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Antisemitismus-Debatte
"Krass einseitig"

Der evangelische Theologe Ulrich Duchrow nennt in seinem jüngsten Buch Israel einen Apartheidstaat. "Nicht hinnehmbar", sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung. Die EKD hat das Buch erst unterstützt, nun distanziert sie sich.

Von Michael Hollenbach | 07.06.2018
    Bei Protesten im Gaza-Streifen setzen Palästinenser Autoreifen in Brand.
    Proteste im Gaza-Streifen: Die Verteidigung Israels sei "nur auf Gewalt" aufgebaut, sagt der Theologe Ulrich Duchrow (MAHMUD HAMS / AFP)
    Seit Jahren engagiert sich Ulrich Duchrow im Israel-Palästina-Konflikt – mit Positionen, in denen er zum Beispiel die israelische Besetzung der Palästinensergebiete als "Sünde gegen Gott und die Menschen" bezeichnet. In seinen Aufsätzen zu dem Thema weise er Israel einseitig die alleinige Schuld an der Eskalation des Konfliktes zu, kritisiert der Sozialwissenschaftler Hermann Lührs:
    "Wenn man sagt, der Staat Israel sei die Ursache, blendet man mindestens aus zentrale weitere Umstände oder verkennt überhaupt die Zusammenhänge und die Verläufe der Staatsgründung und der Entwicklung danach. Duchrow reflektiert nicht die seinen Thesen entgegenstehenden Sachverhalte, es ist eine einseitige Darstellung, die realitätsabgehoben ist. Das zweite Kennzeichen ist, dass in den Beschreibungen und Wertungen, die vorgenommen werden, klassische judenfeindliche Stereotype aufgerufen werden."
    Stereotype wie eine Amoralität und Dämonisierung Israels sowie die Verbindung zwischen Holocaust und Vertreibung der Palästinenser. Ebenso wie Lührs sieht auch der Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, die Äußerungen Duchrows als israelbezogenen Antisemitismus.
    "Ich finde vor allem die Vergleiche Israels mit einem Apartheitsstaat sehr kritisch. Der Vergleich ist nicht hinnehmbar. Das demokratische System Israels zu vergleichen mit dem Unrechtstaat, der Südafrika war zu Zeiten der Apartheid, ist nicht hinnehmbar", sagt Felix Klein.
    Der emeritierte Theologieprofessor Ulrich Duchrow, der zur Zeit in Brasilien ist, wehrt sich per Skye gegen den Vorwurf, er bestreite das Existenzrecht Israels:
    "Es ist in diesem Band vollkommen klar dargestellt, dass wir besorgt sind über die langfristige Sicherheit Israels, weil nämlich: wenn die Verteidigung Israels nur auf Gewalt aufgebaut wird, dass es dann unmöglich ist, auf Dauer in Frieden zu leben."
    "Offensichtlich versagen einige Kontrollmechanismen in der evangelischen Kirche"
    Duchrow hat sich mehrfach entschieden gegen den Antijudaismus und Antisemitismus Luthers gewandt und spricht von einer Schuld der Kirche gegenüber dem Judentum. Allerdings vertritt er zugleich die These, "dass diese Schuld nicht aufgearbeitet werden kann ohne nicht nur die jüdischen Opfer einzubeziehen, sondern auch die palästinensischen Opfer der Folgen dieses christlichen Antijudaismus und Antisemitismus in Europa."
    In dem von Duchrow herausgegeben Band "Religionen für Gerechtigkeit in Palästina-Israel" wird unter anderem die These vertreten, man müsse von einer ‚Post-Holocaust-Ära‘ zu einer Post-Nakba-Ära kommen. Das heißt, der Schwerpunkt kirchlicher Arbeit soll künftig nicht mehr auf den christlich-jüdischen Dialog gelegt werden, sondern auf die Solidarität mit den Palästinensern. Eine These, die Friedhelm Pieper, der evangelische Präsident des Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit zurückweist:
    "Ich finde, dass die Infragestellung des christlich-jüdischen Dialogs sehr genau wahrgenommen werden muss. Es widerspricht ja allen Verlautbarungen der EKD zum christliche-jüdischen Verhältnis in den letzten Jahren. Wir erwarten dass man künftige Kooperation mit Ulrich Duchrow überprüft im Blicke der Verzerrung der Verständnisbemühungen mit dem Judentum und im Lichte der krassen einseitigen Israelkritik."
