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Architektur der Nacht

Das Kunstmuseum Stuttgart feiert die Architektur der Nacht. Eine Ausstellung mit dem Titel "Leuchtende Bauten" führt durch die Geschichte der urbanen Illumination, die längst vom bloßen Sicherheitsfaktor zu einer ästhetischen Herausforderung geworden ist.

Von Christian Gampert |
    Die Beleuchtung ganzer Städte ist ein Traum des 19. Jahrhunderts. Für die Weltausstellung in Paris 1889 diskutierte man allen Ernstes die Idee des Architekten Jules Bourdais, das gesamte Stadtgebiet mit einer einzigen Lichtquelle von einem 360 Meter hohen Leuchtturm aus zu illuminieren - dies zu einer Zeit, als die Straßenbeleuchtung noch mit Gas-Kandelabern funktionierte. Niemand zweifelte an der Durchführbarkeit des Unternehmens, so berichtet es der Kulturwissenschaftler Wolfgang Schivelbusch in seiner schönen Studie mit dem Titel "Lichtblicke".

    Einige Jahrzehnte später waren die nun elektrifizierten Städte dann voller Glitzerfassaden und Leuchtreklamen, und auch der Eiffelturm, der 1889 statt des von Bourdais vorgeschlagenen Projekts errichtet worden war, wurde mit Lichtern bestückt. In Stuttgart steht das übermannshohe Pariser Originalmodell, denn die Weltausstellungen als architektonische Experimentierfelder spielen in der Ausstellung eine Hauptrolle: Hier wurden ökonomische Größenfantasien ausgelebt, aber auch radikale Gegenpositionen bezogen - etwa die des Mies van der Rohe, der 1929 in Barcelona, inmitten der farbig illuminierten Springbrünnlein der Konkurrenz, den deutschen Pavillon als karg-funktionalen Bungalow mit einer einzigen weißen Lichtwand konzipierte.

    Die mit Fotos, Filmen und Modellen überreich bestückte Ausstellung konfrontiert historisches und zeitgenössisches Material zum Teil mit verblüffenden Ergebnissen. Man sieht, dass der Formwille des Bauhauses sich in manchen illuminatorischen Ideen bis heute durchgehalten hat, man sieht aber auch die Verfügbarkeit der architektonischen Lichtbildner für seltsame Ideologien. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam der Lunapark in Mode, das beleuchtete Vergnügungswesen mit lauter bunten Lämpchen. Prototyp: Coney Island. In den 20er Jahren dann wurden in Europa Kaufhäuser, Kinos (die damals noch Lichtspielhäuser hießen) und zum Teil auch öffentliche Gebäude mit konturierenden Fassadenlichtern versehen, während man in Amerika die Wolkenkratzer von außen anstrahlte. So entstanden diabolische Straßenschluchten aus Licht und Schatten, pompöse Bühnenbilder unbegreifbarer Wirtschaftsmacht, und der Einzelne fühlte sich klein. In Deutschland träumte zur selben Zeit der Architekt Bruno Taut von der transparenten Gesellschaft, die er mit transparenten Gebäuden verwirklichen wollte - durch Innenbeleuchtung wird das Haus zur Skulptur -, während die Brüder Luckhard in ihren Entwürfen für Glaspaläste fast anthroposophisch anmutende Kultbauten vor sich sahen.

    In den 30er Jahren einerseits die bunten Wasserspiele und imposanten Lichtfontänen des Parisers André Granet; andererseits dann die von Albert Speer entworfenen gigantischen Licht-Dome zum Ruhme des Führers auf den Nazi-Parteitagen - gewalttätige Inszenierungen mit quasi-religiösem Geltungsanspruch. Aber auch der Autofabrikant Henry Ford bestellte sich ähnliche Spektakel, und nach dem Angriff auf die Twin Tower 2001 errichteten die amerikanischen Künstler Julian LaVerdière und Paul Myodan auf dem Boden der zusammengestürzten Türme eine doppelte Lichtskulptur, ein Erinnerungs- und Trauerzeichen – so unterschiedlich können ähnliche Inszenierungsstrategien genutzt werden.

    Architektur oder Kommerz? Das ist die Frage, die sich bis heute durch die Bau-Geschichte beleuchteter Fassaden zieht. Am eindrucksvollsten zeigt sich der Widerspruch an der Münchner so genannten Allianz-Arena der Schweizer Architekten Herzog und de Meuron. Das Allianz-Enblem muss zu bestimmten Spielen aus juristischen Gründen abgehängt werden, und nur dann erstrahlt die aus beleuchteten Plastik-Lamellen bestehende Außenhaut des Stadions, diese wulstige Wurst, dieser Rettungsring, einfach in changierendem Rot, Blau oder Weiß. Per Computertechnologie wurden kürzlich simple Fußballspieler im Hochhaus-Format auf die Frankfurter Skyline projiziert, göttergleich.

    Opponenten zu solcher Dienstbarkeit sind die Brüder Jan und Tim Edler mit ihrem spielerischen pixelbeleuchteten Kunsthaus Graz oder Peter Zumthors Bregenzer Kunsthaus, dessen quadratische weiße Leuchtskulptur wie ein künstlerisches Manifest am See steht. Und auch der Bonner Post-Tower des Helmut Jahn ragt wie eine illuminierte Scheibe majestätisch über die Stadt.

    Die Ausstellung biegt dann auf einer schönen Kamerafahrt durch das nächtliche Stuttgart in heimatliche Gefilde ein: Der werbetechnischen Lichtverschmutzung asiatischer Großstädte wird hier eine dezente Beleuchtung gegenübergestellt, für die es sogar einen Licht-Masterplan gibt. Parks und Kaufhäuser, Straßen und Theater: Was man wie beleuchtet, dafür gibt es ausgeklügelte urbanistische Konzepte. Das warm illuminierte Kunstmuseum Stuttgart selbst ist ja ein modernistisches Licht in der schwäbischen Nacht.