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Architektur durchs Objektiv

Fotografien von bedeutenden Bauwerken fanden vor 150 Jahren in Museen und anderen Bildungseinrichtungen reißenden Absatz. Diese Abbildungen faszinieren bis heute. In der Pinakothek der Moderne in München ist die Architektur-Fotografie des 19. Jahrhunderts jetzt in einer Ausstellung zu sehen.

Von Christian Gampert | 31.03.2011
    Die Fassade der Kathedrale von Reims ist frontal abgebildet, und jedes Detail der Fenster-Rosetten und der zahlreichen hochgotischen Portalfiguren ist gestochen scharf sichtbar. Das Foto stammt von dem französischen Fotografen Édouard Baldus. Er war Mitglied der "Mission héliographique", die ab 1851 im Auftrag der Regierung französische Kulturgüter ablichtete - und zwar mit dem sogenannten "nassen Kollodiumverfahren".

    Dabei werden große Glasplatten in riesigen Kameras belichtet, und aus diesem Glasplatten-Negativ entsteht dann mit lichtempfindlichem Papier ein 1:1-Abzug. Das Verfahren war aufwendig, teilweise trugen Lasttiere das riesige Dunkelkammer-Zelt vor Ort - aber die authentische Wiedergabe historischer Baukörper begeistert noch heute.

    Auch die Deutschen dokumentierten ihre Bau-Monumente - für die "Königlich Preußische Meßbildanstalt" wurde extra eine verzerrungsfreie Kamera entwickelt. Die Zeugnisse aus der Frühphase der Fotografie lassen uns ahnen, welcher Schub damals durch die Wissenschaft gegangen sein muss: Kulturdenkmäler aus aller Welt waren plötzlich verfügbar - jedenfalls als Bild. Kurator Winfried Nerdinger:

    "Es gab in Kairo oder in Beirut eigene Foto-Agenturen, die dort die berühmten Monumente fotografierten, dann einen Katalog erstellten, und man konnte sich dann aus dem Katalog heraus Abzüge bestellen. Und so sind diese Aufnahmen auch an das Architekturmuseum in München gekommen, damit man diese berühmten Bauwerke der Weltarchitektur dort verwenden kann für den Unterricht."

    Der im 19.Jahrhundert grassierende Historismus erforderte natürlich gotische, barocke oder antike Vorbild-Bauten für die Architekten, und nun hatte man Bilder, denen man nacheifern konnte. Die zum Teil berückend schönen Großaufnahmen der Hagia Sophia oder der griechischen Altertümer, der Pyramiden oder der Akropolis, des Dogenpalasts oder des Palazzo Vecchio sind aber auch jenseits eines jeden Ausbildungs-Interesses Dokumente großer Inszenierungs-Kunst: Hier sind Spezialisten der heroischen Perspektivik am Werk, deren Namen zu Unrecht vergessen sind.

    Ein großes Bild von Albert Renger-Patzsch bildet dann die Brücke zur Moderne: Seine neusachlich angeschrägte Fassadengitter- und Rampen-Ansicht der Haniel-Garage in Düsseldorf (entworfen von Paul Schneider-Esleben) leitet über zu einem Kapitel, das auch mit der Vermarktung von Architektur zu tun hat. Nerdinger:

    "ünter Behnisch hat das mal auf die Formel gebracht: Ein Architekt braucht einen guten Fotografen, damit die Leute verstehen, was er macht. Und da ist etwas dran. Der Fotograf kann eine Entwurfskonzeption eines Architekten in ein Bild bringen, das dann so sprechend diese Idee rüberbringt, dass alle es verstehen, und das dann über die ganze Welt verbreiten."

    Das berühmteste Foto, das ein eher unscheinbares Haus in den Kultstatus erhob, ist Julius Shulmans Bild jenes verglasten Wohnzimmers, das über dem nächtlichen Los Angeles zu schweben scheint. Der Architekt Pierre Koenig war bis dahin eher unbekannt. So machen es nun alle:Ssie haben einen Leibfotografen, der ihre Werke gebührend ins Bild setzt. Ezra Stoller fotografierte für Eero Saarinen, Sigrid Neubert mit ihren berühmten Untersichten für Karl Schwarzer, der die BMW-Zentrale baute.

    Rein architekturhistorisch aber ist das Foto vor allem Arbeitsmittel: Man fotografiert hölzerne Modelle und setzt - lange vor dem Computer-Zeitalter - Entwürfe in Landschaftsbilder, um deren Wirkung in der Umgebung zu testen. Man dokumentiert den Fortgang eines Baus oder bildet Bau-Typologien. Alle diese Disziplinen haben ihre Meister, von Hermann Billing, der seinen Entwurf für das Bismarck-Nationaldenkmal in ein Landschaftsfoto kratzte, bis zu Richard Paulick, dem Historiker des Plattenbaus, von Hans Finsler, der Marcel Breuers Mehrfamilienhäuser bauhausgerecht versachlichte, bis zu Bernd und Hilla Becher, den fotografischen Serientätern in Sachen Industriekultur. Es gibt in dieser wunderbar reichen Ausstellung Sakralbauten, Stadien, Theater - und die Erkenntnis, dass die Architektur ohne Fotografie wirklich ärmer wäre. Und umgekehrt.