Samstag, 20. April 2024

Archiv


Architektur im permanenten Kriegszustand

Zäune, Mauern, Kontrollpunkte und Wachtürme - der israelische Architekt und Architekturkritiker Eyal Weizman hat Israels "Architektur der Besatzung" und insbesondere auch den Bau israelischer Siedlungen in den besetzten Gebieten akribisch untersucht.

Von Jochanan Shelliem | 08.02.2010
    "Während meines Architekturstudiums in Wien und London ging ich nach Ramallah. Im palästinensischen Planungsministerium machte ich ein Praktikum. Rasch stellten meine Auftraggeber fest, dass ich am besten helfen konnte, indem ich das Ministerium aus Israel mit Karten des Westjordanlandes versorgte. Und dies war in der Phase der Osloer Verträge. Die Beschränkung der geografischen Information war in den Neunzigern ein Weg, die palästinensische Seite zu kontrollieren."

    Bezeichnend, dass der 1970 als Sohn jüdischer Überlebender in Haifa geborene Eyal Weizman in jungen Jahren ausgewandert ist. Eigentlich nicht ausgewandert, ausgereist: pflegt der mit einer Leipzigerin verheiratete Leiter des "Centre for Research Architecture" doch neben seiner Lehrtätigkeit am Goldsmith College an der London University auch sein Büro bei Betlehem. Sodass ihm sein Spagat zwischen Großbritannien und dem Westjordanland den Abstand für den unabhängigen kalten Blick verschafft. Seine Studie "Sperrzonen" ist auf Englisch bereits im Jahr 2007 erschienen, unter dem Titel "Hollow Land" – Das ausgehöhlte Land. Entstanden ist eine Grammatik der Architektur im Spannungsfeld des permanenten Kriegszustandes. In diesem Licht stellt die serielle mitteleuropäische Architektur jüdischer Siedlungen im Westjordanland, wie der pseudo-biblische Festungsbau rund um Jerusalem Herkunft und Zugehörigkeit im Bau selbst dar. Alles ist eminent politisch in Nahost, weil es die Schlacht entscheiden kann. Eyal Weizman berichtet von den Wurzeln des zionistischen Historismus, der in der britischen Besatzungszeit von Palästina begründet worden ist.

    "Die Geschichte der Fassaden aus Jerusalemer Sandstein begann als Bewegung zur Unterstützung des städtischen Handwerks. Zur Zeit der Ottomanen baute man Häuser einfach aus Stein, weil es viele Steine gab. Als die Briten Jerusalem besetzen, gegen Ende des Ersten Weltkrieges, entwickelten sich neue Techniken des Hausbaus. Man nutzte nun Stahl, der Einsatz von Stein war strukturell nicht notwendig, doch dann kamen romantische britische Städteplaner nach Palästina. Ashbee und andere Absolventen der britischen Kunsthandwerk Bewegung empfanden die moderne Bautechnik als Bedrohung der lokalen Ikonografie und des regionalen Handwerks. Um die Bedeutung Jerusalems – auch aus christlicher Sicht – eindeutig zu fixieren, wurden Verordnungen erlassen, die die Verkleidung der Zementfassaden mit Jerusalemstein vorgeschrieben haben."
    Mit der zionistischen Besiedlung entwickelte sich der Hausbau zur Ikonografie, auch wenn die Sandsteinfassade der Bauten immer dünner geworden ist. Besonders gilt dies für Neubauten im Ring um Jerusalem, die Weizman, weil im Westjordanland errichtet, zu den Siedlungen zählt. Die Architektur der Gebäude stellt ihre Zugehörigkeit zum jüdischen Zentrum von Jerusalem eindeutig klar.

    "Wenn man ein Bauwerk Jerusalem zuordnet, auch wenn es sehr weit entfernt ist von der Heiligen Stadt, wird es sofort mit einer Art von Heiligkeit durchtränkt, die jegliche Verhandlungsbereitschaft erstickt. Wenn etwas heilig ist, dann geben wir es niemals auf."
    Weizman beschreibt den Siedlungsbau in den verschiedenen Phasen der israelischen Regierungspolitik. Als Beispiel für die Verzahnung von Sicherheitspolitik und Siedlungsbewegung, die zur Gründung einer neuen Ansiedlung im Westjordanland geführt hat, erzählt er die Geschichte von Migron.

