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Apokalyptische Idylle

Marlen Haushofers Roman "Die Wand" galt lange als unverfilmbar. Die Geschichte einer Frau, die abgeschnitten von jeglicher Zivilisation überleben muss, schien zu komplex. Jetzt kommt Julian Pölslers Adaption des Haushofer-Stoffs mit einer großartigen Martina Gedeck in die Kinos.

Von Hartwig Tegeler | 10.10.2012
    Die Frau sitzt in einer dunklen Hütte, ist konzentriert, aber auch von einer unfassbaren Müdigkeit. Schreibt mit einem Bleistiftstummel auf gebrauchtes Papier ihren Bericht über das Geschehene. Ihr Schreiben ist nicht Lust noch Kunst…

    "Es hat sich eben so für mich ergeben, dass ich schreiben muss."

    … sondern Methode, den Verstand zu behalten,…

    "Es ist ja keiner da, der für mich denken und sorgen könnte. Ich bin ganz allein."

    … noch einfacher: einziger Weg zu überleben.

    "Ich habe diese Aufgabe übernommen, weil sie mich davon abhalten soll, in die Dämmerung zu starren und mich zu fürchten."

    Eine Frau - ohne Namen - fährt mit zwei Freunden auf eine Jagdhütte. Das Paar geht noch mal runter ins Dorf, am nächsten Morgen sind die beiden immer noch nicht zurück. Die Frau will nun ebenfalls ins Dorf. Zusammen mit Luchs, dem Hund, den die Freunde zurück ließen. Luchs und die Frau kommen bis zu einer Stelle auf dem Weg, dann stoßen sie an eine Wand, gläsern, aber undurchdringlich. Alles menschliche Leben jenseits der Wand ist nicht mehr existent. Der Film "Die Wand" erzählt nun, wie "die Frau" lebt, überlebt, anfänglich im Kampf mit der Natur:

    "Ich brauchte drei Wochen, um die Wiese abzuernten."

    Dann wieder verzweifelt, weil sie die Tiere des Waldes jagen muss, um zu überleben.

    Die Verfilmung des Marlen-Haushofer-Romans von 1963 ist hier im Film von 2012 auch zu lesen als Gegenentwurf zu den apokalyptischen Welten, die das Kino gerne, zuletzt in der Cormac-MacCarthy-Verfilmung "The Road", in lüstern-düsteren Bildern bietet, wo das Ende jeglicher Humanität beschworen wird.

    Auch in "Die Wand" bricht das Grauen in Gestalt eines mörderischen Mannes ein - die Frau erschießt ihn, doch so wird sie zwei ihrer tierischen Gefährten verlieren -, aber "Die Wand" geht weit hinaus über das genüssliche Zelebrieren des Horrors. Wir sehen die Frau in Angst, Verzweiflung, aber in Momenten auch getragen von Hoffnung und Gelassenheit, um dann wieder in dunkle Einsamkeit zu versinken. Doch allein die Reflexionen über einen Selbstmord…

    "Hauptsächlich hielt mich auch der Gedanke an Luchs und Bella davon ab."

    … münden am Ende in einer Verantwortlichkeit ihren tierischen Gefährten gegenüber - dem Hund, der Katze, der Kuh. - Aber was ist die Wand denn nun? Was der Wald? Alles Traum? Albtraum? Natürlich ist das eine Interpretation.

    "Eine möglich ist ja, dass diese Wand eigentlich nur im Kopf dieser Frau sich befindet und sie immer mehr vereinsamt. Und dass der Wald als Metapher für diese Einsamkeit steht."

    Eine Interpretation, meint Regisseur Julian Pölsler. "Die Wand" zeigt auch den entstehenden Einklang mit der Natur, allerdings jenseits von Natur- oder Tierkitsch wie Gefühlsduseligkeit. Die Komplexität des Films zeigt sich darin, dass er Angebote macht, diese Fabel über die Katastrophe, die existenzielle Bedrohung, die Krise und ihr Anderes immer wieder aus unterschiedlichen Richtungen zu sehen. Wobei Martina Gedeck ohne Frage Recht hat, wenn sie sagt:

    "Also, das ist was drin in dem Stoff, was einem wirklich Angst macht."

    "Alles geht weiter, aber etwas Neues kommt heran. Ich kann mich dem nicht entziehen. Die Erinnerung, die Trauer und die Furcht werden bleiben. Und die schwere Arbeit, so lange ich lebe."

    Martina Gedeck spielt die Frau im Wald, hinter der Wand mit einer Intensität, die einem schlicht Angst machen kann. Am Ende sitzt sie wie am Anfang am Tisch in der dunklen Hütte:

    "Ich werde schreiben, wenn es dunkel wird."

    "Die Gedeck" und die Inszenierung von Julian Pölsler machen "Die Wand" zu einem Film, den man betörend nennen muss.