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Antisemitismus-Vorwürfe
Veranstaltungsreihe der Kunsthochschule Weißensee abgesagt

Die Debatte um Achille Mbembe, dem antisemitische Vorurteile vorgeworfen wurden, hat gezeigt: Wer Israel von außen kritisiert, wird schnell als Antisemit bezeichnet. Jetzt trifft der Vorwurf die Kunsthochschule Weißensee - und eine Veranstaltungsreihe, die von jüdischen Israelis organisiert wurde.

Von Christiane Habermalz | 13.10.2020
Der Grünen-Politiker Volker Beck spricht am 15.01.2017 im Islamischen Zentrum in Hamburg, während einer Konferenz der SCHURA, Rat der Islamischen Gemeinschaften Hamburg.
Will Israel-Kritik nicht staatlich fördern: Der Grünen-Politiker Volker Beck (Bodo Marks/dpa)
"Herausforderung Zionismus - Alternative Wege für Israel/Palästina". Oder "Koloniales Wissensmanagement – Aneignung, Plünderung und Löschung von Archiven in Israel/Palästina" lauten die Titel einer Reihe von Veranstaltungen an der Kunsthochschule Weißensee, in der sich eine Gruppe jüdischer Israelis kritisch mit nationalistischen Narrativen und der Besatzungspolitik des Staates Israels auseinander setzen will. Das Online-Programm "School for Unlearning Zionism", das seit Anfang Oktober läuft, umfasst Vorträge, Diskussionsveranstaltungen, Filmabende und eine Ausstellung.
Fördermittel entzogen
Jetzt hat die Kunsthochschule der Reihe die Förderung entzogen, das Programm wurde von der Website gelöscht. Der Grund: Nachdem die regierungsnahe israelische Zeitung Israel Hayom einen Artikel gegen die Veranstaltung veröffentlicht hatte, wurden auch in Deutschland massive Vorwürfe gegen die Hochschule laut: Vier der Referenten würden der palästinensischen Boykottbewegung BDS nahestehen, die Reihe würde das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Die israelische Botschaft sprach von einer "Umarmung des Antisemitismus". Unter den kritischen Stimmen war auch der frühere grüne Bundestagsabgeordnete* Volker Beck. Er sagte gegenüber dem Dlf:
"Ich finde diese Veranstaltung eine propagandistische Ungeheuerlichkeit. Ich finde nicht, dass der deutsche Steuerzahler so etwas finanzieren sollte. Gleichwohl ist innerhalb der Meinungsfreiheit auch so eine Veranstaltung hinzunehmen. Aber subventionswürdig ist es nicht."
Das Programm und die Lehrtätigkeit der Kunsthalle wird durch Mittel des Qualitätspakts Lehre des Bundesbildungsministeriums finanziert. In einer Mail an Bundesbildungsministerin Anja Karliczek fragt Beck: Wie würde es die Bundesregierung empfinden, wenn ausländische Ministerien Veranstaltungen zum Abtrainieren deutscher Kultur und Zugehörigkeit finanzieren würden? Wie vereinbart das Ministerium die Finanzierung dieser Veranstaltung mit dem Anti-BDS-Beschluss des Bundestages?
Kann eine jüdische Studentin Antisemitin sein?
Die Gruppe von jüdisch-israelischen Kunststudenten, die das Programm organisiert hat, blickt ungläubig auf den ganzen Vorgang. Die kritische Auseinandersetzung mit den offiziellen Narrativen in ihrer Heimat sei für viele von ihnen erst möglich geworden, nachdem sie Israel verlassen hätten, sagt Yehudit Yinhar, Meisterschülerin an der Kunsthochschule Weißensee:
"Es ist so absurd geworden, dass ich als jüdisch-israelische Frau mich erst einmal gegenüber einer deutschen Institution als Nicht-Antisemitin behaupten muss, wenn ich die israelische Politik hinterfrage. Ich meine, das ist ein Forschungsprojekt, wir wissen ja nicht, wie das alles zu Ende geht. Wir wissen nur, was uns alles beigebracht wurde, unsere Geschichte, was einfach irgenwann nicht mehr nur alleine trägt."
Wer hat die Definitionsmacht über jüdische Geschichte?
Und gerade die Kunst müsse doch solche Räume der Selbstreflexion bieten. Müssten sie dafür jetzt nicht-jüdische Deutsche wie Volker Beck und andere, die den Diskurs bestimmen, um Erlaubnis fragen?, fragt Yinhar.
"Gerade in Deutschland haben viele von uns auch Familiengeschichten, die nach Deutschland zurückgehen. Und wer hat jetzt gerade die Definitionsmacht über unsere Geschichte? Irgendwie die deutschen Institutionen. Und das finden wir ein absolutes Unding. Unabhängig davon, dass - wenn es uns schon so geht, wenn wir irgendwie kritisch uns mit unserem eigenen Nationalstaat uns befassen und mit unserer eigenen Geschichte als Teil dieses Nationalstaats -, dann kann man sich ja vorstellen, was das bedeutet für Palästinenserinnen und Palästinenser und muslimische Menschen in Deutschland.
Eingriff in die Freiheit der Lehre?
Unverständnis auch bei Matthias Jud, Gastprofessor an der Kunsthalle. Er sieht in der Entscheidung der Hochschule, als Reaktion auf die Kritik dem Programm die Förderung zu entziehen, einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der Lehre:
"Weil nicht mehr wir Professoren, die fachlich und sachlich zuständig sind, über die Lehre entscheiden, sondern Verwaltungs- und Regierungsstellen entscheiden nun, dass dem ganzen Programm von jüdich-israelischen Künstlerinnen keine finanziellen Ressourcen mehr bereit gestellt werden."
Und er sieht in dem ganzen Vorgang auch einen Widerspruch zum BDS-Beschluss des Bundestages, denn darin gehe es ja explizit darum, keinen Boykott gegen jüdische Menschen zu dulden.
"Genau dies wird hier aber gemacht. Und es handelt sich meines Erachtens um einen Boykott, also um eine pauschale Verweigerung der Finanzierung, und eine Verweigerung der Ausstellung von Verträgen, der sogar ein Abschalten der gesamten Inhalte der Kunsthalle beinhaltet."
*An dieser Stelle wurde eine berufliche Funktion korrigiert.