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Antisemitismus
Europa ruft Juden zum Bleiben auf

Ein Anschlag auf eine Synagoge in Kopenhagen, die Schändung eines jüdischen Friedhofs in Frankreich: Israels Regierungschef Netanjahu hat die Juden in Europa erneut zur Auswanderung in den jüdischen Staat aufgefordert. Aus Berlin und Paris erntet der Appell Widerspruch.

16.02.2015
    Vor der jüdischen Synagoge in Kopenhagen liegen nach dem Anschlag tausende Blumen; einige Menschen haben auch kleine Fahnen von Israel, Dänemark und Deutschland in das Blumenmeer gesteckt.
    Vor der jüdischen Synagoge in Kopenhagen liegen nach dem Anschlag tausende Blumen; einige Menschen haben auch kleine Fahnen von Israel, Dänemark und Deutschland in das Blumenmeer gesteckt. (dpa / picture-alliance / Bax Lindhardt)
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sicherte den Juden in Deutschland ihre Unterstützung zu. Die Regierenden und die Verantwortlichen werden alles dafür tun, dass die Sicherheit jüdischer Einrichtungen und die Sicherheit der Bürger, die jüdischer Herkunft sind, gewährleistet werde, sagte Merkel. "Wir sind froh und auch dankbar, dass es wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt", sagte die Kanzlerin. "Wir möchten gerne mit Juden, die heute in Deutschland sind, weiter gut zusammenleben."
    Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, stellte sich ebenfalls gegen den Aufruf des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu. "Ein Exodus der europäischen Juden nach Israel ist keine Lösung der massiven Gefährdung durch islamistischen Terror", sagte Knobloch. Der islamistische Terror bedrohe die europäischen Demokratien als Ganzes. "Wer in Europa Juden angreift, greift die gesamte europäische Gesellschaft und ihre freiheitlichen Werte an."
    Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Charlotte Knobloch
    Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München und Oberbayern, Charlotte Knobloch (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
    Die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt hat die Juden nach den Anschlägen in Kopenhagen eindringlich aufgerufen, ihre dänische Heimat nicht zu verlassen. "Wir wären nicht mehr dieselben ohne jüdische Gemeinde." Seit Jahrhunderten gebe es die jüdische Gemeinde im Land, sie "gehört nach Dänemark, sie ist Teil der dänischen Gemeinde". Ein 22-Jähriger hatte am Wochenende bei Angriffen auf ein Kulturzentrum und eine Synagoge zwei Menschen erschossen und fünf Polizisten verletzt, bevor er von der Polizei erschossen wurde. Der Attentäter von Kopenhagen soll sich mehrfach sehr wütend über Israel geäußert und gesagt haben, dass er Juden hasse.
    "Israel ist eure Heimstätte"
    In einer Reaktion auf den Terroranschlag in Kopenhagen hatte Netanjahu den Juden in Europa und weltweit versichert, Israel erwarte sie mit offenen Armen: "Israel ist Eure Heimstätte." Zur Aufnahme von Juden aus Belgien, Frankreich und der Ukraine plane seine Regierung die Bereitstellung von 40 Millionen Euro, kündigte der Premierminister an.
    Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu (l.) und Frankreichs Präsident  François Hollande.
    Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu (l.) und Frankreichs Präsident François Hollande. (imago/CordonPress)
    Widerspruch kam auch aus Österreich und Frankreich. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz sagte, "ein Europa ohne Juden wäre kein Europa". Präsident François Hollande appellierte an die französischen Juden, nicht zu emigrieren. "Juden haben ihren Platz in Europa und insbesondere in Frankreich", sagte Hollande. Ähnlich äußerte sich Regierungschef Manuel Valls. Er versicherte den französischen Juden die "Liebe" Frankreichs, die stärker sei als "Taten des Hasses".
    Jüdischer Friedhof im Elsass geschändet
    Auf einem Friedhof im elsässischen Sarre-Union waren Hunderte jüdische Gräber geschändet worden. Hollande bezeichnete dies als "barbarischen Akt". Frankreich werde Antisemitismus entschlossen bekämpfen. Die jüdische Gemeinschaft in Frankreich ist mit mehr als 500.000 Mitgliedern die größte in Europa. Seit mehreren Jahren gibt es unter dem Eindruck eines wachsenden Antisemitismus eine steigende Zahl französischer Juden, die nach Israel oder Nordamerika auswandern.
    Ein Ermittler steht vor geschändeten Gräbern auf einem jüdischen Friedhof in ostfranzösischen Stadt Sarre-Union. 
    Die Ermittler machen sich vor Ort ein Bild der Zerstörungen. (AFP / FREDERICK FLORIN)
    Die Zahl antisemitischer Taten in Frankreich hat sich nach Angaben des jüdischen Dachverbandes Crif im vergangenen Jahr auf 851 verdoppelt. Im vergangenen Jahr wanderten rund 7.000 Juden nach Israel aus - mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Für die Auswanderungswelle gibt es aber auch andere Gründe, etwa religiöse Motive und die Wirtschaftskrise in Frankreich.
    (sdö/bor)