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Arabische Autorinnen schreiben über Selbstbestimmung

Christina Janssen: Als 18-jähriger kam Suleman Taufiq 1971 in die Bundesrepublik, studierte Philosophie und Komparatistik - und blieb. Er lebt heute als Publizist in Aachen und hat gerade im Deutschen Taschenbuch Verlag zwei Sammelbände herausgegeben: Arabische Erzählungen heißt der eine. Frauen in der arabischen Welt der andere. Und dieses Buch birgt eine Menge Sprengstoff: Da schreiben Autorinnen über Selbstbestimmung und Sexualität, über Beschneidung und Zwangsheirat, über die totale Unterordnung der Frauen - aber auch über ein neues Aufbegehren und Selbstbehauptung. Herr Taufiq - das sind spannende, anrührende, erotische, erschütternde Geschichten - könnten Sie so ein Buch auch in Ihrem Heimatland, in Syrien veröffentlichen?

Moderation: Christina Janssen |
    Suleman Taufiq: Ich glaube ja, und diese Geschichten sind alle in den arabischen Ländern veröffentlicht. Manche sind in ihren Ländern verboten, aber sind in anderen Ländern schon nicht mehr verboten, zum Beispiel in Beirut oder in Syrien. Solange man zum Beispiel nicht die Regierung angreift, sondern nur die Gesellschaft angreift, erlauben die Regierungen solche Bücher. Aber heutzutage gibt es eine andere Form der Zensur, nämlich die Zensur der religiösen Kräfte, wie zum Beispiel die Al Azhar Universität in Kairo. Und die versuchen solche Bücher zu verbieten oder eine Kampagne zu starten gegen solche Schriftstellerinnen, die solche Bücher schreiben, wie zum Beispiel in der letzten Zeit gegen Nawal Saadawi.

    Janssen: Das heißt, arabische Frauen die publizieren, die ihre Meinung öffentlich kundtun haben es nach wie vor schwer?

    Taufiq: Es ist besser geworden als früher, aber es ist immer noch schwer, weil die Frauen in der arabischen Gesellschaft leicht angreifbar sind. Der Islam sagt, die Frau muss zu Hause bleiben, sie darf nicht in der Öffentlichkeit auftreten. Das ist immer eine Argumentation gegenüber Frauen, die versucht, diese islamistischen Kräfte gegen die Frauen zu operieren.

    Janssen: Seit wann schreiben arabische Frauen denn überhaupt, dass ist ja noch ein recht neues Phänomen?

    Taufiq: Angefangen hat das am Anfang des 20. Jahrhunderts, da waren zuerst Frauen, die in Zeitschriften was geschrieben haben, vor allem Frauen aus der bürgerlichen Gesellschaft, Frauen, die Väter gehabt haben, die auch aufgeklärt waren und die haben sie auch unterstützt. Oder Väter, die Journalisten oder Schriftsteller waren. Die Frauen haben versucht, etwas in den Zeitschriften zu schreiben. Später haben sie angefangen Gedichte und Erzählungen zu schreiben, weil in der arabischen Gesellschaft ist das so: Gedichte werden öffentlich vorgetragen, und nicht gelesen, und dass eine Frau öffentlich auftritt und ihre Gefühle frei äußert, das war damals sehr schwer.

    Janssen: Aber finden diese Frauen denn heute mit ihren Texten tatsächlich ein Publikum, und wer liest sie, wer rezipiert sie?

    Taufiq: Ich kann ihnen was sagen, vielleicht wundern sie sich. Es gibt Frauen, die werden besser verkauft, ihre Bücher werden besser verkauft als die von Männern. Zum Beispiel Ghada Samman aus Syrien. Ihre Bücher werden so viel verkauft wie Naguib Mahfouz in Ägypten. Oder eine Frau wie Nawal Saadawi oder Sahar Khalifa. Und wer liest die Bücher? Viele Männer lesen diese Bücher und ich finde, sie sollen die auch lesen, weil, für mich ist das so: Eine Gesellschaft kann sich nur emanzipieren, wenn die Frau sich wirklich emanzipiert hat. Und das ist was wir in der arabischen Welt brauchen.

    Janssen: Stichwort lesen und Lektüre. Bei uns lesen die Leute überall, in U-Bahnen, in Bussen, sie sitzen auf Parkbänken und lesen Zeitungen und Bücher. In den arabischen Ländern beobachtet man dieses Phänomen seltener. Wie ist der Stellenwert des Buches und der Lektüre in den arabischen Gesellschaften?

