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Antisemitismus für die heutige Oberschicht

Sobols Stück ist ganz konventionell gebaut, und Dieter Wedels Inszenierung ist noch konventioneller. Wedel ist durchaus unterhaltsam, doch was der Regisseur nicht schafft, ist der Anschluss an heutige Ausländerfeindlichkeit oder gar an die aktuelle Finanzkrise – das bleibt alles im historischen Kostüm stecken.

Von Christian Gampert | 26.06.2011
    Wenn man sich in Worms der Innenstadt nähert, kommt man zunächst am Judenfriedhof vorbei. Er ist der älteste erhaltene Europas und vielleicht auch einer der schönsten: Windschief stehen die Steine im Schatten großer Bäume, die frühesten Gräber stammen aus dem 11.Jahrhundert.
    Worms hatte einst eine große jüdische Gemeinde, und die Stadt, die mit den Nibelungenfestspielen sonst in blutiger Sagenwelt badet, will sich nun konkreterer Geschichtsforschung widmen. Die Historie des Stuttgarter Hofjuden Joseph Süß Oppenheimer, die der israelische Dramatiker Joshua Sobol neu eingerichtet hat, ist in Worms der Fall eines Finanzberaters des 18. Jahrhunderts, und Sobol will seinen Jud Süß keinesfalls nur als Opfer zeigen: Der Mann will hoch hinaus, der liebt Leben und Luxus, Frauen und Finanzjonglagen – und er stirbt an einer antisemitischen Hetzkampagne, aber auch, weil er sich zu sehr auf die Zuneigung seines (ebenfalls sehr sterblichen) Herzogs verlassen hatte.

    Das alles aber ist in Worms vorerst zweitrangig, denn zunächst geht es um die heutige Finanzwelt, um High Society. Die stolziert zur Premiere über einen roten Teppich, BASF-Manager und Banker, Landespolitik und Fernseh-Prominenz, immer hübsch mit weiblicher Entourage, und es ist eines der Mysterien der Postmoderne, dass Menschen, die als "Mutter Beimer" oder "der Bulle von Tölz" Bekanntheit erlangten, immer noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als der israelische Autor, dessen Drama aufgeführt wurde.

    Sobols Stück ist allerdings ganz konventionell gebaut, und Dieter Wedels Inszenierung ist noch konventioneller. Vor dem romanischen Wormser Kaiserdom entspinnt sich ein fernsehgerecht aufbereitetes Intrigenspiel, in dem die protestantischen Landstände den Finanzberater des Herzogs an den Galgen bringen – weil Süß Oppenheimer die Privilegien des Adels beschnitt. Sowohl der Herzog als auch Süß Oppenheimer werden als notorische Frauenhelden vorgeführt, und der ganze Erzählgestus ist der des historisierenden Breitwand-Klischee-Schinkens ...

    "Meine Damen und Herren, Durchlaucht wird gleich hier sein ... "

    Wedel ist durchaus unterhaltsam, er nutzt die Räume, spielt Filmszenen ein, führt schöne Frauen vor, springt von abgabenpflichtigen Untertanen zu verlotterten Adligen und von dort zu den Amouren des dekadenten Herzogs oder den Beratertätigkeiten des Hofjuden. Was der Regisseur aber nicht schafft, ist der Anschluss an heutige Ausländerfeindlichkeit oder gar an die aktuelle Finanzkrise – das bleibt alles im historischen Kostüm stecken.

    Jürgen Tarrach gibt den Herzog als irgendwie schmierigen, verschwendungssüchtigen Lebemann, der nur Prunk und Trunk im Kopf hat und gelegentlich auch mal Frauen vergewaltigt. Und Rufus Beck spielt den Oppenheimer als alertes Finanzgenie, das sehr hoch pokert, in seinen persönlichen Beziehungen zum Herzog aber immer einen Rest von Abstand wahrt. Der Mann bleibt ein angepasster Außenseiter; gerade deshalb ruft er nach klaren Handlungsnormen.

    "Ich will Ordnung, Sicherheit, gesunde Staatsfinanzen!"

    Drumherum springt jede Menge Personal, Gutsherren, Generäle, Schankmägde, Pächter. Peter Striebeck spielt einen alten, weisen Juden, Manfred Zapatka verdingt sich als Erster Minister.

    Die komplizierte, untergründig auch zärtliche Beziehung des Herzogs zu Oppenheimer, der seltsame Sexualneid der Adligen auf den Juden – das wird von Dieter Wedels Inszenierung nur sehr oberflächlich analysiert. Aber vielleicht ist das auch zu viel verlangt von einem Sommertheater, das in lauschiger Nacht den Antisemitismus für die heutige Oberschicht aufbereitet.