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"Arbeitszeitverkürzung war eine Sackgasse"

Ursula Welter: Das Ressort Wirtschaft betrifft jeden einzelnen existentiell, aber es ist zweifellos eines der kompliziertesten. In der zurückliegenden Woche wurden in diesem Ressort zwei Themen debattiert: die Arbeitszeitverlängerung bei Siemens ohne Lohnausgleich und die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Nun unternehmen die Unternehmen etwas und die Politik unternimmt etwas. Aber sind diese Versuche tauglich, Arbeitsplätze zu schaffen? Die Frage geht an einen Wissenschaftler der, so schrieb die FAZ über ihn, mit Fachwissen, gesundem Menschenverstand und Temperament im Ressort Wirtschaft tätig ist, Professor Joachim Starbatty von der Universität Tübingen

Moderation: Ursula Welter |
    Joachim Starbatty: Die Arbeitszeitverkürzung ist eine Sackgasse gewesen. Das haben alle Experten gewusst. Wir haben in Deutschland nur einen produktiven Faktor, das ist unsere Arbeitskraft, unsere Fähigkeit, unsere Innovation und diese Arbeitskraft dann einzusperren, sie weniger arbeiten zu lassen, war falsch. Jetzt geht man den richtigen Weg, beispielsweise dass wir die Leute, die arbeiten mehr arbeiten lassen. Die schaffen mehr Einkommen und die schaffen mehr Steuern und somit schaffen sie auch Entlastung für die öffentlichen Haushalte. Das ist ein richtiger Weg und ich denke, dieser Weg wird auch weiter gegangen werden.

    Welter: Das Schwierige an der Ökonomie ist ja, dass alles irgendwie ineinander greift und wirkt. Schauen wir uns den Wirkungszusammenhang deshalb mal an. Wenn es keine Arbeitsplätze gibt, was bedeutet das für die Sozialversicherungen?

    Starbatty: Unser Sozialversicherungssystem lebt ja von den Arbeitsplätzen. Es ist ein Schönwettersystem: Wenn es genügend Arbeitsplätze gibt, dann braucht man nicht viele Sozialleistungen zu zahlen, aber wenn die Arbeitsplätze immer weniger werden, müssen mehr Sozialleistungen gezahlt werden, die aus den Arbeitsplätzen kommen, das heißt, es drückt noch mal die Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, unter die Wasserlinie, dann gibt es wieder mehr Sozialleistungen, was uns dann wiederum stark belastet. Insofern muss dieser Teufelskreis durchbrochen werden.

    Welter: Und wenn nicht genügend Mittel in die Sozialleistungen fließen, wie Sie sagen, was geschieht dann mit dieser auch alternden Gesellschaft?

    Starbatty: Es ist sehr schön, das wir älter werden, aber das muss auch bezahlt werden und das kann nur bezahlt werden, indem diejenigen, die später die Rente bekommen, auch länger arbeiten oder einfach Rentenkürzungen hinnehmen müssen. Und da ist längere Arbeitszeit etwas besseres als Rentenkürzungen. Insofern wird es auch automatisch dahin gehen, dass die Lebensarbeitszeit verlängert wird, denn es bezahlt sonst niemand für uns, deswegen müssen wir es selber machen.

    Welter: Sie haben unlängst daran erinnert, dass nicht nur die explizite Verschuldung Deutschlands ein Problem sei, sondern auch und vor allem die implizite. Damit ist gemeint, was der Staat denen schuldet, die in die sozialen Sicherungssysteme eingezahlt haben und die auch hoffen, wieder etwas heraus zu bekommen. Wie steht es um diese implizite Schuld, wie Sie es genannt haben?

    Starbatty: Ja, 270 Prozent des Bruttoinlandproduktes sind an Verpflichtungen aufgelaufen, die jetzt auf den Staat zukommen, und die müssen bedient werden und die können nur so bedient werden, indem wir beispielsweise eben versuchen, diese implizite Verschuldung abzubauen, denn wenn das nicht geschieht, wir können nicht damit rechnen, dass die nachkommende Generation das schultert. Die Leute zahlen ja schon wahnsinnig viel Steuern und Abgaben, und wenn sie dann noch einen Rentner zusätzlich auf dem Buckel haben, das ist nicht mehr verkraftbar. Insofern müssen wir das System so aussteuern, dass es eben nicht zusammenbricht.

    Welter: Von welchem Punkt an, glauben Sie, gehen Arbeitnehmer auf die Barrikaden?

    Starbatty: Es wundert mich, dass sie jetzt noch nicht auf die Barrikaden gegangen sind. Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, wie viel sie an Steuern und Abgaben zahlen. Wenn sie das auf ihrem Lohnzettel hätten und genau sehen würden, was beispielsweise die einzelnen Punkte an Abgaben erfordern, und wenn sie das direkt zahlen müssten, dann würden sie sagen, "Nein, das geht zu weit, das müssen wir anders machen".

