O-Ton Antoni Tàpies: "Wie Sie sicher wissen, gab es im 20. Jahrhundert einen großen Bruch mit der Kunst der Vergangenheit und meine Generation wandte sich entschieden gegen das, was wir akademische Kunst nannten, und vor allem gegen die schwärzeste akademische Kunst des Franquismus. Ich verzichtete also auf alles, was wir als Klassizismus oder Akademismus bezeichnen könnten, und suchte meine Quellen in primitiveren Künsten. Die Kaligraphien hatten einen großen Einfluss auf unsere Generation."
Christoph Schmitz: Der dies sagte, war einer der großen Bild-Erfinder in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist von Antoni Tàpies. 1923 wurde der spanische Maler in Barcelona geboren. Dort ist Tàpies in der vergangenen Nacht im Alter von 88 Jahren auch gestorben.
Antoni Tàpies – mitten in Barcelona wuchs er auf. Er studierte dort Jura, als Künstler war er Autodidakt. Fast akademisch muten seine frühen Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen an. Ein entscheidender Impuls für seine Entwicklung war nach eigenem Bekunden die Begegnung mit Juan Miro 1948. Tàpies war da 25 Jahre alt. - Können Sie seinen künstlerischen Werdegang in diesen frühen Jahren skizzieren? Das habe ich die Publizistin und Tàpies-Kennerin Barbara Catoir gefragt:
Barbara Catoir: Ja. Ich glaube, ein ganz entscheidender Impuls war seine Krankheit. Er war lungenkrank – das waren die Folgen des spanischen Bürgerkrieges -, und da fing er an zu zeichnen. Er war lange Zeit in einem Sanatorium, war also ans Bett gefesselt, und fing an zu zeichnen. Aus diesen Zeichnungen - man könnte annehmen, dass er auf eine Kunstakademie gegangen ist, denn sie waren sehr akademisch -, das steht quasi am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn, nachdem er das Jura-Studium dann auch aufgegeben hatte. Ganz wichtige Werke am Anfang waren Collagen, die er machte, und mit Bindfäden hat er ganz wunderbar, auch Grattagen hat er auch sehr früh angefertigt, die heute in einer, wenn wir zurückblicken, unmittelbaren Linie zu dem kommen, was er nachher um 1955 mit seinen Materialbildern begonnen hat. Das waren schon richtige kleine Materialbilder.
Schmitz: Das waren schon die Ergebnisse der Begegnung mit Juan Miro und dessen Vorliebe für das Natürliche, für die Naturmaterialien, für die rauen Wände des alten Barcelona.
Catoir: Ja. Er hat mich immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Miro für ihn ein großer Anreger war, und zwar: Wir sehen Miro oft ganz anders, wir sehen ihn von der heiteren Seite, aber er hatte ja auch eine sehr ernste melancholische, und er hat immer mit Materialien experimentiert. Und dieses Experimentieren mit Materialien, das hat Antoni Tàpies sehr stark angeregt.
Schmitz: Sie sprachen die Materialbilder schon an, ab 53 etwa sind die entstanden. Wie würden Sie die ureigene Kunst von Antoni Tàpies beschreiben, die in diesen 50er-, 60er-Jahren entstanden ist?
Catoir: Er hat quasi das Materialbild erfunden. Er hat ja richtig mit Sand und Erde und mörtelartigen Materialien gearbeitet und da Farbpigmente untergemischt. Dadurch hat er sich eine Bildoberfläche geschaffen, in die er alles einprägen konnte. Wir müssen, ich meine, sehr stark sehen, dass er auch durch die Archäologie geprägt war, und daher kommen auch diese Prägedrucke in seinem Werk.
Schmitz: Diese Materialbilder haben etwas Dunkles, Schweres, auch Geheimnisvolles. Das Kreuz taucht irgendwann als starkes Motiv bei ihm auf. Geht das auch in eine spirituelle Richtung bei ihm und war das ein wesentlicher Gedankenkern seiner Kunst?
Catoir: Sein Werk hat etwas sehr Spirituelles. Ob ich es jetzt unmittelbar auf das Kreuz zurückführe, in diesem Zusammenhang sehe ich es gar nicht mal so sehr.
Schmitz: Aber spirituell ist seine Kunst dennoch?
Catoir: Sehr.
Schmitz: In den 70er-Jahren kommt etwas hinzu, in den 80er-Jahren auch. Können Sie das kurz beschreiben, bevor wir auf die Bedeutung Tàpies in, sagen wir mal, der Kunst nach 45 eingehen?