    Taufiq: Es gibt einen Widerspruch in dieser Frage. Erst mal, das Buch in der arabischen Gesellschaft hat eine wichtige Stellung. Sie wissen, die Muslime betrachten sich als eine Religion des Buches. Und der Koran ist sehr heilig, der Koran ist in einer arabischen Sprache geschrieben, oder von Gott diktiert, das ist die Sprache von Gott. Aber gleichzeitig leben wir in einer Gesellschaft und in einer Kultur die sehr männlich geprägt ist. Das heißt, wir haben eine sehr starke männliche Kultur. Es gibt keine Lesekultur, leider, in der arabischen Gesellschaft. Wer ließt, gehört zu einer Minderheit.

    Janssen: Mit welchen Titeln, mit welcher Art von Büchern kann man denn überhaupt Umsatz machen in der arabische Welt?

    Taufiq: Es gibt zum Beispiel Titel, Gedichte zum Beispiel, von Mahmud Darwisch oder Salwa Baker, die sind in Millionen Auflage verkauft. Das ist für die Deutsche oder Europäische Gesellschaft unvorstellbar, weil Gedichte verkaufen sich sehr schlecht. Und auch Romane und Biographien. Früher gab es keine Biographien, man hat keine Biographien geschrieben, weil die Araber nicht gerne mit 'ich' reden, sondern immer mit 'wir'. Aber zur Zeit schreiben sie Biographien und es gibt viele, biographische Texte, die wirklich gerne gelesen werden.

    Janssen: Und welche Rolle spielen religiöse oder sogar fundamentalistische Texte?

    Taufiq: Eine sehr wichtige Rolle. Sie werden wirklich viel verkauft. Die am meisten verkauften Bücher sind religiöse Bücher oder Bücher aus der Klassik, aus der mittelalterlichen Zeit und so weiter, und das ist leider so.

    Janssen: Herr Taufiq, am Mittwoch beginnt die Frankfurter Buchmesse, auf der sich die arabische Buchwelt präsentieren soll, und ein häufig geäußerter Vorwurf lautet da, die Staaten schicken nicht ihre Besten sondern die Angepassten. Ist das richtig?

    Taufiq: Teilweise ja, teilweise nicht. Es gibt auch viele Autoren, die eingeladen werden, die auch im Exil leben. Das sind nicht nur Leute, die in der arabischen Welt leben. Aber teilweise richtig, weil die arabischen Regierungen können ihre Schriftsteller auswählen, die nach Frankfurt kommen. So hat die Arabische Liga es beschlossen. Und die Arabische Liga ist ein offizieller Vertreter der arabischen Regierungen, nicht der arabischen Länder.

    Janssen: Aber sie glauben schon, dass die Vielfalt der arabischen Literatur sich hinreichend auf der Buchmesse wiederspiegeln wird?

    Taufiq: Ich glaube ja, und ich finde es wunderbar, dass die arabische Literatur endlich mal so gut auf der Buchmesse vertreten ist, denn die deutsche Literatur und die deutsche Gesellschaft kann auch über die arabische Literatur, über die arabische Welt was lernen und kennen lernen, vielleicht besser als diese Nachrichten, die wir alltäglich aus dem Radio und dem Fernseher bekommen haben.

    Janssen: Herr Taufiq, ein arabischer Autor kann sich den Luxus der Neutralität nicht leisten, das hat ihr Schriftstellerkollege Tahar Ben Jelloun neulich in der Zeit geschrieben. Gilt das für arabische Literaten mehr als für andere?

    Taufiq: Ich glaube ja. Wir arabischen Literaten müssen uns engagieren, weil wir uns in einer Phase der Umwälzung befinden. Und gerade die Schriftsteller sind in der Lage, diese Gesellschaft zu erneuern oder Impulse zu geben, das hat es immer in der Geschichte gegeben, dass die arabischen Literaten immer im Vordergrund waren und etwas für die Gesellschaft gemacht haben.

    Janssen: Wir haben gerade über das neue Phänomen der schreibenden Frauen in der arabischen Welt gesprochen. Kann das vielleicht eine Keimzelle für eine arabische Renaissance sein?

    Taufiq: Ja, wir brauchen eine Feminisierung unserer Gesellschaft sag ich immer. Und ich glaube, die Frauen haben keine Angst vor der Moderne, nur die Männer in unserer Gesellschaft haben Angst vor der Moderne, weil die Moderne befreit die Frau, die Frauen wollen die Moderne haben. Und die Männer haben Angst vor der Moderne, weil sie Angst haben, etwas zu verlieren. Und deswegen liegt meine Hoffnung in den Texten, die die Frauen schreiben.

    Janssen: Vielen Dank für das Gespräch. Das war Suleman Taufiq - über die Situation arabischer Autorinnen und die Buchmesse in Frankfurt.

    Suleman Taufiq: "Frauen in der arabischen Welt"
    Deutscher Taschenbuch Verlag, 224 Seiten, 9 Euro

    In der selben Serie:
    Arabische Erzählungen.
    368 Seiten, 10 Euro.