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Arbeitsbedingungen
Wofür Gorillas-Beschäftigte kämpfen

Der Lieferdienst Gorillas hat laut Gewerkschaft Verdi Anfang Oktober mehrere hundert Radkuriere entlassen. Der Grund: Sie haben für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt. Während das Unternehmen Vorwürfe zurückweist, kämpfen Beschäftigte weiter für Verbesserungen.

Von Manfred Götzke |
    Beschäftigte des Express-Lieferdiensts Gorillas demonstrieren vor der Firmenzentrale für bessere Arbeitsbedingungen. Seit Monaten legen Gorillas-Kuriere ihre Arbeit nieder, um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erstreiten. Vor kurzem hat das Unternehmen einer Reihe von Mitarbeitern fristlos gekündigt.
    Gorillas-Beschäftigte: Demo für bessere Arbeitsbedingungen (dpa-Zentralbild / Monika Skolimowska)
    Zeynep Karlidar sitzt im Büro ihres Anwalts und erzählt von ihrem Knochenjob. Sie ist Fahrradkurier beim Lieferdienst Gorillas. "Wir tragen Taschen mit mehr als zehn Kilo – was nicht legal ist, soweit ich weiß. Fast alle Fahrer leiden an Rückenschmerzen." Die zierliche junge Frau sitzt leicht gebeugt auf dem Sessel im Konferenzraum der Kanzlei. Sie hat mal wieder Rückenschmerzen. Mit zehn Kilo Lebensmitteln ist sie Tag für Tag auf den Straßen Berlins unterwegs – sehr oft auf Kopfsteinpflaster, erzählt sie. 10,50 Euro pro Stunde bekommt sie dafür.
    "Ich hatte kürzlich sogar Prellungen am Rücken. Wenn du über Kopfsteinpflaster fährst, schlägt die Tasche mit mehr als zehn Kilo immer wieder auf deinen Rücken. Das hat mehr als einen Monat gedauert, bis die Schmerzen weg waren", sagt Karlidar.
    Ein Postbote bringt ein Paket an die Haustüre.
    Gewerkschaften und das digitale Proletariat
    Die Arbeitsbedingungen auf neuen Plattformunternehmen im Web sind oft nicht sonderlich gut, betriebliche Interessenvertretung wird unterdrückt. Die Gewerkschaften tun sich schwer.
    Trotz allem will sie erstmal bei Gorillas weiterarbeiten, die 24-jährige Master-Studentin hat nichts anders gefunden, als sie vor knapp einem Jahr aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist. Jetzt klagt sie mit Hilfe ihres Anwalts Martin Bechert auf eine unbefristete Stelle.
    Immerhin ist sie überhaupt noch bei Gorillas angestellt, erzählt sie. Das Unternehmen hatte nach Informationen der Gewerkschaft Verdi Anfang Oktober mehrere hundert Radkuriere entlassen. Der Grund: Sie haben für bessere Arbeitsbedingungen gestreikt, erzählt Arbeitsrechtler Bechert, der auch einige entlassene Fahrer vertritt.
    "Das ist ein typisches Internetunternehmen. Das man sich einerseits vordergründig duzt und ein gutes Klima schaffen will. Und hinten raus aber knallhart ist, wenn es dann um Kündigungen und Befristungen geht."