Catoir: Ja. Ende der 60er-Jahre wird das politische Klima in Spanien sehr hart. Es finden die ersten Demonstrationen statt, Tàpies hat sich daran auch beteiligt, und das hat sein Werk verändert. Um 1970 beginnt er mit ausgesprochen politischen Bildern, er konzentriert sich sehr stark dann auch auf die Grafik, er entwirft in dieser Zeit auch sehr viele Plakate und er beginnt gleichzeitig, das Objekt quasi aus seinem Werk zu verselbständigen, und es tritt als freies Objekt, als freie Skulptur in den Raum.
Schmitz: Und dann wird er zum Töpfer in den 80er-Jahren.
Catoir: Das stimmt. Da nimmt er quasi all das auf, was er bis dahin entwickelt hat, und greift nun zum Ton. Auch da hat er wieder versucht, das Materialhafte in den Ton auch zu übertragen. Und wir finden dann die Rückwirkung der Keramik wieder in seiner Malerei, die er danach wieder aufnimmt.
Schmitz: Und welche Bedeutung hat Tàpies in der Moderne überhaupt?
Catoir: Ich sehe ihn prägend für die Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg, prägend wie zum Beispiel auch Joseph Beuys. Wir haben eine ganze Generation von fast gleichaltrigen, auch im musikalischen Bereich denke ich an Stockhausen, den er auch persönlich kannte. Also die Musik spielte auch bei ihm eine große Rolle. Es ist diese ganz reiche Aufbruchsituation nach 1950, in der er prägend mit dabei war.
Schmitz: Frau Catoir, Sie kannten Tàpies, wie wir hörten, persönlich, Sie haben viel über ihn geschrieben. Wie haben Sie ihn als Mensch erlebt?
Catoir: Man spürte einfach, dass hinter ihm die Kultur eines ganzen Landes lag. Als ich ihn im Herbst vergangenen Jahres zum letzten Mal besuchte, war er sehr, sehr schwach, und das hat ihn nicht davon abgehalten, als ich in den Raum trat, aus seinem Sessel wirklich schwer aufzustehen. Das war selbstverständlich für ihn. Als ich sagte, bleibe bitte sitzen – "Nein, das würde ich nie tun."
Schmitz: …, erzählt Barbara Catoir über Leben und Werk des spanischen Malers Antoni Tàpies, der in der vergangenen Nacht gestorben ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Christoph Schmitz: Der dies sagte, war einer der großen Bild-Erfinder in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist von Antoni Tàpies. 1923 wurde der spanische Maler in Barcelona geboren. Dort ist Tàpies in der vergangenen Nacht im Alter von 88 Jahren auch gestorben.
Antoni Tàpies – mitten in Barcelona wuchs er auf. Er studierte dort Jura, als Künstler war er Autodidakt. Fast akademisch muten seine frühen Zeichnungen, Aquarelle und Gouachen an. Ein entscheidender Impuls für seine Entwicklung war nach eigenem Bekunden die Begegnung mit Juan Miro 1948. Tàpies war da 25 Jahre alt. - Können Sie seinen künstlerischen Werdegang in diesen frühen Jahren skizzieren? Das habe ich die Publizistin und Tàpies-Kennerin Barbara Catoir gefragt:
Barbara Catoir: Ja. Ich glaube, ein ganz entscheidender Impuls war seine Krankheit. Er war lungenkrank – das waren die Folgen des spanischen Bürgerkrieges -, und da fing er an zu zeichnen. Er war lange Zeit in einem Sanatorium, war also ans Bett gefesselt, und fing an zu zeichnen. Aus diesen Zeichnungen - man könnte annehmen, dass er auf eine Kunstakademie gegangen ist, denn sie waren sehr akademisch -, das steht quasi am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn, nachdem er das Jura-Studium dann auch aufgegeben hatte. Ganz wichtige Werke am Anfang waren Collagen, die er machte, und mit Bindfäden hat er ganz wunderbar, auch Grattagen hat er auch sehr früh angefertigt, die heute in einer, wenn wir zurückblicken, unmittelbaren Linie zu dem kommen, was er nachher um 1955 mit seinen Materialbildern begonnen hat. Das waren schon richtige kleine Materialbilder.
Schmitz: Das waren schon die Ergebnisse der Begegnung mit Juan Miro und dessen Vorliebe für das Natürliche, für die Naturmaterialien, für die rauen Wände des alten Barcelona.
