Ob man Hilmes psychoanalytische Deutung von der klassischen Hysterikerin folgt oder nicht, eines ist gewiss: Alma Mahler Werfel war und bleibt - soviel man nun auch neues über sie erfährt - vielschichtig, undurchschaubar, fast unantastbar: eine Diva ohne Königreich, eine Mona Lisa, die dem Porträtisten entwischt ist, um sich im Zwielicht zu betätigen. Aus der einst hübschen Alma Schindler wurde ziemlich bald eine herrsch- und geltungssüchtige Matrone; wohl nicht zuletzt als Folge ihres exzessiven Alkoholkonsums (den heimlich zu betreiben sie im Gegensatz zu anderen Frauen nicht nötig hatte), verlor sie ihre Attraktivität früh. Ihrer Wirkung (es war die Wirkung einer Schlange auf das Kaninchen) taten äußerliche Veränderungen aber keinen Abbruch.
Die Liste ihrer wechselnden Entourage - längst nicht alle waren, wie es die Saga will, ihre Liebhaber - ist lang und klangvoll. Und das, obwohl sie sich kaum je als Mäzenin hervortat. Geld gab sie lieber für sich selber aus. Gut und ausreichend zu essen und zu trinken allerdings gab es auf ihren Parties stets, auch Klatsch wurde reichlich feilgeboten, mit seiner Meinung worüber auch immer brauchte keiner hinterm Berg zu halten; sie tat es am allerwenigsten. Alma hielt über all dem ihre schützende Hand; die Hand einer Gebieterin, die keine Halb- und Lauheiten duldete, weder
im Salon noch im Bett, weder in der Kunst noch im Leben. Mit großen Worten und theatralischen Gesten geizte sie nicht.
Ehefrau, Witwe, Geliebte, das alles war sie, und sie war es, zum Nutzen wie zum Schaden ihrer Opfer, mit Leib und Seele. Mutter war sie auch; doch die Beziehungen zu ihren Töchtern waren und blieben äußerst angespannt. Den Tod der ersten, die Mahler zur Komposition der
Kindertotenlieder inspirierte, hatte sie sich heimlich gewünscht (in ihren Tagebüchern ist es schockierend direkt niedergeschrieben). Vor allem aber betrachtete sie sich als Muse. Tatsächlich war ihr Einfluss - anders ihre Gegner es gern darstellen -, nicht unbeträchtlich, ob zum Guten oder Schlechten sei dahingestellt; Oskar Kokoschka hat sie wieder und wieder gemalt, als Windsbraut und als Riesenpuppe (die echte Puppe, die er nach ihrem Bild fertigen ließ, verbrannte er schließlich); er hat ihr (leider bislang unveröffentlichte) Briefe geschrieben, deren Exaltiertheit ihresgleichen suchen; der Lyriker Franz Werfel seinerseits wäre vielleicht nie der populäre Romanschriftsteller geworden, der er unter ihrer Anleitung wurde, hätte sie ihn nicht gewaltsam dazu gedrängt.
Je älter sie wurde, desto näher scheint ihr Mahler wieder gerückt zu sein, der längst Verstorbene, den sie nur kurz geliebt und bald betrogen hatte. Als sie 1964 starb, war Mahler seit 54 Jahren tot, Werfel seit 19 Jahren; beide waren keine fünfundfünzig Jahre alt geworden. Damit allerdings enden die Gemeinsamkeiten; während Werfel zähneknirschend alles tat, was die Gattin verlangte, entzog sich Mahler ihrem Einfluss völlig. Ließ sich Werfel noch formen, hatte Gustav Mahler die wichtigsten Stadien seiner künstlerischer Entwicklung bereits durchlaufen, als sie ihn kennen lernte. Als Mahler die junge Alma Schindler heiratete, war er ein anerkannter Dirigent mit Spitzengagen und ein erfolgreicher Komponist dazu. Sie unglücklich zu machen, war nicht schwer. Wer hätte die Ansprüche dieser Frau befriedigen, die Widersprüche ihres Charakters miteinander versöhnen können? Was sie allerdings aus ihrem Unglück machte, war wohl ihr größtes Glück: sie stellte es in den Mittelpunkt eines Romans von epischen Ausmassen, in dem sie die tragische Hauptperson spielte.
