Manfred Götzke: Das ist schon einigermaßen seltsam: Seit Jahren jammern deutsche Unternehmen, dass ihnen die Fachkräfte, die Ingenieure, Chemiker und Informatiker ausgehen, und drängen die Politik, da doch mal dringend, schnellstmöglich was zu machen. Das hat die Politik mittlerweile auch getan, zum Beispiel hat sie im letzten August die Hürden für die Fachkräfteeinwanderung aus dem EU-Ausland stark abgesenkt. Ja, und jetzt, hat die große Anwerbeoffensive angefangen? Nö! Laut einer neuen OECD-Studie locken deutsche Firmen so gut wie gar keine ausländischen Arbeitnehmer an. Ganze 25.000 Fachkräfte kommen also aus Ländern außerhalb der EU jedes Jahr nach Deutschland, umgerechnet etwa 0,02 Prozent der Bevölkerung. Ein Witz, wenn es nicht so traurig wäre! Ich möchte darüber jetzt mit Professor Timo Baas sprechen. Er ist Arbeitsmarktforscher an der Uni Duisburg-Essen, hallo, Herr Baas!
Timo Baas: Hallo!
Götzke: Herr Baas, warum locken so wenige Unternehmen so wenige ausländische Fachkräfte an? Ist der Fachkräftemangel eine Erfindung von Industrielobbyisten?
Baas: Wir haben festgestellt, dass 80 Prozent der Unternehmen gar keine Fachkräfte aus dem Ausland anwerben, die sind das schlicht nicht gewohnt, sich dem Prozess zu stellen, und die haben auch keine Idee, wie sie die Fachkräfte in ihren Betriebsalltag integrieren können.
Götzke: Woran liegt das denn? Das Problem ist ja seit Jahren bekannt und die Informationen sind doch auch vorhanden?
Baas: Also, wir können nur Vermutungen anstellen bei diesen kleinen und mittleren Unternehmen. Die haben natürlich eine große Angst, dass die Fachkräfte aus dem Ausland beispielsweise keine Deutschkenntnisse könnten, und andererseits besteht ja immer noch bei einem großen Teil der Berufe die Notwendigkeit, diesen von der Bundesagentur prüfen zu lassen und da eine Genehmigung sich einzuholen. Und da haben natürlich viele kleine und mittelständische Unternehmen Angst, sie setzen einen Prozess in Gang, der dauert sehr lange – das kann zwischen einem und vier Monate dauern – und sie bekommen dann doch keinen Bewerber auf ihre Stelle.
Götzke: Nun wurde ja auch gesagt, dass das System weniger bürokratisch sei, als die Unternehmen denken. Ist da was dran?
Baas: Das stimmt durchaus. Das Problem sind diese verschiedenen gesetzlichen Regelungen. Hoch Qualifizierte mit einem hohen Einkommen können relativ leicht zuwandern, da sind diese ganzen Prüfungen auch nicht erforderlich. Aber die Unternehmen kennen meistens nur den § 18, und nach dem können natürlich die meisten qualifizierten Zuwanderer zuwandern, aber da sind diese ganzen Prüfungen natürlich notwendig und müssen dann auch erbracht werden.
Götzke: Nun gibt es aber auch einen § 19, der das Ganze einfacher macht, das ist ja vor ein paar Monaten beschlossen worden, da sind die Hürden gesenkt worden, die Einkommensgrenzen und so weiter. Warum besteht dann noch diese alte, restriktivere Regelung überhaupt?
Baas: Die alte, restriktivere Regelung besteht dadurch, dass es ja noch einen Unterschied gibt zwischen Fachkräften, die diese Einkommensschwelle erreichen, und welchen, die diese nicht erreichen. Man kann es einfach so sagen: Wenn Sie aus den USA kommen und Wissenschaftler sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie über diesen hohen § 19 reinkommen, sehr viel wahrscheinlicher, als wenn Sie aus Osteuropa kommen und einfach eine normale Fachkraft sind.
Götzke: Und das will die Bundesregierung auch nicht ändern, weil man dann doch nicht so viel Einwanderung will, oder woran liegt das?
Baas: Genau, das ist der Hintergrund. Also, die … Wenn wir den § 19 ausweiten würden, dann würden wir einen Tatbestand schaffen, bei dem viele Drittstaatler in die Europäische Union und insbesondere nach Deutschland zuwandern können, und die Bundesregierung schreckt davor natürlich noch zurück.
Götzke: Man spricht auch von einem Anwerbestopp mit Ausnahmetatbeständen. Ist da was dran aus Ihrer Sicht?