    Dass sie nicht entlassen wurde, sei reiner Zufall

    Auch Zeynep Karlidar hatte sich an den Streiks beteiligt, sie ist Mitglied im Gorillas Workers Collectiv, ein Zusammenschluss von Fahrern, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Dass sie nicht entlassen wurde, sei reiner Zufall, meint sie. "Wenn du da länger als einen Monat arbeitest, merkst du, wie viele Probleme es gibt. Unsere Löhne wurden fast immer fehlkalkuliert. Die Ausrüstung ist nicht in Ordnung. Einige Bremsen der Fahrräder funktionieren nicht – es gibt fast jede Woche einen Unfall deswegen."
    Das Unternehmen entgegnet auf Deutschlandfunk-Anfrage: Die Wartung der E-Bikes finde in regelmäßigen Abständen statt. "Bei Bedarf führen wir auch sofortige Reparatur- und Wartungsmaßnahmen durch bzw. nehmen defekte Fahrräder aus der aktiven Flotte. Außerdem appellieren wir an unsere MitarbeiterInnen, ihre eigene Sicherheit stets in den Vordergrund zu stellen und keine Ausrüstung zu benutzen, die sie als unsicher empfinden."
    Zwar ist Streiken Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers in Deutschland – allerdings nur, wenn der Streik gewerkschaftlich organisiert ist, sagt Bechert. Sogenannte wilde Streiks sind in Deutschland nicht zulässig. Genau darauf beruft sich das Unternehmen auch. Man beende das Arbeitsverhältnis, mit Mitarbeitern, die sich "aktiv an den nicht genehmigten Streiks und Blockaden beteiligt haben", so Gorillas auf Anfrage.
    Das Problem: bei Startups wie Gorillas sind die Mitarbeiter so gut wie nie gewerkschaftlich organisiert. Was hinter dem Arbeitskampf bei Gorillas steht: hier treffen teilweise alte Aspekte des Arbeitsrechts auf die neue Startup-Welt, so Jurist Bechert:
    "Wir brauchen auf jeden Fall den sogenannten wilden Streik, das sieht man am besten in der Auseinandersetzung der Gorillas. Die haben ja verschiedene Gewerkschaften, unter anderem Verdi, angefragt und auch gebeten, den Streik zu übernehmen, da kam nur keine Zusage. So dass den Gorillas nur der wilde Streik blieb."

    Debatte um das Streikrecht

    Wie bei dem Lieferdienst Gorillas kommt die Belegschaft in vielen Startups fast ausschließlich aus dem Ausland, kennt die Regeln auf dem Arbeitsmarkt nicht. Und manchmal ist gar nicht klar, welche Gewerkschaft überhaupt für das Unternehmen zuständig ist, sagt Bechert. Er ist deshalb überzeugt, dass das Verbot von wilden Streiks ist nicht mehr zeitgemäß ist.
    "Das Bundesarbeitsgericht sieht den sogenannten wilden Streik als unrechtmäßig an. Allerdings ist das eine alte Rechtsprechung aus den 50er-Jahren. Ich glaube, dass sich das Streikrecht öffnen muss. Und dass es auch verbandsfreie, also so genannten wilde Streiks, auch geben können muss. Es gibt die auch in anderen europäischen Ländern."
    Andreas Splanemann von Verdi Berlin Brandenburg sieht das anders. Das Arbeits- und Streikrecht sei nach wie vor zeitgemäß. Die Arbeiter müssten sich halt gewerkschaftlich organisieren. Er sieht ein anderes Problem in der Branche der Fahrrad-Lieferdienste:
    "Ich sehe und beobachte, dass diese Branche darauf basiert, dass sich dort Leute bewerben und bereit sind, zu arbeiten, die woanders keinen Job finden. Und die nutzt man bei den Gorillas aus. Und wir sehen ja jetzt, wenn es Schwierigkeiten gibt, dann wird mit Kündigungen operiert, wie der Arbeitgeber auch Druck ausübt auf die Beschäftigten. Und das ist nicht in Ordnung."

    Gorillas bestreitet, Betriebsräte zu behindern

    Einige Gorillas Arbeiter sind jetzt bei Verdi eingetreten, lassen sich von der Gewerkschaft beraten, wollen einen Betriebsrat gründen. "Der Arbeitgeber ist über die Bildung eines Betriebsrates nicht erfreut, es gibt auch Aussagen von Arbeitnehmern, der Arbeitgeber behindere die Bildung von Betriebsräten Aber wir gehen davon aus, dass das bis Ende des Jahres über die Bühne geht – und dann ist man auch einen Schritt weiter und kann tatsächlich erste Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation einleiten."
    Gorillas bestreitet, die Bildung von Betriebsräten zu behindern. Auch Zeynep Karlidar will weiter für bessere Arbeitsbedingen bei Gorillas kämpfen – wohl bald auch im Betriebsrat, sagt sie. "Warum auch nicht, ich habe schon viel für die Arbeiter erreichen können – und ich hoffe, ich kann da noch mehr erreichen."
    Ob sie keine Angst hat, gefeuert zu werden? "Nicht mehr – ich hab die Solidarität unter den Arbeitern erlebt, als die anderen gefeuert wurden, auch die Reaktionen der Öffentlichkeit – ich hab keine Angst mehr."