    Welter: Aber nicht eindeutig ist ja, ob diese implizite Schuld, wie Sie sie genannt haben, überhaupt irgendwann eingelöst wird. Sie sagen, es gibt Verpflichtungen des Staates. Aber wird er diese Ansprüche auch einlösen können? Denn hier sitzt ja auch die Politik am Hebel.

    Starbatty: Ja, das Problem ist, dass die Politik das ändern kann, das heißt, diejenigen, die in die Renten gezahlt haben, haben nur Ansprüche erworben, aber sonst nichts. Und diese Ansprüche können durch politische Entscheidungen verändert werden. Deswegen muss das System stoßsicher gemacht werden, damit die Menschen, die jetzt einzahlen und darauf vertrauen, dass ihnen später etwas zugute kommt, sich auch auf dieses Vertrauen verlassen können.

    Welter: Nun haben Sie gesagt, das einzige, was getan werden kann, sei Wochen- und Lebensarbeitszeit zu verlängern. Ist das tatsächlich das einzige, denn wir haben es ja auch mit einem Geburtenrückgang zu tun. Spielen andere gesellschaftliche Probleme in diesen Punkt hinein?

    Starbatty: Die Rentenversicherungen werden immer nur aus den Arbeitsplätzen finanziert und zwar aus den Überschüssen je Arbeitsplatz. Es gibt Möglichkeiten, die vorhandenen Arbeitsplätze stärker auszuschöpfen, die Maschinenlaufzeiten zu verlängern, um so mehr Mittel zu bekommen. Eine nächste Sache ist, dass wir unsere Geburtenrückgänge sozusagen jetzt abstoppen, dass wieder mehr Kinder geboren werden. Da müssen die Unternehmen etwas tun, die müssen sich drauf einstellen. Vor allen Dingen muss dann auch dafür Sorge getragen werden, dass diejenigen, die Kinder bekommen, Väter und Mütter, dann auch die Möglichkeit haben, das mit ihrem Beruf zu vereinbaren. Man kann nicht wie früher sagen, die Frau soll dann aus dem Beruf gehen oder der Mann und dann die Kinder erziehen. Das wird nicht gehen, also muss man schauen, dass das vereinbart werden kann. Zuwanderung ist eine Möglichkeit, aber wenn wie bisher mehr als die Hälfte der Zugewanderten in die Sozialversicherungssysteme zuwandern, dann ist das eine Belastung und keine Entlastung.

    Welter: Wie sollte die Zuwanderung also aussehen?

    Starbatty: Die Zuwanderung muss so aussehen, dass wir genau die Leute zuwandern lassen, die wir brauchen. Wenn wir jetzt sagen: Wir lassen Menschen nicht mehr aus sozialen Gründen zuwandern, sondern aus ökonomischen Gründen, weil sie uns die Rentenversicherungen ermöglichen sollen, dann muss man natürlich auch genau die Leute herein holen, von denen wir wissen, dass sie uns die Rentenversicherung erleichtern und nicht belasten.

    Welter: Sie leiten die Aktionsgemeinschaft "Soziale Marktwirtschaft". Wie kommt es, dass die Prämissen der Sozialen Marktwirtschaft, also Freiheit und Eigenverantwortung, heute wie ein Hohn klingen, denn eigenverantwortlich zu handeln, wird ja dem einzelnen gar nicht so einfach gemacht, wird ihm schwer gemacht. Da bricht ja beispielsweise ein ganzer Um- und Weiterbildungsmarkt über die Arbeitssuchenden herein, aber kein wirklicher Arbeitsmarkt. Von Eigenverantwortung da zu sprechen, klingt wie ein Hohn.

    Starbatty: Ja, das haben Sie völlig richtig geschildert. Es ist einmal so, dass die Menschen natürlich Freiheit haben wollen, aber dann auch Sicherheit haben wollen, und dann schätzen sie im Zweifel dann doch die Sicherheit, weil sie nicht genau wissen, was sie fehlende Freiheit kostet. Und weiter ist es so, dass der Staat den Bürgern immer mehr aus der Hand genommen hat, nach dem Motto, "das mache ich schon für dich". Der einzelne wird aufgefordert, wenn der Staat überfordert ist. Das müsste genau umgekehrt sein. Der Staat müsste dann eintreten, wenn der einzelne überfordert ist. Insofern müsste man die Sozialversicherungssysteme in Richtung Eigenverantwortlichkeit steuern, denn dann gehen die einzelnen auch mit dem, was sie angespart haben, sorgsam um. Jetzt ist es so, wenn der Staat es macht, wie es bei der Rentenversicherung ist, es werden beispielsweise die Freibeträge für diejenigen behalten, die jetzt Kinder erziehen. Aber das wird nicht beiseite gelegt, sondern das wird verfrühstückt. Die späteren Ansprüche, die diejenigen erwerben, die Kinder haben, die werden nicht beiseite gelegt, sondern das stockt einfach unsere implizite Verschuldung auf. Da muss eben der Staat sich ändern und das hat der neue Bundespräsident Köhler auch sehr schön und sehr sorgfältig gesagt.