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Apropos Margarete Buber-Neumann. Mit einem Essay von Michaela Wunderle.

Zur letzten Rezension unserer heutigen Sendung: Am 21. Oktober vergangenen Jahres wäre die deutsche Schriftstellerin und Publizistin Margarete Buber Neumann 100 Jahre alt geworden. In den Aktualitäten des vergangenen Herbstes ging dieser Geburtstag ziemlich unter, obwohl die Vita der 1989 Verstorbenen eine der bewegendsten deutschen Biographien des vergangenen Jahrhunderts sein dürfte. Wohl wenige Frauen begannen ihre politische Karriere in der KPD der 20er Jahre und beendeten sie ein halbes Jahrhundert später in der CDU - und eher noch weniger überlebten direkt zwei totalitäre Todesmaschinerien hintereinander: den sowjetischen Gulag u n d das deutsche KZ. Höchste Zeit also, dass auf dem Buchmarkt nun endlich eine Lebensbeschreibung Buber-Neumanns erschienen ist. Günter Müchler stellt Sie Ihnen vor:

Günter Müchler: | 28.01.2002
    Zur letzten Rezension unserer heutigen Sendung: Am 21. Oktober vergangenen Jahres wäre die deutsche Schriftstellerin und Publizistin Margarete Buber Neumann 100 Jahre alt geworden. In den Aktualitäten des vergangenen Herbstes ging dieser Geburtstag ziemlich unter, obwohl die Vita der 1989 Verstorbenen eine der bewegendsten deutschen Biographien des vergangenen Jahrhunderts sein dürfte. Wohl wenige Frauen begannen ihre politische Karriere in der KPD der 20er Jahre und beendeten sie ein halbes Jahrhundert später in der CDU - und eher noch weniger überlebten direkt zwei totalitäre Todesmaschinerien hintereinander: den sowjetischen Gulag u n d das deutsche KZ. Höchste Zeit also, dass auf dem Buchmarkt nun endlich eine Lebensbeschreibung Buber-Neumanns erschienen ist. Günter Müchler stellt Sie Ihnen vor:

    Es ist den meisten Menschen bestimmt, dass sie dem einmal eingeschlagenen Weg treu bleiben. Aus purer Gewohnheit verharren sie in der Spur, mitunter auch um den Preis moralischer Verbiegung. Nicht sie, sondern die Ausnahmen von der Regel sind es, die unsere Aufmerksamkeit immer wieder in den Bann ziehen.

    Margarete Buber-Neumann war eine solche Ausnahme. Es ist deshalb ein Verdienst an sich, dass der Verlag Neue Kritik in seiner dem Leben bedeutender Frauen gewidmeten Reihe "Apropos" jetzt der mutigen Grenzgängerin eine kleine, bibliophile Ausgabe gewidmet hat.

    In ihrem Essay, der einer Reihe von Widmungen vorangestellt ist, zeichnet Michaela Wunderle das Bild einer Frau "Zwischen den Fronten". Tochter aus gut betuchtem Hause, geriet Margarete Thüring nach Ende des Ersten Weltkriegs mit dem Kommunismus in Berührung. Für sie, die aus dem "Wandervogel" kam, war der Anknüpfungspunkt nicht die marxistische Theorie, sondern deren idealistische Interpretation. Nach einer kurzen Ehe mit Rafael Buber, einem Sohn des jüdischen Religionsphilosophen, schloss sie sich Heinz Neumann an. Neumann war ranghoher Funktionär der KPD und spielte in der Agonie der Weimarer Republik bei der Aktionsgemeinschaft zwischen Kommunisten und Nazis in Preußen eine unrühmliche Rolle. Durch ihn und durch ihre Schwester Babette, die mit dem legendären Agitator Willi Münzenberg liiert war, lernte sie das Kadermilieu der Kommunisten kennen.

    Nach der Machtergreifung durch die Nazis und einer Flucht durch Westeuropa siedelten die Neumanns 1935 nach Moskau über, ausgerechnet zur Zeit der "Großen Säuberungen". Neumann half es nicht, dass er über Jahre Stalin blind gefolgt war. Als "Linksabweichler" wurde er 1937 hingerichtet. Margarete wohnte in dem berüchtigten Komintern-Hotel mit dem sarkastischen Namen "Lux".

    "Das 'Lux? glich bereits einem Gefängnis. Die Zimmertelefone wurden abgehört, die Bewohner kontrolliert, die Besucher registriert. Jeden Morgen fehlte ein anderes Gesicht. In dem Versuch, sich zu retten, denunzierte im 'Lux" fast jeder jeden...Margarete erwähnt nicht, vielleicht, weil sie es nicht wußte, dass auch Heinz Neumann dem NKWD Informationen zulierferte; die Berichte sind in seiner Moskauer Kaderakte aufbewahrt. Es sind wenige im Vergleich zu den Menge an Informationen, die etwa ein Herbert Wehner, damals Kanidat für das Leitungsgremium der Auslands-KPD, dem NKWD zukommen ließ."

