ist es wichtig, auch zu vermitteln, dass es hier nicht um Schuld geht. Also hier hat niemand der heutigen Schülerinnen und Schüler und auch schon meiner und Ihrer Generation hat irgendeine persönliche Schuld. Mit Schuldgefühlen zu arbeiten oder Menschen zu überwältigen, ihnen Leichenberge vorzusetzen, was wir im Beitrag gehört haben, dass das auch nach hinten losgehen kann, das sehe ich absolut auch so.
Man muss klarmachen, wir setzen uns mit der Geschichte nicht auseinander, um Schuldgefühle zu wecken, sondern dass es um Zukunft geht, nämlich darum, dass wir als Juden Christen, Muslime, anders [Glaubende], nicht Glaubende in Frieden und Freiheit zusammenleben können, dass wir aus der Geschichte lernen. Aber wenn Schülerinnen und Schüler das Gefühl haben, ihnen wird was aufgedrückt, sie werden in eine Ecke gedrängt – ob das Kinder mit oder ohne Migrationsgeschichte sind –, das kann auch leicht nach hinten losgehen.
Deswegen bitten auch Lehrerinnen und Lehrer – sie bitten um Fortbildung, sie bitten um neues Lehrmaterial, weil mit den Sachen aus den 80er-Jahren kann man heute einfach nicht mehr arbeiten. Gut gemeint ist halt nicht immer gut gemacht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.