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Arbeitslose nicht erwünscht

Drogensüchtige, Hauseinbrüche, Ladendiebstähle - in einigen Stadtvierteln mit hohem Immigrantenanteil und hoher Arbeitslosigkeit bekommt Rotterdam die Lage kaum unter Kontrolle. Um einer weiteren Verarmung einen Riegel vorzuschieben, hat die Stadt nicht nur Wohungen saniert, sondern auch zu umstrittenen Maßnahmen wie einer Einkommensgrenze bei Anmietungen gegriffen. Inzwischen ist daraus ein umstrittenes Gesetz geworden, das jede Stadt nutzen kann: das so genannte Rotterdam-Gesetz. Kerstin Schweighöfer berichtet.

    Stolz präsentiert Barend Rombout die Dordstelaan in Rotterdam: Bis vor kurzem zählte diese Straße zu den berüchtigsten Gegenden der Hafenstadt. Sie liegt genau zwischen Feyenoord und Charlois. Und diese beiden Stadtteile gehören zu den ärmsten Immigrantenvierteln der Niederlande. Rombout ist Koordinator beim Projektbüro "Sicheres Rotterdam". Ziel ist es, Problemviertel wie Charlois sicherer, sauberer und lebenswerter zu machen. Vor vier Jahren noch habe sich der Müll an der Dordstelaan bis zu zwei Meter hoch getürmt, erzählt der 52-Jährige.

    Doch seit die Rechtspopulisten unter Pim Fortuyn 2002 größte Fraktion im Gemeinderat wurden, hat sich in Rotterdam viel geändert: Das Metronetz wurde renoviert, ganze Strassenzüge saniert und Grünanlagen mit Kinderspielplätzen angelegt. Mit einem Spezialteam führt Rombouts regelmäßig Hauskontrollen durch, um festzustellen, ob die Wohnungen auch tatsächlich von denjenigen Personen bewohnt werden, die sich im Einwohnermeldeamt eingeschrieben haben.

    Denn um einer weiteren Verarmung einen Riegel vorzuschieben, wurde in bestimmten Problemvierteln eine Einkommensgrenze eingeführt: Wer sich dort niederlassen will, muss mindestens 120 Prozent des gesetzlichen Mindestlohnes verdienen, das sind rund 1400 Euro brutto im Monat. Diese umstrittene Maßnahme stammt nicht etwa von den Rechtspopulisten, sondern überraschenderweise von den Sozialdemokaten.

    In bestimmten Stadtteilen hätten sich die sozialen Probleme gehäuft, so habe es einfach nicht weitergehen können, erklärt der Fraktionschef der Rotterdamer Sozialdemokraten, Peter van Heemst. Sozialarbeiter, Hausärzte, Streifenpolizisten – sie alle hätten in diesen Vierteln unbedingt eine Atempause gebraucht, um Rückstände zu beheben.

    Bei den Kommunalwahlen im März sind die Sozialdemokraten ins Rathaus zurückgekehrt. Pim Fortuyn hatte sie dort 2002 erstmals nach 50 Jahren vertrieben. Das führte zu der Erkenntnis, dass sie die Klagen der Bürger über zu wenig Sicherheit und zuviel Kriminalität und Armut nicht ernst genommen hatten.

    Insbesondere die Alteingesessenen in den Problemvierteln hätten sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen gefühlt, so van Heemst. Dank der Einkommensgrenze könne seine Partei ihnen nun wieder ins Auge sehen.

    Bislang ging es um eine Testphase, bei der rund 8000 von insgesamt 280.000 Rotterdamer Wohnungen betroffen waren. Doch am 1. Januar wurde die Einkommensgrenze als so genanntes Rotterdam-Gesetz landesweit eingeführt - und zwar in verschärfter Form: Es reicht nicht mehr, ein Einkommen vorweisen zu können, man muss dieses Geld auch durch Arbeit verdienen. Mit anderen Worten: Für Arbeitslose können bestimmte Viertel ab sofort gesperrt werden. Ausnahmen werden nur noch für Studenten und Rentner gemacht.

    Zu dieser rigorosen Maßnahme darf jetzt jede niederländische Gemeinde greifen - vorausgesetzt, sie ist auf eine bestimmten Zeitraum befristet und der Innenminister gibt grünes Licht. Auf dieser gesetzlichen Basis will Rotterdam am 1. Mai nun als erste niederländische Stadt 20.000 Wohnungen für Arbeitslose sperren.

    Doch nicht alle Bürger sind bereit, das alles ohne Proteste hinzunehmen. Der Rotterdamer Anwalt Ton Rijnsburger vertritt sieben Bürger, die gegen die Einkommensgrenze in alter Form protestiert haben. Die Niederlande, so klagt er, seien dabei, reaktionär zu werden.

    Die Einkommensgrenze verstoße gegen eine ganze Reihe von Gesetzen, so Rijnsburger, zum Beispiel das EU-Recht auf freie Niederlassung. Nicht zuletzt deshalb habe es die Stadt bislang noch zu keinem Prozess kommen lassen und immer vorher nachgegeben – auch im Falle seiner Mandantin Diana Plet: Die
    41-jährige Krankenpflegerin blieb mit 1100 Euro unter der Einkommensgrenze. Nach langem Tauziehen durfte sie dennoch in der Drei-Zimmer-Wohnung bleiben, die sie für sich und ihre kleine Tochter in Charlois gefunden hatte.

    Das wäre ja noch schöner gewesen, schimpft sie. Dass der Staat bestimmen wolle, wo man zu wohnen habe und wo nicht, das sei doch nicht normal!