Baas: Ja, das stimmt. In den 50er-, 60er-Jahren hat man versucht, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, da ist man direkt dann in die einzelnen Länder wie zum Beispiel die Türkei gegangen und hat die Leute direkt angesprochen. Das gibt es heute immer noch nicht und das wäre natürlich auch notwendig, dass deutsche Unternehmen ins Ausland gehen und direkt die Bewerber ansprechen. Und man müsste diese Relikte aus der Vergangenheit, die dann diesen Einwerbestopp bedingt haben, natürlich auch jetzt abschaffen.
Götzke: Die OECD, die spricht ja bereits von einem erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Industrieländern wie zum Beispiel England oder Kanada, die fünf- bis zehnmal so viele Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Ist da was dran, wie sehen Sie das?
Baas: Das stimmt natürlich. Wir haben das Problem, dass der demografische Wandel in Deutschland viel stärker sein wird als in anderen Ländern, deswegen sind wir auf Zuwanderung angewiesen. Und wir haben natürlich durch unser Ausbildungssystem zwar ein sehr gutes System, aber dieses verhindert natürlich auch die Zuwanderung von Leuten aus dem Ausland, die nicht das entsprechende Zertifikat vorweisen können.
Götzke: Wer müsste sich denn jetzt bewegen, die Politik, die die Regeln noch weiter vereinfacht, oder die Unternehmen, die vielleicht auch eine andere Willkommenskultur pflegen müssten?
Baas: Es sind beide verantwortlich dafür. Also, die Politik muss natürlich die Zuwanderung noch ein bisschen einfacher machen, noch ein bisschen attraktiver machen, diese Welcome-Center auch ausbauen, nicht, dass man in eine Behörde geht und sich da melden muss und alle möglichen Unterlagen bringen, sondern dass man wirklich angeworben wird, die Leute müssen dieses Gefühl haben. Auf der anderen Seite müssen die Unternehmen sich natürlich auch bewegen und überlegen, brauche ich dieses Zertifikat jetzt wirklich, weil, wir könnten die Arbeitnehmer natürlich auch einstellen, ohne dass sie bei uns eine duale Berufsausbildung durchlaufen haben.
Götzke: Aber da sind die Ängste aus Ihrer Sicht immer noch zu groß?
Baas: Da sind die Ängste sehr groß und gerade bei kleinen, mittelständischen Unternehmen, die halten die Abschlüsse im Ausland generell für weniger qualifiziert als die, die in Deutschland erworben wurden.
Götzke: Das deutsche Einwanderungsrecht hat immer noch zu hohe Hürden und die Angst der Unternehmen ist zu groß vor ausländischen Fachkräften, sagt der Arbeitsmarktforscher Timo Baas von der Universität Duisburg-Essen. Heute hat die OECD bekanntgegeben, dass kaum Zuwanderer aus dem EU-Ausland nach Deutschland kommen. Vielen Dank!
Baas: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Timo Baas: Hallo!
Götzke: Herr Baas, warum locken so wenige Unternehmen so wenige ausländische Fachkräfte an? Ist der Fachkräftemangel eine Erfindung von Industrielobbyisten?
Baas: Wir haben festgestellt, dass 80 Prozent der Unternehmen gar keine Fachkräfte aus dem Ausland anwerben, die sind das schlicht nicht gewohnt, sich dem Prozess zu stellen, und die haben auch keine Idee, wie sie die Fachkräfte in ihren Betriebsalltag integrieren können.
Götzke: Woran liegt das denn? Das Problem ist ja seit Jahren bekannt und die Informationen sind doch auch vorhanden?
Baas: Also, wir können nur Vermutungen anstellen bei diesen kleinen und mittleren Unternehmen. Die haben natürlich eine große Angst, dass die Fachkräfte aus dem Ausland beispielsweise keine Deutschkenntnisse könnten, und andererseits besteht ja immer noch bei einem großen Teil der Berufe die Notwendigkeit, diesen von der Bundesagentur prüfen zu lassen und da eine Genehmigung sich einzuholen. Und da haben natürlich viele kleine und mittelständische Unternehmen Angst, sie setzen einen Prozess in Gang, der dauert sehr lange – das kann zwischen einem und vier Monate dauern – und sie bekommen dann doch keinen Bewerber auf ihre Stelle.
Götzke: Nun wurde ja auch gesagt, dass das System weniger bürokratisch sei, als die Unternehmen denken. Ist da was dran?
