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Anwohner von Gorleben bleiben skeptisch

Gorleben ist das Symbol für die Gefahren der Atomkraft und die weiterhin ungelöste Frage der Endlagerung ihrer Rückstände. Vor Ort diskutieren die Anwohner über die Zukunft.

Von Alexander Budde | 04.07.2013
    Dort, wo vor einem halben Menschenleben alles begann, schreitet Gerhard Has energisch voran. Sein Hut sitzt tief in der Stirn, seine kleine Protestfahne mit der Sonne der Anti-Atom-Bewegung flattert im Wind. Im Schatten einer haushohen Betonmauer führt ein Schotterweg einmal um das sogenannte Erkundungsbergwerk von Gorleben herum. Sie sind nur eine Handvoll an diesem Morgen, die Sonntagsspaziergänger von Gorleben. Jenseits des Bollwerks lugen Bedienstete der Wach- und Schließgesellschaft argwöhnisch durch den Stacheldraht.

    "Wir gucken jetzt seit bald vier Jahren sonntags mal um den Schwarzbau herum und gucken, ob sie schon angefangen haben mit dem Rückbau. Leider noch nicht. Und dann sind wir mal mehr und mal weniger. Aber wir lassen sie nicht ohne Kontrolle."

    Hier im Landkreis Lüchow-Dannenberg, einer strukturschwachen Region im Osten Niedersachsens, sollte vor bald vier Jahrzehnten ein nukleares Entsorgungszentrum entstehen – komplett mit Brennelementefabrik, Wiederaufbereitungsanlage und Endlager. Die heute wahnwitzig anmutenden Atompläne der damaligen niedersächsischen Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU) ließen sich gegen den auflodernden Widerstand der Bevölkerung nicht durchsetzen. An den Plänen für ein Zwischen- und Endlager hielt man dennoch fest. Heute zieht sich ein sieben Kilometer langes Stollensystem durch den Salzstock Gorleben. Ein paar Hundert Meter entfernt stehen – streng bewacht – in einer oberirdischen Halle bereits 113 sogenannte Castoren-Stahlbehälter mit radioaktivem Müll. Erblasten, die Gerhard Has keine Ruhe lassen, allein schon, weil er gleich um die Ecke wohnt.

    "Ich habe es nicht produziert, das Problem. Das waren andere, die hell begeistert waren davon. Und uns irgendwas erzählt haben, dass die Stromzähler in den Häusern abgeschafft werden, weil der Atomstrom so billig ist. Aber natürlich bin ich mitverantwortlich dafür, weil ich nun mal in der Gesellschaft lebe. Ich muss aber auch sagen: Ich bin ratlos, wie das gehen soll, diesen höllenlangen Zeitraum strahlenden Abfall so zu verwahren, dass da keine Gefahr von ausgeht."

    Im November 2011 rollten die vorerst letzten Castoren an. Nach monatelangem Tauziehen haben sich Bund und Länder, Union, FDP, SPD und Grüne darauf geeinigt, dass die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll von vorne beginnen soll. Zur Jahreswende sah das in Niedersachsen noch ganz anders aus: Das Land befand sich mitten im Landtagswahlkampf und Sozialdemokraten und Grüne versprachen, sich gegen Gorleben als weiterhin denkbaren Standort auszusprechen. Doch in den folgenden Verhandlungen auf Bundesebene konnten sie sich nicht durchsetzen. Wenn morgen das Endlagersuchgesetz im Bundesrat verabschiedet wird, wird auch Niedersachsen für das Gesetz votieren. Doch der Preis für die Zustimmung der rot-grünen Landsregierung ist nun ein unvollständiges Gesetz. Die Klärung wesentlicher Details ist auf die lange Bank geschoben. Etwa, wo genau die letzten 26 Castoren für womöglich 40 Jahre und länger zwischengelagert werden sollen. Und wie sich die Bund-Länder-Kommission aus Politik, Wissenschaft und den sogenannten gesellschaftlich relevanten Gruppen konkret zusammensetzen soll. Ein Neustart sehe anders aus, meint Martin Donath. Er ist der Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.

    "35 Jahre lang sind alle Kriterien an diesem Standort entwickelt worden. Die Diskussion wird weiter über Gorleben geführt werden. Aber wir müssen eine ganz andere Diskussion führen. Nämlich die Frage: Wie ist das mit Rückholbarkeit? Wann fühlen wir uns sicher? Genau das muss öffentlich debattiert werden - und das kann man keinen Fachleuten überlassen."

    Der Streit um die Castoren lässt erkennen, dass der größte gesellschaftliche Konflikt der Bundesrepublik noch lange nicht befriedet ist, da gibt sich auch Miriam Staudte keinen Illusionen hin. Die grüne Landtagsabgeordnete aus dem Wahlkreis wirbt gleichwohl dafür, das Momentum zu nutzen, etwa die nun folgenden öffentlichen Sitzungen der Bund-Länder-Kommission kritisch zu begleiten.

    "Ich glaube, es ist schon ein großer Fortschritt, dass diese Kommission jetzt ganz anders besetzt wird. Dass also die Politik kein Stimmrecht mehr haben wird, sondern dass wirklich der Fokus auf Wissenschaft und Zivilgesellschaft liegt."

    "Die Autos füllen die Schrotthalden. Und wir pflanzen jeder einen Baum."

    Nur einen Steinwurf vom Erkundungsbergwerk, nicht weit von der Stelle, wo Greenpeace das Aktionsschiff "Beluga" als monströses Mahnmal aufgebockt hat, bringt Susanne Ackermann, Pastorin aus Dannenberg, Dichtung von Dorothee Sölle zu Gehör. Seit 25 Jahren versammeln sich hier die älteren Kämpen und der jugendliche Nachwuchs an jedem Sonntag zum Gebet. Und dann ist da Marianne Fritzen, ein Urgestein der Protestbewegung. Im Widerstand seien sie alle miteinander gereift, ist Marianne Fritzen überzeugt. Nachbarn, Familien, über Generationen hinweg. Auf den basisdemokratischen Sitzungen geht es heute auch um andere Themen, das Fracking zum Beispiel und die industrielle Massentierhaltung. Der Widerstand gegen die Atomanlagen wird weiterleben, da ist Marianne Fritzen überzeugt.

    "Ich denke, wir sind auf dem Weg, auf dem wir schon seit 40 Jahren sind. Also ich persönlich bin froh, dass Bewegung wieder hineinkommt, politische Bewegung. Und daraus müssen wir versuchen, das Beste zu machen."