    Verärgert ist der Koordinierungsrat, dass die EKD das Duchrow-Projekt offenbar gut heißt. Denn zu Beginn seines Buches bedankt sich der emeritierte Theologieprofessor für die Unterstützung unter anderem durch die EKD, die hannoversche Landeskirche und "Brot für die Welt". Auch Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, hat kein Verständnis für die protestantische Rückendeckung der Duchrow-Position:
    "Offensichtlich versagen einige Kontrollmechanismen in der evangelischen Kirche und hier würde ich mir wünschen, dass sich das ändert."
    Auch der evangelische Präsident des Koordinierungsrates Friedhelm Pieper ist irritiert von seiner Kirche.
    Er sagt: "Da entsteht ein Widerspruch, was gilt in der evangelischen Kirche, wenn die Position von Duchrow als förderungswürdig angesehen wird, dann stimmt das nicht mit den Positionen der Synode zum Antisemitismus überein."
    "So ein Buch bleibt, das andere ist ein Lippenbekenntnis"
    Rabbiner Andreas Nachama, jüdischer Präsident des Koordinierungsrates, fragt sich, was er davon halten soll, wenn der Rat der EKD noch im April jede Form von Antisemitismus scharf verurteilt hat.
    "Lippenbekenntnisse.", sagt Nachama. "Was ist das, wenn so ein Buch dabei rauskommt. So ein Buch bleibt, das ist die Position, und das andere ist ein Lippenbekenntnis. Ich würde gern mal wissen, was der Sprecher der EKD dazu sagt. Das wird interessant sein, wie die zu solchen Positionen stehen."
    Doch die EKD will den Ball flach halten. Kein Interview zu dem brisanten Thema. Lediglich schriftlich teilt ein Sprecher mit:
    "Die EKD verurteilt jede Form von Antisemitismus scharf. Von dem Beitrag von Herrn Duchrow distanziert sich die EKD inhaltlich. Der Text steht in keinerlei Zusammenhang zu Veröffentlichungen der EKD."
    Trotz dieser Erklärung bleibt Rabbiner Andreas Nachama skeptisch:
    "Meine Erwartungen an die Kirche sind niemals besonders groß gewesen. Den christlich-jüdischen Dialog kann man den Kirchen nicht überlassen."
    Der Münsteraner Lit-Verlag hat derweil einen Rückzieher gemacht. Verleger Wilhelm Hopf stört sich vor allem an Passagen aus dem Buch, in dem der BDS-Boykott Israels unterstützt wird und die Hamas als eine "seriöse politische Kraft mit großer sozialer Tiefe" bezeichnet wird. Oder wenn Ulrich Duchrow schreibt:
    "Eine neue Runde theologischer Arbeit muss darauf zielen, beide Traumata ernst zu nehmen: den Holocaust und die ethnische Säuberung Palästinas, die mit der Vertreibung von 700.000 Palästinensern begann und bis zum heutigen Tag von Israel als illegaler Besatzungsmacht unter notorischer Missachtung von Völkerrecht und Menschenrechten fortgesetzt wird."
    Dazu schreibt der Verleger Wilhelm Hopf dem Autor Ulrich Duchrow:
    "Eine Vertreibung mit industriellem Massenmord gleichzusetzen ist inakzeptabel."
    Der Lit-Verlag hat jedenfalls entschieden: Das Buch "Religionen für Gerechtigkeit in Palästina-Israel" wird nicht neu aufgelegt.