Samstag, 11. Mai 2024

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Antisemitismus-Gefahr durch EU-Erweiterung

Klaus Remme: Es ist Sicherheit Stufe eins in Berlin, die Ursachen dafür sind schnell erzählt. US-Außenminister Colin Powell ist in der Stadt, Israels Staatspräsident Moshe Katsav ebenfalls, der jüdische Weltkongress tagt und außerdem sind rund 500 ranghohe Delegierte aus 55 Staaten versammelt zur zweiten OSZE-Konferenz zum Thema Antisemitismus. Die erste Konferenz dieser Art hat im vergangenen Jahr in Wien stattgefunden. Am Telefon ist nun Julius Schoeps, er leitet das Moses-Mendelsohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. Herr Schoeps, ist Berlin als Tagungsort ein Indiz dafür, dass das Problem in Deutschland besonders schwer wiegt oder aber möglicherweise Ausweis für Verdienste im Kampf gegen Judenfeindlichkeit?

Moderation: Klaus Remme | 28.04.2004
    Julius Schoeps: Es ist sicher so, dass die Bundesregierung sich etwas dabei gedacht hat, sich dafür zu bewerben, dass der Tagungsort der OSZE diesmal in Berlin ist. Und es ist die Verantwortung vor der deutschen Geschichte.

    Remme: Hat die erste Konferenz in Wien im vergangenen Jahr den Sinn einer solchen Konferenz unter Beweis gestellt?

    Schoeps: Konferenzen sind immer gut, wenn etwas dabei herauskommt - umso besser. Es ist allerdings sehr schwierig, ein Phänomen wie den Antisemitismus zu bekämpfen.

    Remme: Inwiefern?

    Schoeps: Der Antisemitismus ist ein Vorurteil, und Vorurteile sind langlebig. Jeder Psychoanalytiker kann bestätigen, dass, wenn jemand ein Vorurteil hat, dann ist er mit diesem Vorurteil bestens zufrieden, weder will er aufgeklärt werden, noch will er dieses Vorurteil ablegen.

    Remme: Die US-Bürgerechtsrorganisation, die Anti Defamation League, hat eine Studie veröffentlicht, der zufolge Antisemitismus in Europa rückläufig ist in acht von zehn westeuropäischen Staaten. Die Ablehnung soll in Deutschland besonders stark sein, es werden Prozentzahlen aufgeführt. Halten Sie diese Studien für aufschlussreich?

    Schoeps: Nicht sonderlich. Es gibt Studien, die stellen fest, der Antisemitismus geht zurück Es gibt andere Studien, die sagen genau das Gegenteil. Fest steht, dass der Antisemitismus in Europa nach wie vor vorhanden ist und ein Problem darstellt.

    Remme: In den vergangenen Monaten wird Antisemitismus und die Kritik an der Politik Israels immer wieder in Zusammenhang gebracht. Verschwimmen hier die Grenzen, ist das eine neue Entwicklung?

    Schoeps: Das ist das, was man den neuen Antisemitismus nennt, dass das verkoppelt wird mit der Kritik an Israel, und hier gibt es in der Tat Probleme. Nur: Kritik an Israel ist nicht unbedingt Antisemitismus, aber sie kann häufig Antisemitismus sein.

    Remme: Wo in Europa ist denn der Antisemitismus ein besonderes Problem?

    Schoeps: Ein besonders Problem ist der Antisemitismus in den osteuropäischen Staaten, die jetzt am ersten Mai in die EU eintreten. Leider ist das überhaupt bisher nicht richtig thematisiert worden. In der Ukraine, in den baltischen Staaten und Polen haben wir einen manifesten Antisemitismus, und das ist merkwürdigerweise bei diesen ganzen Verhandlungen über die Aufnahme in die EU kaum thematisiert worden.

    Remme: Herr Schoeps, warum ist das so in diesen Staaten?

    Schoeps: Wie gesagt, der Antisemitismus ist ein Phänomen, das nicht erst heute entstanden ist, sondern uralt ist. Und in allen europäischen Staaten gehört der Antisemitismus zum Grundarsenal der Ausstattung, um es mal so zu formulieren. Und in den westeuropäischen Staaten gehen wir davon aus, dass 15 Prozent manifester offener Antisemitismus vorhanden ist, und bei 30 Prozent der Bevölkerung Antisemitismus in Latenz vorhanden ist.

    Remme: Und glauben Sie, die EU-Erweiterung kann in diesem Zusammenhang helfen?

    Schoeps: Ich halte das für sehr problematisch was jetzt geschieht. Denn es könnte durchaus sein, dass diese antisemitischen Vorurteile in Osteuropa, die dort stärker sind, weil da wenig getan worden ist in den letzten Jahrzehnten, nach Westeuropa rüber schwappt.

    Remme: Aber Sie sagen selbst, es ist überhaupt schwierig etwas dagegen zu tun.

    Schoeps: Natürlich ist es schwierig. Der Aufklärung sind Grenzen gesetzt. Wenn man aufklären will, dann muss man radikal aufklären. Und das fängt an in den Kindergärten, in der Schule, in den Schulbüchern und und und. Es reicht nicht nur irgendwelche vollmundigen Erklärungen abzugeben wie das jetzt auch geschehen wird bei dieser Konferenz, sondern man muss dann tatsächlich etwas tun.

    Remme: Würden Sie einen weiteren Trend unterstreichen, der auch in den vergangenen Monaten immer wieder behauptet wurde, dass nämlich die Problemgruppe weit größer ist als der Kreis von Glatzen und Springerstiefeln?

    Schoeps: Aber selbstverständlich. Der Antisemitismus und der Rechtsradikalismus ist nicht ein Problem von Randgruppen. Das ist ein großes Missverständnis. Antisemitische Vorurteile gehen quer durch die Bevölkerung hindurch, sind bei Vertretern aller Parteien feststellbar. Und wir haben ja genügend Beispiele in den letzten Jahren gehabt wo das deutlich wurde.

    Remme: Aber ist diese Entwicklung, Antisemitismus in so genannten akzeptierten Kreisen, ist diese Entwicklung neu oder stärker geworden?

    Schoeps: Ich würde nicht sagen es ist etwas Neues, ob das stärker geworden ist, weiß ich im Moment nicht. Ich glaube allerdings, dass dieses Vorurteil nach wie vor vorhanden ist und in bestimmten Situationen, bei bestimmten Anlässen, einem Film zum Beispiel oder einem Buch oder einem politischem Skandal, kann dieses Vorurteil aufbrechen.

    Remme: Julius Schoeps war das, der Leiter des Moses-Mendelsohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam. Vielen Dank für das Gespräch.