Fast alles spricht gegen Alma Mahler-Werfel - und ist oft genug vorgebracht worden. Viele ihrer Zeitgenossen sprachen sich zu ihren Lebzeiten oder danach heftig gegen sie aus; auch die Liste der Nachgeborenen, die ihr nur Schlechtes nachzusagen haben, ist lang, wenngleich nicht gar so prominent; Oliver Hilmes zitiert sie, man liest diese Aussagen mit dem boshaften Vergnügen an der schlechten Nachrede.
Nicht übersehen kann man, daß die meisten, die sie hinter vorgehaltener Hand kritisierten, den Kontakt zu ihr aufrechterhielten. Wenn etwas - heute, da wir sie nicht mehr sehen und nicht hören können - für Alma Mahler Werfel spricht (ohne sie uns deshalb sympathischer zu machen), so
sind es ihre ungereinigten Tagebücher.
Während sie sich mit den veröffentlichten Memoiren das anrüchige Image einer femme fatale erwarb, sind die Tagebücher, deren Abschrift von Almas eigener Hand Oliver Hilmes im Nachlass entdeckte, von einer schonungslosen (und die Schreiberin selbst nie beschönigenden) Offenheit; hier zeigt sich das menschenfressende, antisemitische Ungeheuer, das "Monster" wie Adorno sie nannte, ehrlich, ungeniert, unzensiert.
Antisemitin war und blieb sie über den Holocaust hinaus. Doch mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie mit den Nazis sympathisiert hatte, folgte sie Werfel ins Exil, nein, schritt vielmehr forsch zu Fuß ihm voraus über die Pyrenäen. Zimperlich war sie weder mit anderen noch mit sich selber. Um nur geliebt oder nur gehasst zu werden, hatte sie allerdings zu viele Gesichter.
Ihre Anziehungskraft war ebenso groß wie ihre energische Unverfrorenheit. Auf wen sie nicht wirkte, der hat es ihr sowenig verziehen, wie sie es jenen nicht verzieh, die ihren Reizen nicht verfielen. Das man dabei auch deutlich übers Ziel zu schießen pflegte, hat keiner mit soviel zur Griesgrämigkeit neigender Lust am Hass bewiesen wie Elias Canetti; seine Tiraden gegen Alma gipfeln in der Beschreibung des Begräbnisses der Tochter Manon Gropius, wo sie, wie er chreibt, Tränen vergoss, wie er sie "noch nie gesehen hatte, enormen Perlen gleich, ein kostbarer Schmuck". Dass daran gar nichts stimmt, weil Alma Mahler an dieser Beerdigung nämlich ebenso wenig zugegen war wie an jener ihrer ersten Tochter, ihres ersten Ehemanns und ihres letzten, wirft kein sonderlich günstiges Licht auf Canettis vielgerühmte, vielleicht zu leicht geglaubte Zeugenschaft. Nun, zum Objekt der Verachtung taugte Alma trefflich; und sie tat - dank Champagner und Likör meist stark alkoholisiert - alles nur erdenkliche, um ihrem schlechten Ruf gerecht zu werden.
Oliver Hilmes, ihr jüngster und bestinformierter Biograph, hat das alles zusammengetragen, neue Quellen erschlossen und mit dem, was ihm zur Verfügung stand, ein so farbiges Bild gezeichnet, wie man es einem allseits verhassten Menschen nur wünschen kann. Hilmes stimmt nicht in den Chor jener ein, deren vorgefertigte Meinung, ob positiv oder negativ, es nicht duldet, einen anderen Weg durch das Gestrüpp einer ziemlich ungewöhnlichen Lebensgeschichte zu schlagen, den der Gelassenheit nämlich, die Einblicke sowohl in helle als auch in dunkle Räume zulässt. Mag seine Biographie unser Bild von Alma Mahler-Werfel auch nicht entscheidend verändern können; sie bringt sie so nah wie eben möglich.
Oliver Hilms
Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel
Siedler Verlag, 480 S., EUR 24,-