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Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie
"Verbraucher trifft keine Schuld"

Große Modelabels lassen nicht mehr nur in China, Bangladesch und Indonesien produzieren, sondern auch in der Türkei oder Rumänien. Clean Clothes Campaign hat sich die dortigen Arbeitsbedingungen für die Näherinnen und Näher genauer angeschaut. Ihr Fazit: Auch hier liegt einiges im Argen. Was genau, erklärte Bettina Musiolek im DLF.

Bettina Musiolek im Gespräch mit Jule Reimer | 28.08.2015
    Eingang zu einem Geschäft des Textil-Discounters Primark in Lissabons Colombo Shopping-Center.
    Eingang zu einem Geschäft des Textil-Discounters Primark in Lissabon. (Imago / Thomas Meyer)
    Jule Reimer: Über die unrühmliche Rolle von Markenanbietern wie Hugo Boss, Zara oder Primark in der Textilindustrie in China oder Bangladesch haben wir in der Vergangenheit wegen der schlimmen Unfälle und der niedrigen Löhne schon häufiger berichtet. Und immer noch haben nicht alle Unternehmen, viele wohl, aber nicht alle in die Entschädigungsfonds eingezahlt.
    Vielleicht haben Sie sich auch schon mal beruhigt zurückgelehnt, als Sie hörten, dass Ihr teurer Anzug nicht in Asien, sondern in Rumänien, Albanien oder in der Türkei gefertigt wurde. Die Kampagne für saubere Kleidung hat sich jetzt mal die Arbeitsbedingungen und Löhne dort in der Textilindustrie angeschaut, wo für sehr viele große Marken gefertigt wird. - Bettina Musiolek von der Clean Clothes Campaign, zu welchen Ergebnissen sind Sie denn gekommen?
    Bettina Musiolek: Ja! Wir haben flächendeckend auf dem Balkan recherchiert, recherchieren lassen über lokale Partnerinnen und Partner, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass insbesondere der Lohn ein Riesenproblem ist. In Mazedonien zum Beispiel verdienen die Näherinnen ein Siebentel dessen, was sie eigentlich zum Leben bräuchten. Beides haben wir erhoben, auch über EU-Statistiken, und in den angrenzenden EU-Ländern, zum Beispiel in Bulgarien, was ja ein EU-Mitgliedsland ist, sieht es nicht viel anders aus: auch dort ein Siebentel. Das ist das Hauptproblem.
    Ein weiteres Problem ist, dass gewerkschaftliche Organisierung deutlich behindert wird.
    Reimer: Aber eigentlich herrscht doch Gewerkschaftsfreiheit in den Ländern.
    Musiolek: Auf dem Papier. Auf dem Papier herrscht ja auch in Bangladesch Gewerkschaftsfreiheit, aber de facto ist es so, dass gewerkschaftliche Organisierung sehr, sehr stark behindert wird.
    Reimer: Gilt das nur für die Textilindustrie, oder sehen Sie das auch in anderen Bereichen?
    Musiolek: Besonders für die Textilindustrie. Dort arbeiten hauptsächlich Frauen. Zum Beispiel sind 60, 70 Prozent der Frauen Alleinverdienerinnen. Das heißt, sie haben eine hohe Verantwortung und sie schrecken davor zurück, irgendwie sich zu wehren, weil von ihrem Lohn, von ihrer Arbeit hängt so viel ab.
    "Unternehmen reagieren sehr unterschiedlich"
    Reimer: Sie haben mit den Textilproduzenten, mit den Unternehmenschefs, den Managern in den Ländern gesprochen, aber auch die Auftraggeber wie Hugo Boss, Zara, H&M, Max Mara, Benetton etc. angesprochen. Was sagen die denn?
    Musiolek: Es ist sehr unterschiedlich, was die sagen. Es gibt zum Beispiel Unternehmen wie Tchibo, die sich sehr konstruktiv ihrer Verantwortung stellen. Es gibt andere Unternehmen wie Hugo Boss, die nach wie vor sagen, sie haben überhaupt kein Problem, weil sie sich auf sogenannte Sozial-Audits berufen, die von kommerziellen Prüfunternehmen dort gemacht werden und wo alle Welt weiß, dass die völlig ineffektiv sind. Es gibt da starke Abstufungen zwischen den Unternehmen, wie die reagieren.
    "Verbraucher können ganz viel machen"
    Reimer: was kann ich als Konsument tun in so einer Situation? Denn Nachfragen sagt ja noch nichts über die Arbeitsbedingungen als solche aus.
    Musiolek: Nein. Zunächst mal muss man ganz klar sagen: Verbraucherinnen und Verbraucher sind nicht schuld an dieser Situation. Das wird ja häufig so in der öffentlichen Diskussion kolportiert. Sie sind überhaupt nicht schuld an dieser Situation. Sie können aber ganz viel machen. Sie können jedes Mal, wenn sie einkaufen, einfach fragen, wie viel hat die Näherin verdient, die jetzt dieses Bekleidungsstück genäht hat - eine ganz einfache Frage. Natürlich wird es schwierig für die Verkäuferin, die zu beantworten, aber sie wird sie weitergeben und das ist das Wichtige.
    Darüber hinaus gibt es ganz viele zum Beispiel in Dresden, wo ich persönlich arbeite, Gruppen von Menschen, die sich einfach für die Arbeiterinnen in der Textilindustrie einsetzen und Aktionen machen und so was alles.
    Darüber hinaus muss man natürlich auch sagen, dass die Stellschrauben hier von den Modemarken gestellt werden und auch von der Politik, und da ist es ja so, dass der Entwicklungsminister Müller das verstanden hat und angefangen hat, endlich angefangen hat, muss man sagen, zu agieren, wobei von vielen Modemarken da alle erdenklichen Steine in den Weg geschmissen werden. Das ist die eine Handlungsebene; die andere Handlungsebene ist die EU.
    Reimer: Da läuft uns die Zeit weg. Ein Satz noch?
    Musiolek: Die EU muss auf Menschenrechte bei den Ländern auch in Europa stark achten bei Entwicklungshilfe, bei Assoziierungsabkommen.
    Reimer: Bettina Musiolek von der Clean Clothes Campaign über Löhne und Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie auf dem Balkan.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.