Baas: Das stimmt durchaus. Das Problem sind diese verschiedenen gesetzlichen Regelungen. Hoch Qualifizierte mit einem hohen Einkommen können relativ leicht zuwandern, da sind diese ganzen Prüfungen auch nicht erforderlich. Aber die Unternehmen kennen meistens nur den § 18, und nach dem können natürlich die meisten qualifizierten Zuwanderer zuwandern, aber da sind diese ganzen Prüfungen natürlich notwendig und müssen dann auch erbracht werden.
Götzke: Nun gibt es aber auch einen § 19, der das Ganze einfacher macht, das ist ja vor ein paar Monaten beschlossen worden, da sind die Hürden gesenkt worden, die Einkommensgrenzen und so weiter. Warum besteht dann noch diese alte, restriktivere Regelung überhaupt?
Baas: Die alte, restriktivere Regelung besteht dadurch, dass es ja noch einen Unterschied gibt zwischen Fachkräften, die diese Einkommensschwelle erreichen, und welchen, die diese nicht erreichen. Man kann es einfach so sagen: Wenn Sie aus den USA kommen und Wissenschaftler sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie über diesen hohen § 19 reinkommen, sehr viel wahrscheinlicher, als wenn Sie aus Osteuropa kommen und einfach eine normale Fachkraft sind.
Götzke: Und das will die Bundesregierung auch nicht ändern, weil man dann doch nicht so viel Einwanderung will, oder woran liegt das?
Baas: Genau, das ist der Hintergrund. Also, die … Wenn wir den § 19 ausweiten würden, dann würden wir einen Tatbestand schaffen, bei dem viele Drittstaatler in die Europäische Union und insbesondere nach Deutschland zuwandern können, und die Bundesregierung schreckt davor natürlich noch zurück.
Götzke: Man spricht auch von einem Anwerbestopp mit Ausnahmetatbeständen. Ist da was dran aus Ihrer Sicht?
Baas: Ja, das stimmt. In den 50er-, 60er-Jahren hat man versucht, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, da ist man direkt dann in die einzelnen Länder wie zum Beispiel die Türkei gegangen und hat die Leute direkt angesprochen. Das gibt es heute immer noch nicht und das wäre natürlich auch notwendig, dass deutsche Unternehmen ins Ausland gehen und direkt die Bewerber ansprechen. Und man müsste diese Relikte aus der Vergangenheit, die dann diesen Einwerbestopp bedingt haben, natürlich auch jetzt abschaffen.
Götzke: Die OECD, die spricht ja bereits von einem erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Industrieländern wie zum Beispiel England oder Kanada, die fünf- bis zehnmal so viele Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Ist da was dran, wie sehen Sie das?
Baas: Das stimmt natürlich. Wir haben das Problem, dass der demografische Wandel in Deutschland viel stärker sein wird als in anderen Ländern, deswegen sind wir auf Zuwanderung angewiesen. Und wir haben natürlich durch unser Ausbildungssystem zwar ein sehr gutes System, aber dieses verhindert natürlich auch die Zuwanderung von Leuten aus dem Ausland, die nicht das entsprechende Zertifikat vorweisen können.
Götzke: Wer müsste sich denn jetzt bewegen, die Politik, die die Regeln noch weiter vereinfacht, oder die Unternehmen, die vielleicht auch eine andere Willkommenskultur pflegen müssten?
Baas: Es sind beide verantwortlich dafür. Also, die Politik muss natürlich die Zuwanderung noch ein bisschen einfacher machen, noch ein bisschen attraktiver machen, diese Welcome-Center auch ausbauen, nicht, dass man in eine Behörde geht und sich da melden muss und alle möglichen Unterlagen bringen, sondern dass man wirklich angeworben wird, die Leute müssen dieses Gefühl haben. Auf der anderen Seite müssen die Unternehmen sich natürlich auch bewegen und überlegen, brauche ich dieses Zertifikat jetzt wirklich, weil, wir könnten die Arbeitnehmer natürlich auch einstellen, ohne dass sie bei uns eine duale Berufsausbildung durchlaufen haben.
Götzke: Aber da sind die Ängste aus Ihrer Sicht immer noch zu groß?
Baas: Da sind die Ängste sehr groß und gerade bei kleinen, mittelständischen Unternehmen, die halten die Abschlüsse im Ausland generell für weniger qualifiziert als die, die in Deutschland erworben wurden.
Götzke: Das deutsche Einwanderungsrecht hat immer noch zu hohe Hürden und die Angst der Unternehmen ist zu groß vor ausländischen Fachkräften, sagt der Arbeitsmarktforscher Timo Baas von der Universität Duisburg-Essen. Heute hat die OECD bekanntgegeben, dass kaum Zuwanderer aus dem EU-Ausland nach Deutschland kommen. Vielen Dank!
Baas: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.