    Nach Neumanns Hinrichtung wanderte Margarete - mit fünf Jahren Arbeitslager hatte sie das für Angehörige sogenannter "Volksfeinde" übliche Strafmaß erhalten - in den Archipel Gluag, erst ins Gefängnis Butyrka, dann nach Karaganda in die kaukasische Steppe. 194O durfte sie das Vaterland der Werktätigen verlassen, freilich anders als sie und ihre Leidensgenossen es sich vorgestellt hatten.

    "Dass dies nicht die Freilassung bedeutete, begriff sie, als der Zug auf Brest-Litows zurollte. In der Nähe des Bahnhofs führte eine Eisenbahnbrücke vom sowjetisch besetzten Teil Polens in das von den Deutschen okkupierte Gebiet hinüber. Margarete konnte sehen, dass die Männer auf der anderen Seite der Brücke SS-Uniformen trugen."

    Zusammen mit rund tausend deutschen und österreichischen Emigranten, Exkommunisten und Linkssozialisten, ein Drittel von ihnen Juden, war Margarete Buber-Neumann Teil eines Geschenkpakets, das Josef Stalin seinem Nichtangriffspaktpartner Adolf Hitler großzügig zu Füßen legte. Für viele, speziell für die Juden, bedeutete diese Tyrannengeste den sofortigen Tod. Für Margarete hieß es: Vom Gulag ins KZ Ravensbrück.

    Auch die Nazi-Schergen konnten Margarete nicht überwinden. Zitat: "Sie war wohl der einzige Mensch, der die Gefangenschaft in den Lagern Stalins und Hitlers überstand und noch das Kriegsende erlebte," schreibt der renommierte Hitler-Biograph Alan Bullock.

    Ihr ferneres Leben war vom dem Bemühen geprägt, die eigenen Erfahrungen mit derm roten und dem braunen Totalitarismus weiterzugeben. "Als Gefangene bei Stalin und Hitler" lautete der programmatische Titel ihres ersten Buches. Freilich stieß sie mit ihrer Botschaft bei vielen Intellektuellen im Westen auf taube Ohren. Sie sträubten sich, wie Arthur Koestler es klassisch ausgedrückt hat, mit "geistigen Stoßdämpfern und dialektischen Wattepolstern" gegen die Erkenntnis, dass die Stalinsche Klassenherrschaft keinen Deut besser war als die Hitlersche Rassenherrschaft.

    "Die Warnung, unter dem Vorzeichen des Antifaschismus die Zusammenarbeit mit Stalin fortzusetzen, erreichte links von der politischen Mitte nur wenige. Die Sowjetunion wurde unverändert als die große Siegerin über Hitler wahrgenommen, als Kämpferin für den Frieden. ... Viele Intellektuelle im Osten wie im Westen begeisterte der Gedanke, aus dem Scherbenhaufen Europas eine neue Gesellschaft zu errichten. Die Verbrechen, die im Reich Stalins stattfanden, traten dabei völlig in den Hintergrund."

    Politisch auch bei der SPD zunehmend als Störenfriedin empfunden, beendete Margarete Buber-Neumann ihr politisches Leben bei der CDU. Heute ist sie praktisch vergessen. Zu ihrem hundertsten Geburtstag im Oktober erschienen hier und da ein paar Aufsätze. In der Gedenkstätte Ravensbrück ist ihr eine kleine Ausstellung gewidmet. Neu, aber kaum verwunderlich ist die Erkenntnis, dass sie in den fünfziger Jahren intensiv unter Beobachtung der Stasi stand.

    Wer die Biographie Margarete Buber-Neumanns liest, fragt sich, weshalb in einer Zeit, da es angeblich so sehr an Vorbildern mangelt, das ungewöhnliche Leben dieser starken Frau so wenig bekannt ist. Offenbar hat hier die Marxismus-Seligkeit, die im Zuge der 68er Jahre unter der irreführenden Vokabel des Antifaschismus weite Teile des intellektuellen Milieus in Westdeutschland erfasste, ihre Wirkung hinterlassen. Lobenswert war allein der Widerstand gegen die braune Pest. Widerstand gegen den Kommunismus hingegen inkommodierte das große Werk des Appeasement.

    Umso mehr darf man sich über das Erscheinen des Bandes freuen. Er erinnert an eine Frau, die bei nur geringer Übertreibung Hannah Arendt an die Seite gestellt werden kann, diese als Theoretikerin des Antitotalitarismus, jene als Praktikerin.

    Günter Müchler: Apropos Margarete Buber-Neumann. Mit einem Essay von Michaela Wunderle. Verlag Neue Kritik Frankfurt/Main 2001, 144 Seiten für 12 Euro 50. Wer sich für die Originalwerke Margarete Buber-Neumanns interessiert: sie sind im Ullstein Taschenbuch Verlag und in der Edition Hentrich nach wie vor im Angebot. Soviel für heute in unserer Sendung "Politische Literatur" Am Mikrofon verabschiedet sich mit Dank für Ihr Interesse Marcus Heumann. Guten Abend.