Catoir: Ja. Er hat mich immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Miro für ihn ein großer Anreger war, und zwar: Wir sehen Miro oft ganz anders, wir sehen ihn von der heiteren Seite, aber er hatte ja auch eine sehr ernste melancholische, und er hat immer mit Materialien experimentiert. Und dieses Experimentieren mit Materialien, das hat Antoni Tàpies sehr stark angeregt.
Schmitz: Sie sprachen die Materialbilder schon an, ab 53 etwa sind die entstanden. Wie würden Sie die ureigene Kunst von Antoni Tàpies beschreiben, die in diesen 50er-, 60er-Jahren entstanden ist?
Catoir: Er hat quasi das Materialbild erfunden. Er hat ja richtig mit Sand und Erde und mörtelartigen Materialien gearbeitet und da Farbpigmente untergemischt. Dadurch hat er sich eine Bildoberfläche geschaffen, in die er alles einprägen konnte. Wir müssen, ich meine, sehr stark sehen, dass er auch durch die Archäologie geprägt war, und daher kommen auch diese Prägedrucke in seinem Werk.
Schmitz: Diese Materialbilder haben etwas Dunkles, Schweres, auch Geheimnisvolles. Das Kreuz taucht irgendwann als starkes Motiv bei ihm auf. Geht das auch in eine spirituelle Richtung bei ihm und war das ein wesentlicher Gedankenkern seiner Kunst?
Catoir: Sein Werk hat etwas sehr Spirituelles. Ob ich es jetzt unmittelbar auf das Kreuz zurückführe, in diesem Zusammenhang sehe ich es gar nicht mal so sehr.
Schmitz: Aber spirituell ist seine Kunst dennoch?
Catoir: Sehr.
Schmitz: In den 70er-Jahren kommt etwas hinzu, in den 80er-Jahren auch. Können Sie das kurz beschreiben, bevor wir auf die Bedeutung Tàpies in, sagen wir mal, der Kunst nach 45 eingehen?
Catoir: Ja. Ende der 60er-Jahre wird das politische Klima in Spanien sehr hart. Es finden die ersten Demonstrationen statt, Tàpies hat sich daran auch beteiligt, und das hat sein Werk verändert. Um 1970 beginnt er mit ausgesprochen politischen Bildern, er konzentriert sich sehr stark dann auch auf die Grafik, er entwirft in dieser Zeit auch sehr viele Plakate und er beginnt gleichzeitig, das Objekt quasi aus seinem Werk zu verselbständigen, und es tritt als freies Objekt, als freie Skulptur in den Raum.
Schmitz: Und dann wird er zum Töpfer in den 80er-Jahren.
Catoir: Das stimmt. Da nimmt er quasi all das auf, was er bis dahin entwickelt hat, und greift nun zum Ton. Auch da hat er wieder versucht, das Materialhafte in den Ton auch zu übertragen. Und wir finden dann die Rückwirkung der Keramik wieder in seiner Malerei, die er danach wieder aufnimmt.
Schmitz: Und welche Bedeutung hat Tàpies in der Moderne überhaupt?
Catoir: Ich sehe ihn prägend für die Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg, prägend wie zum Beispiel auch Joseph Beuys. Wir haben eine ganze Generation von fast gleichaltrigen, auch im musikalischen Bereich denke ich an Stockhausen, den er auch persönlich kannte. Also die Musik spielte auch bei ihm eine große Rolle. Es ist diese ganz reiche Aufbruchsituation nach 1950, in der er prägend mit dabei war.
Schmitz: Frau Catoir, Sie kannten Tàpies, wie wir hörten, persönlich, Sie haben viel über ihn geschrieben. Wie haben Sie ihn als Mensch erlebt?
Catoir: Man spürte einfach, dass hinter ihm die Kultur eines ganzen Landes lag. Als ich ihn im Herbst vergangenen Jahres zum letzten Mal besuchte, war er sehr, sehr schwach, und das hat ihn nicht davon abgehalten, als ich in den Raum trat, aus seinem Sessel wirklich schwer aufzustehen. Das war selbstverständlich für ihn. Als ich sagte, bleibe bitte sitzen – "Nein, das würde ich nie tun."
Schmitz: …, erzählt Barbara Catoir über Leben und Werk des spanischen Malers Antoni Tàpies, der in der vergangenen Nacht gestorben ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.