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Antisemitismusforscher Wolfgang Benz geht in den Ruhestand

Nach 20 Jahren gibt Wolfgang Benz die Leitung des Zentrums für Antisemitismusforschung ab. Bloß weil er emeritiert sei, werde Benz aber nicht aufhören zu publizieren, ist sich der Historiker Nobert Frei sicher.

Norbert Frei im Gespräch mit Dina Netz | 21.10.2010
    Dina Netz: Als ich heute Morgen hörte, dass heute der Tag ist, an dem Wolfgang Benz in den Ruhestand verabschiedet wird, da war meine spontane Reaktion: "Aber das geht doch nicht! Den brauchen wir doch noch!" Der Name Wolfgang Benz ist in Deutschland eine Art Synonym für den Begriff Antisemitismusforscher. Fast zwei Jahrzehnte lang hatte er eben das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin geleitet und geprägt. Und er hat nicht im stillen Kämmerlein geforscht, sondern hat sein Thema in die Öffentlichkeit getragen und ist dabei weit über die reine Antisemitismusforschung hinausgegangen. Erst kürzlich hat Wolfgang Benz kritisiert, dass Antisemiten zwar heute bei uns öffentlich geächtet werden, dass aber jemand, der mit ähnlichen Unterstellungen den Islam kritisiere, kein Tabu breche.

    Gerade im Moment läuft in Berlin eine Feierstunde, mit der Wolfgang Benz in den Ruhestand verabschiedet wird. Frage an den Historiker Norbert Frei, zurzeit Theodor-Heuss-Professor an der New School for Social Research in New York: Wie groß ist die Lücke, die der Abschied von Wolfgang Benz reißt? Lücke oder eher Krater?

    Norbert Frei: Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Wolfgang Benz jetzt, nur weil er emeritiert wird, aufhört zu publizieren. Insoweit hoffe ich, dass es kein Krater wird, und es ist ja auch für eine gute Nachfolge gesorgt. Wolfgang Benz hat sich ja immer als ein öffentlicher Aufklärer verstanden, als ein Volksaufklärer im besten Sinne des Wortes, und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er damit aufhören wird, nur weil er ein Amt abgibt.

    Netz: Herr Frei, sagen Sie doch vielleicht genauer noch mal: Was genau ist das Verdienst von Wolfgang Benz?

    Frei: Wolfgang Benz ist ja jemand, der in den 70er- und 80er-Jahren als empirischer Zeithistoriker am Institut für Zeitgeschichte gearbeitet hat, daher kennen wir uns auch. Das war eine besonders, wie mir scheint, fruchtbare Zeit dieses Instituts. Er hat da viel gemacht über die NS-Zeit, aber auch über die frühe Nachkriegszeit und über die Bundesrepublik, und ist dann, wie Sie schon gesagt haben, zum Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung berufen worden. Und ich glaube, man kann wirklich sagen, er hat dieses Zentrum, das ja schon eine Weile existierte, wirklich erst so in die Öffentlichkeit gebracht. Davor war es den Fachleuten bekannt und im Grunde nicht viel mehr.

    Netz: Das Zentrum für Antisemitismusforschung, das hat ja in seiner Selbstbeschreibung eben diese schwierige Doppelrolle. Man soll einerseits universitäre Forschung und Lehre betreiben, aber auch Aufklärungsarbeit für die Öffentlichkeit leisten. Und vor allem für diesen Spagat muss man vor Wolfgang Benz wirklich den Hut ziehen, oder?

    Frei: Ich glaube, das hat er ganz besonders zu seiner Aufgabe gemacht, diesen Spagat zu leisten, wobei ich in der Tendenz sagen würde, das hat auch viel zu tun mit der universitären Politik in Berlin und mit dem Weggang gewissermaßen der Technischen Universität aus diesem geisteswissenschaftlichen Bereich, dass er im Grunde genommen noch größeres Gewicht auf die öffentliche Aufklärung gelegt hat und dann daneben natürlich die Forschungsprojekte. Er hat ja große Projekte angeschoben, etwa eine vielbändige Geschichte der Konzentrationslager, die erst in den letzten Jahren abgeschlossen worden ist, ein Handbuch des Antisemitismus. Er hat viele öffentliche Zeitzeugengespräche mit Überlebenden des Holocaust geführt, ist damit sozusagen auch eine Institution in der Stadt gewesen. Und er hat - und das finde ich auch ein wichtiges, ergänzendes Projekt - eine breite Forschung angeschoben über die sogenannten stillen Helfer, also diejenigen, die den Juden, die untergetaucht waren in Berlin, versucht haben zu helfen. Und das ist natürlich auch wieder ein Projekt, das sehr sozusagen diese didaktische oder pädagogische Seite betont, denn es macht deutlich, dass man etwas tun konnte, auch während des Krieges im nationalsozialistischen Deutschland. Und ich denke, das ist sehr bezeichnend für die Arbeit und für die Art und Weise, wie Wolfgang Benz seine Arbeit verstanden hat.

    Netz: Herr Frei, in den letzten Jahren war Benz ja auch ein bisschen in die Kritik geraten, weil er sehr viel vergleichend zu Antisemitismus und Islamfeindlichkeit geforscht hat. Der Hamburger Politologe Matthias Küntzel zum Beispiel hat gesagt, das Zentrum sei auf Abwege geraten, dieser Vergleich bedeute eine Verharmlosung des Holocaust. Wie stehen Sie dazu?

    Frei: Also das kann ich ehrlich gesagt nicht sehen, dass man Wolfgang Benz in irgendeiner Weise, ganz egal was er tut, in die Nähe einer Verharmlosung des Holocaust rücken könnte. Das ist abwegig. Ich habe sozusagen diese Themen des Vergleichs nicht so genau verfolgt. Ganz generell kann man sagen, dass es ja mit Vergleichen oft ein Problem ist und dass sich dann oft auch die Reaktionen, die Gegenreaktionen, wenn man einen solchen Vergleich überhaupt ins Auge fasst, automatisch einstellen. Er ist der Experte für die Geschichte der Judenfeindschaft im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert und ich finde, wenn jemand wie Wolfgang Benz Parallelen in der Argumentation etwa auch zeitgenössisch gegenüber dem Islam sieht, dann kann man das nicht einfach ignorieren, sondern muss da genauer hinhören, was er sagt. Und von der sozialpsychologischen Seite her gesehen sind ja Vorurteilsstrukturen - und die untersucht dieses Zentrum ja seit Langem - gegen Minderheiten oft durchaus auch mit einem gewissen Ertrag vergleichbar.

    Netz: Sagt der Historiker Norbert Frei über seinen Kollegen Wolfgang Benz und seine Arbeit. Wolfgang Benz wird heute feierlich als Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung verabschiedet, ist aber noch bis März im Amt. Auf Wolfgang Benz wird dann im April die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum folgen, bisher Leiterin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg.