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''Après Soleil''

Menschen im Badeanzug sind naturgemäß nicht immer umwerfende Erscheinungen, vor allem, wenn sie sich in diesem Outfit auf der Bühne präsentieren müssen. Der Autor Peter Stamm, sonst eher ein Spezialist für sprachliche Nacktheit, verlangt das von seinen Figuren einen ganzen Abend lang. Er lässt drei Paare, ein altes, verbrauchtes, ein junges, oberflächliches und ein Noch-Nicht-Paar in einer Feriensiedlung in Italien durcheinandergeraten. Urlaub, Reich der Freiheit, Land der Katastrophen: hier wird jene Leere und Trostlosigkeit, die im Arbeitsalltag durch rituelle Abläufe nur verdeckt ist, umso deutlicher.

Ein Beitrag von Christian Gampert |
    Der Trick, mit dem Peter Stamm arbeitet, ist von begrenzter Komik: weil die Tourismus-Industrie uns genormte, für alle gleiche Ferienwohnungen zur Verfügung stellt und alle dort ähnlich Banales tun, kann man die in ihrer Behausung "für sich Seienden" auch alle gleichzeitig im selben Raum zeigen. Das ist wie in den alten Film-Comedies, in denen plötzlich fremde Leute in die Szene hineinkopiert werden und alle aneinander vorbeilaufen.

    Diese Kommunikationslosigkeit zu bebildern, ist Stamms Hauptanliegen. Ständig klingeln die Handies und Haustelefone, ständig erzählt man aus Verlegenheit schmutzige Witze und gibt vor, jemand zu sein, der man doch nicht ist. Viel Bier, viel Sonnenbrand. "Après Soleil" eben. Das ältere Ehepaar hat sich wenig zu sagen; Mutti macht sich Sorgen um Papas krankes Herz, während der bierbäuchige Alte lieber die Freundin seines Sohnes betatscht, mit dem sinnreichen Kommentar: bleibt doch alles in der Familie. Der Sohn ist ein stumpfer Großkotz, die Freundin ein modisches Mädel. Nebenan wohnt eine einsame Single-Frau, die angeblich in der Medienbranche tätig ist und in Wahrheit nur Kontaktanzeigen aufnimmt – natürlich ist sie selbst, in ihrer depressiven Bedürftigkeit, eine wandelnde Kontaktanzeige. Dazu kommt noch ein lediger Software-Entwickler, der für die Fleisch-Industrie arbeitet. Die Themen sind also vorgegeben.

    Diese Personen werden von Peter Stamm einzeln und im Paarlauf vorgeführt, dann zu einer geschmacklosen Geburtstags-Party zusammengebracht und schließlich wieder in die Einsamkeit entlassen. Am Ende, was von Stamm so nicht vorgesehen ist, legt die Regisseurin Christiane Pohle alle nebeneinander im Morgengrauen in Liegestühle an den Strand, wie lebende Beweisstücke, in Decken gehüllt.

    Zuvor hatte sie die von Peter Stamm angebotenen Metaphern eifrig durchdekliniert: immerwährend wechselt man die Kleider, ölt und cremt sich gegenseitig ein, legt Steaks und Würstchen auf den Grill. Ständig macht Evelyne, die einsame Frau, die keiner will, immer noch einen sprachlosen Versuch, den Software-Entwickler zu angeln. An ihrer Figur wird deutlich, dass die Regisseurin nur arrangiert und nicht inszeniert: die Schauspielerin Julia Schmidt wechselt von den traurigen Seiten der Figur unvermittelt in eine manirierte Zickigkeit – das ist alles nur vorgezeigt, nicht von innen heraus erarbeitet. Und der Höhepunkt des Abends, wenn der Großkotz-Sohn der verschüchterten Evelyne ihr Geburtstagsgeschenk überreicht, einen Dildo, macht nur deutlich, dass auf dem Gebiet der Geschmacklosigkeit das Theater der Wirklichkeit (und dem Fernsehen) ziemlich unterlegen ist. Denn es erzählt nur wenig über eine Figur, wenn diese, wie die beiden biersaufenden Männer in Stamms Stück, mit einer riesigen Penis-Prothese herumfuhrwerkt. Natürlich, sie haben es nötig. Es regt sich nichts Erotisches mehr in dieser veräußerlichten Konsumwelt. Während in Peter Stamms Erzählungen solche Szenen aber als lakonische, hoffnungslose Stimmungen ausgemalt werden, sind sie auf dem Theater nur als dumme, banale, bunte Bilder da, wie im Fernsehen eben auch.

    Und das ist schade. Denn Stamm gehört zu den wenigen Autoren der jüngeren Generation, die wirklich schreiben können. Manchmal blitzt dieses Können auf – wenn die beiden verhinderten Liebenden, Evelyn und ihr schüchterner Software-Fleischbeschauer, sich in Selbstbeschreibungen üben: was wir sind, lässt sich nicht sagen. Computerfachmann, 35, ledig, ...was machst du gern? Ich wohne gern. Wir könnten zusammen ein Glas Wein trinken. Es kann auch mehr sein, bei gegenseitiger Sympathie. Die Welt der Kontaktanzeigen ist eine Welt der Traurigkeit.

    Bei Michel Houellebecq, dem Zyniker der sexuellen Oberflächlichkeit, kommen am Ende seines Tourismus-Romans "Plattform" radikale Islamisten und schießen auch die wenigen wahren Liebenden über den Haufen. Bei Peter Stamm passiert nichts: lauter Hoffnungslose liegen nebeneinander, auf der Bühne zu sonnenbrandgeplagten Würstchen geschrumpft, während sie in seinen Erzählungen wenigstens noch eine lakonische Möglichkeitsform der Liebe haben. Dass Peter Stamm Material und Personal zweier dieser Erzählungen einfach zu diesem Stück weiterverarbeitet hat, lässt nichts Gutes ahnen. Ein Autor, der sich mit knapp 40 schon selbst recycelt, verkauft sich unter Wert. Peter Stamm sollte in seinem Leben noch was Besseres vorhaben.

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