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Applaus für den Analstöpsel

Viermal im Jahr wollen Berliner Festspiele und "Zeit"-Stiftung in einer neuen Reihe jeweils einen Kunstschaffenden mit seinem "Kosmos" vorstellen. Den Auftakt machte die Schriftstellerin Sibylle Berg. Sie entführte das Publikum in die Welt ihrer Werke, Fantasie und Freunde.

Von Franziska Buhre | 14.10.2013
    "Ganz guter Stoff, nicht? Ich glaube, das muss man nicht schnupfen, ich glaube, das kann man sich auch so einreiben, ich glaube, wir reiben uns das immer so ein."

    Sibylle Berg und Katja Riemann haben soeben auf dem Sofa Platz genommen und reden über das Kokain, das Frau Berg sich und ihren Freunden mitgebracht hat, um den Tag zu überstehen. Ihre Gespräche sieht man auf zwei großen Leinwänden auf beiden Seiten des Rangfoyers im Haus der Berliner Festspiele, hinter den Besuchern spielen wechselnde Musikgruppen. Die Live-Übertragung funktioniert als Dauer-Talkshow. Ab und zu sieht man die Gäste im Theater herumlaufen, meistens aber auf dem Bildschirm. Volker Beck, Bundestagsabgeordneter der Grünen und die Publizistin Carolin Emcke erörtern die Lage vor den Olympischen Winterspielen in Russland:

    Volker Beck: "Ich finde man könnte vom IOC eine Politik der Nadelstiche durch die Sportler unterstützen."
    Carolin Emcke: "Hast du die Kleidung gesehen die jetzt ausgewählt wurde für die deutsche Equipe? Die sieht natürlich ehrlich gesagt so wunderbar tuntig aus, aber das ist leider glaube ich gar nicht absichtlich gemeint."
    Volker Beck: "Nee, aber man könnte natürlich mehr von dem absichtlich machen."

    In der Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele sind echte Computernerds auf Sofas bei schummrigen Licht in ihre Laptops vertieft. Per Computer können Besucher mit ihnen in Kontakt treten. Mit einem Erzeugnis des 3-D-Druckers wird Sibylle Berg später noch beglückt. Im hellen Teil des Raumes bringen "freundliche Vorleserinnen" Texte von Sibylle Berg zu Gehör. Gitta Lindemann liest aus dem Buch "Wie halte ich das nur alles aus? Fragen sie Frau Sibylle."

    "Irgendeinen Zeitpunkt hat jeder, da merkt er, dass sein Leben auf den Abgrund zu rast. Verwechselt man dieses Gefühl des atemlosen Grauens mit der Erregung ob des Zustandes unserer Welt? Ginge es uns besser, säßen wir ohne Medieneinwirkung auf freundlich temperierten Inseln?"

    Das den Tag mit Sibylle Berg beherrschende, grenzenlos banale Talkshow-Format schluckt fast alles Sehens- und Hörenswerte. Es gibt Zuschauer, die es angenehm finden, sich nirgendwo auf etwas konzentrieren zu müssen.

    Wer aber weiß, dass die Talkmasterin nur wenige Meter hinter der Leinwand in der Piscator-Loge des Theaters sitzt, fühlt sich schlechterdings verschaukelt. Jeder andere Live-Auftritt wird zur Staffage, und so bleibt vom glänzenden Auftritt von Sängerin Kaey nur die opulente Trans-Frau im Paillettenkleid haften.

    Im kleinsten Raum des Theaters – im Fahrstuhl – kommt man dem Kosmos der Sibylle Berg noch am nächsten: Der Schauspieler Matthias Faust liest in der Enge für maximal zwei Personen:

    "Gestern ziemlich um Mitternacht, bin ich aus meinem Traum erwacht. Ein Kratzen hatte mich geweckt, war auch nicht richtig zugedeckt. Zu meinen Füßen saß ein Gnu und schaute mir beim Aufwachen zu. Es spuckte mich dann grausam an, der Speichel mir ins Auge rann. Es stockte mir vor Angst der Atem, ich witterte den fetten Braten. Du bist kein Gnu, schalt ich das Tier, erkenne klar ein Lama hier! Das Gnu, es lachte fürchterlich und sagte: Tja siehst du mal, so täuscht man sich."

    Auf der grossen Silvestergala am Abend werden achtlos Zuschauerfragen verlesen, darunter selbst vorbereitete für eine ach so spontane Aktion:

    "Liebe Frau Berg, wie kommt es, dass ich sie bei "Ein Tag mit Sibylle Berg" nirgends sehen kann? Wurden Sie bereits gescannt und stehen der Welt nur noch digital zu Verfügung?"

    Hacker (hereinlaufend): "Stopp, stopp, stopp, wir haben eine Überraschung für dich."

    Sibylle Berg: "Das sind die Hacker, habt ihr die alle gesehen? Die haben 3-D-gedruckt."

    Hacker: "Damit du Spaß hast in deinem Leben endlich mal, sollen wir es allen zeigen, Bettina komm‘ zeig‘s mal allen. Es ist ein kleiner Analstöpsel nur für Sibylle, handgedruckt, Applaus dafür!"

    Der Analstöpsel funktioniert als Sinnbild für den Gehalt dieses Tages mit der Stilikone, wie das Programm Sibylle Berg tituliert, recht gut. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Berliner Festspiele noch einmal grundlegend des an sich viel versprechenden Veranstaltungsformates annehmen.