Arbeit der Zukunft

Im dritten Jahrtausend soll die Stenotypistin sterben. Das Fräulein mit dem Stenoblock - was war das für Geschichten gut, für Filmstoff aus den Fünfzigern:

Von Birgid Becker |
    O-Ton Filmausschnitt 1956: "Bei der neuen Sekretärin kommt es nicht auf schöne Beine oder ein hübsches Gesicht an." " Ah, da suchen Sie sich wohl wieder so eine Nachteule aus!" "Ja, aber eine Nachteule, die 180 Silben in der Minute schreibt."


    Natürlich hatte sie schöne Beine und ein hübsches Gesicht, die Stenotypistin, die in den Fünfzigern Sonja Ziemann war, und er, der Chef, war Rudolf Prack.

    O-Ton Filmausschnitt 1956: "Sind Sie nun Sekretärin oder sind sie es nicht?" "Natürlich bin ich Sekretärin, aber ich bin noch nicht engagiert." "Na dann, engagieren Sie sie,, ich hab´ mich schon so an sie gewöhnt ...bitte schreiben Sie."


    Er bittet zum Diktat und 90 Filmminuten später vor den Traualtar. Das dritte Jahrtausend ist unerbittlich: Stenographie als Ausbildungsinhalt- gestrichen. Wer braucht noch das vis á vis für den Datentransfer?
    Andere Verluste aber wiegen schwerer. Ein Name, ein Symbol: Rheinhausen:

    O-Ton Stahlarbeiterin: "Ich kann nur sagen, am besten machen die hier eine Hanffabrik auf und fertigen schöne, feste Stricke, damit wir uns alle daran aufhängen können."


    Elf Jahre liegt die größte Protestwelle zurück, die das Ruhrgebiet je erlebte. Rheinhausen: Symbol für die Strukturkrise der alten Industrien.

    O-Ton Redner vor Belegschaft: Beifall, Pfiffe
    "Krupp´sche Arbeiter, nehmt jetzt diese historische Chance wahr, um auszufechten, was ausgefochten werden muss - für die Menschen in diesem Lande, für die Familien, für die Kinder, für die Städte, Glück auf!
    Beifall


    160 Tage Arbeitskampf verlangsamten den Prozess, hielten ihn jedoch nicht auf. Vor fünf Jahren wurde das letzte Feuer im Krupp-Stahlwerk Rheinhausen gelöscht. Auf dem Gelände entsteht im neuen Jahrhundert: Ein Logistikzentrum - wenig Arbeit für Gabelstapler, viele Jobs für EDV-Experten, die Güter per Mausklick verlagern, verschieben, verschicken ...

    O-Ton Horst Kreibig: "Wir müssen davon ausgehen, dass der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft anhält. Wir haben heute schon in der Bundesrepublik Deutschland 64 Prozent der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor tätig. In den USA sind es bereits 76 Prozent. In Schweden sind es 75 Prozent. Das ist deshalb sehr bemerkenswert, weil ja die gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA und in Schweden sehr unterschiedlich verlaufen sind, und von daher können wir davon ausgehen, dass auch in Deutschland die Dienstleistungsquote noch erhöht werden wird."


    Rolf Kreibig, Leiter des Berliner Institutes für Zukunftsstudien:

    O-Ton Kreibig: "Besonders bemerkenswert ist nun, dass bereits zwei Drittel im Bereich der Dienstleistungen sich mit Kommunikations-, Wissensdienstleistungen, Know-how-Produktion, Forschung, Entwicklung und Ausbildung - also alles, was mit Information und Kommunikation zusammenhängt - beschäftigen, und dieser Trend wird auch weiterhin anhalten."


    Hundert Jahre brauchte es, um die Industriegesellschaft zu entwickeln - und zu verabschieden. Die Dienstleistungsgesellschaft bricht heran - und wird abgelöst durch neue Welten, die alle Grenzen verschwimmen lassen. Wann arbeiten wir, wann sind wir privat? Braucht es einen Ort für die Arbeit? Kulturtheoretiker nehmen Anleihen an die Quantentheorie, zitieren das Moore´sche Gesetz:

    O-Ton Mühlmann: "Moore. M-o-o-r-e. Ein konsequentes Gesetz der Miniaturisierung ist beobachtbar. Wir werden den Computer haben überall, wir werden in einer Krawatte mehr Rechner haben als in einer leistungsstarken Workstation, wir werden ihn in unserem Absatz haben, überall wird er sein. Ubiquismus ist das beste Stichwort, überall, Überalligkeit."


