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Apokalyptische Visionen

Jeff Nichols' "Take Shelter" ist ein Katastrophenfilm, der sich in der Psyche seiner Figuren abspielt. Also ein Paranoiathriller wie einst Hitchcocks "Rebecca" oder "Vertigo". Die größte Angst der Figuren ist die Angst vor der Angst - und wie Nichols das erzählt: ist bewundernswert.

Von Rüdiger Suchsland | 22.03.2012
    Eine amerikanische Durchschnittsfamilie. Irgendwo im Midwest leben sie so, wie man das aus Hunderten von Hollywoodfilmen kennt: Ein Mann, Curtis, verlässlich, zupackend und tatkräftig, Samantha, seine Frau, ein bisschen hübscher als der Durchschnitt und eine gute Seele. Sie haben eine niedliche Tochter, ein kleines Haus mit Garten, in der Gemeinde sind sie beliebt, sonntags geht man in die Kirche, und danach gibt es Apple-Pie. Man lebt bescheiden, aber glücklich - der amerikanische Traum eben.

    Doch eines Tages wird diese Idylle erschüttert. Immer öfter wird Curtis von schlimmen Albträumen geplagt. Und dann nehmen auch die Bedrohungen in seiner Umwelt zu: Blitzschläge, Gewitter, Vögel fallen tot vom Himmel.

    Curtis ist ein guter Familienvater und will seine Familie schützen. Denn er ist überzeugt, dass ein schwerer Sturm kommen wird. Also investiert er alles, was er hat, in einen Schutzbunker - darauf bezieht sich der Titel "Take Shelter".

    Die Mitmenschen allerdings scheinen diese deutlichen Vorzeichen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie tun sie ab, oder behaupten, sie nicht wahrzunehmen. Aber irgendwann rast die Windhose eines Hurrikan direkt auf Curtis' Haus zu ...

    "Was ist mir Dir, Curtis?"

    Jeff Nichols Film ist das fintenreiche, geschickt inszenierte und intelligente Porträt einer krisenerschütterten Gesellschaft. Natürlich wird man hier zu allererst an den Sicherheitswahn denken, der die amerikanische Gesellschaft ergriff, als vor gut zehn Jahren die Anschläge von 9/11 das Land trafen: Bürgerrechte wurden abgebaut, die Behörden der Homeland-Security wurden zum Staat im Staat, und manche Kritiker erinnern geheime Folterbunker und Konzentrationslager wie Guantanamo an schlimmste Zeiten - all das brachte statt neuer Sicherheit noch mehr Verunsicherung.

    Genauso gut kann man den Film auch weniger direkt politisch als universeller, nämlich wirtschaftlich und soziologisch interpretieren: In der Weltfinanzkrise löst sich gerade der amerikanische Traum der Chancengleichheit und der Aufstiegsversprechen für alle Fleißigen in Luft auf: Hauskredite platzen, der finanzielle Sturm hat noch schlimmere Folgen, als der stärkste Tornado.

    "Take Shelter" ist sehr glaubhaft in seiner Milieuzeichnung des kleinbürgerlichen Amerika, das alles richtig machen will, ans Gute glaubt, und doch auf keinen grünen Zweig kommt. Und das neuerdings mit einer ungreifbaren, unausweichlichen Angst konfrontiert ist.

    Die Hauptdarsteller Michael Shannon, der mit seinem ausdrucksstarken, alles andere als einnehmenden, immer gequält wirkenden Gesicht, schon öfters paranoide, innerlich getriebene Charaktere spielte, und Jessica Chastain, die letztjährige Entdeckung in Terrence Malicks "The Tree of Life", als bodenständige, innerlich gesunde Gattin, die spürt, dass ihr Mann etwas weiter sieht, als ihre Mitmenschen, spielen dieses Paar eindrucksvoll und glaubwürdig.

    "Du hast noch kein Wort darüber verloren."

    "Ich dachte, Du würdest Dir dann Sorgen machen."

    Vor allem aber ist dies ein Film über die innere Befindlichkeit des Westens, über den untergründigen apokalyptischen Grundton, der unsere demokratischen Gesellschaften durchzieht. Wo gibt es noch Schutz? Was muss man fürchten? Was darf man hoffen?

    Und nichts ist katastrophaler als Selbstzweifel, als der Verlust des Glaubens, dass man "es schaffen" kann, dass das Leben es letztendlich gut mit einem meint.

    Jeff Nichols' "Take Shelter" ist ein Katastrophenfilm, der sich in der Psyche seiner Figuren abspielt. Also ein Paranoiathriller wie einst Hitchcocks "Rebecca" oder "Vertigo". Die größte Angst der Figuren ist die Angst vor der Angst.

    Wie Nichols das erzählt, ist bewundernswert. Denn dem Regisseur gelingt es, uns Zuschauer konsequent in einen Strudel der Verunsicherung zu ziehen, in einen Taumel der Sinne, in der auch wir im Kinosaal nicht mehr sicher sein können, was von dem, was wir auf der Leinwand sehen, tatsächlich zutrifft, und was in der Einbildung der Figuren liegt.

    Gewiss: Curtis geht selbst zum Arzt, er weiß, dass er manches nur halluziniert, und der Hinweis auf eine Krankheit, auf die paranoide Schizophrenie, wird klar gelegt. Aber nicht alles existiert nur in seinem Kopf.

    Und schließlich gibt es ja diesen Witz, der wie alle guten Witze, viel Weisheit birgt: Er geht so: Bloß weil einer paranoid ist, ist das noch lange kein Beweis dafür, dass er nicht doch verfolgt wird.

    In diesem Sinne ist die Tatsache, dass Curtis spinnt, hier noch kein Beweis dafür, dass die Welt nicht wirklich untergeht. Es braut sich was zusammen.