    Der Rechner überall .... jederzeit an jedem Ort ist Arbeit möglich. Der Kulturtheoretiker Heinrich Mühlmann geht weiter: Warum soll der Arbeit im Menschenleben eine Frist gesetzt sein?

    O-Ton Mühlmann: "Es dürfte den Altersruhestand nicht mehr geben als kulturelles Ziel. Es dürfte nur noch den Begriff der graduellen oder vollständigen Invalidität geben. Altersruhestand als kulturelles Ziel, das ist uns irgendwie vermittelt worden durch diesen Begriff der Entfremdung. Wie Marx gesagt hat: Das Menschenwesen kann nur durch die Befreiung von der entfremdeten Arbeit befreit werden. Wann können wir dieses finden? Nach der Arbeit, in der Freizeit, im Ruhestand. Diese Vorstellung, der Altersruhestand als kulturelles Ziel, müsste ersatzlos gestrichen werden, und das was dabei gespart wird, in diesem Generationensystem, müsste anders berechnet werden."


    Bis zum Jahr 2-tausend 20 glauben Kulturtheoretiker, geben Quantentheorie und Moore´sches Gesetz Aufschluss über die Taktschläge des Wandels. Bis dahin aber werden Fragen ganz anderer Art viel dringlicher sein. Nicht wie, sondern ob wir arbeiten - der Politologe Peter Grottian:

    O-Ton Grottian: "Das, was wir heute als normale Vollzeiterwerbstätigkeit ansehen, also Leute, die 40 Stunden arbeiten, das wird so ungefähr für die nächsten fünf, zehn Jahre der Normaljob bleiben. Dann kriegen wir ein wachsendes Heer an Leuten, die mal was haben, dann wieder nichts haben, und die unsicher sind in ihrer Beschäftigungsposition. Das sind cirka 30 Prozent. Und wenn nichts Dramatisches passiert, dann fallen etwa 30 Prozent derer, die eigentlich arbeiten wollen, durch die Raster."


    O-Ton Opaschowski: : "Die neue Arbeitsformel für die Zukunft lautet: 0,5 mal 2 mal 3. Das heißt: Die Hälfte der Mitarbeiter verdient in Zukunft doppelt so viel und muss dafür drei Mal so viel leisten wie bisher. Man kann das jetzt übertragen und sagen: Es gibt dann nur noch die halbe Belegschaft, aber sie verdient das Doppelte und sie schafft dann das Dreifache. Vielleicht muss sie auch drei Mal so schnell arbeiten."


    Der Gesellschaftsforscher Horst Opaschowski. Schöne, neue Arbeitswelt? Vielschichtig werde sie sein, unübersichtlich gar, meint der Zukunftsforscher Kreibig:

    O-Ton Kreibig: "Wir werden eine Auflösung des normalen Erwerbsarbeitsmodells haben und viel stärker Flexibilität, Variabilität, die Auflösung von Raum- und Zeitstrukturen haben. Das heißt, die Menschen werden mehrere Jobs durchführen, und sie werden auch viel stärker Tätigkeiten durchführen, die heute gar nicht so sehr im Mittelpunkt des Erwerbsarbeitsmodell stehen."


    Andere Arbeit, jenseits der digitalen Welten: Bürgerarbeit, Zivilarbeit, Gemeinschaftsarbeit - das sind die Schlüssel, der die Tür zu einer schönen, neuen Arbeitswelt öffnen sollen:

    O-Ton Opaschowski: "Selbst wenn die Maschinen uns alle Arbeit abnehmen, gibt es für die Menschen genug zu tun und zu arbeiten. Aber das müsste ein Umdenken erfordern, und der Arbeitsbegriff müsste erweitert werden ..."


    O-Ton : "....es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die wusste seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen ..."


    O-Ton Grottian: "Wir müssen uns auf Tätigkeiten einlassen, wir müssen uns daran gewöhnen, dass es einen Beruf möglicherweise einer Märchenerzählerin gibt."


    O-Ton: ".... und begegnete ihm da eine alte Frau, die wusste seinen Jammer schon und gab ihm ein Töpfchen. Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und aßen süßen Brei, so oft sie wollten."


    Die Arbeitswelt im dritten Jahrtausend: Genug zu tun für alle und jedes, und jeder fasst mit an. Fast wie im Märchen.