    "Die Gründung des heute größten Außenpostens fand zur Zeit der Verhandlungen von Oslo statt, als sich die israelische Regierung verpflichtet hatte, keine neuen Siedlungen in der Westbank zu bauen. Gleichzeitig gab es jedoch ein großes Interesse, noch in letzter Minute soviel Land wie möglich zu besetzen. Unabhängige Siedlerorganisationen entwickelten also eine Piratenstrategie die Regierung dazu zu zwingen, diese zu bauen."
    Als Hebel dienten Sicherheitsüberlegungen: Als Siedler im Westjordanland feststellten, dass sie in einer Kurve hinter einem Hügel für zwanzig Sekunden über keinen Mobilfunkkontakt verfügten – zwanzig Sekunden, die einem feindlichen Angriff dienen könnten – ergab sich aus militärischer Sicht die Notwendigkeit eine Antenne aufzustellen. Die Mobilfunkantenne wurde genehmigt, die Hügelkuppe dafür konfisziert.

    "Wenn eine Mobilfunkantenne errichtet wird, muss sie mit Elektrizität, mit Wasser und anderem versorgt werden, sodass auf dem Hügel der Kern einer derartigen Infrastruktur entstand. Da die Antenne ziemlich teuer ist, muss sie 24 Stunden am Tag bewacht werden. Der Wächter wurde in einem Schiffscontainer untergebracht. Und weil der Wächter sich nicht ungeschützt auf einem Hügel im Westjordanland exponieren wollte, zäunte er das Gelände ein und schloss seine Unterkunft an die Leitungen der Antenne an. Sein Haus wurde also recht bequem und seine Familie zog bei ihm ein. Nach einer Weile kamen Freunde und eine ganze Siedlung entstand um die Mobilfunkantenne herum. Heute leben mehr als 150 Familien dort und Migron stellt den größten israelischen Außenposten in der Westbank dar."
    Weizman beschreibt nicht nur Siedlungsformen detailliert, die er als Stadien in der Expansion des israelischen Grenzgebietes sieht. Er geht der Mimikry jüdischer Siedlungen nach, die sich auf ehedem als Gemeineigentum genutzten Hügelkuppen als subventionierte malerische Vororte von Tel Aviv und Jerusalem erstrecken, während palästinensische Architekten die israelische Gartenstadtästhetik in ihren Neubaugebieten übernehmen. Weizman zeigt auch militärische Kampfstrategien auf, wie den Grabenkrieg und die Begrenzung palästinensischer Gebiete durch jüdischen Siedlern vorbehaltenen Autobahnen und den Kampf durch die Wände bestehender palästinensischer Häuser hindurch, um die Gefahr von Fallen auf den Straßen von Flüchtlingslagern zu umgehen. Deutlich wird bei der Lektüre die Verschachtelung des umkämpften Raumes, eines Raumes, der drei dimensional getrennt werden müsste, um den Ansprüchen der Konfliktparteien gerecht zu werden. US-Präsident Clinton sprach im Jahr 2000 vom Big Mac des Tempelbergs, weil sowohl die Erde unterhalb der Al Aqsa Moschee, wie der Luftraum bei einer Teilung israelischem Hoheitsgebiet zuzurechnen sei. Eyal Weizman zieht ein anderes Fazit:

    "Was ist zu tun, wenn im ersten Stock eines Hauses eine jüdische Familie lebt, im Erdgeschoss dagegen ein palästinensischer Laden ist. Die internationale Grenze müsste zwischen dem ersten und dem zweiten Stock verlaufen. Und wenn man denkt, das ist verrückt, so entspricht dieses Konzept verschiedenen internationalen Friedensvorschlägen. Teilungen, die Wände durchschneiden, Brücken von Unterführungen trennen, Tunnel von den Bergen, die sie umgeben, wenn man die Teilung ernst nimmt und Juden von Palästinensern trennen will, dann ist dies zu tun. Die Kernaussage meines Buches ist, dass diese Art der Teilung unmöglich ist. Wir müssen andere Modelle entwickeln, anstatt die Grenze immer komplizierter zu gestalten."

    Jochanan Shelliem über Eyal Weizman: "Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung". Erschienen in der Edition Nautilus. Das Buch hat 352 Seiten und kostet 24 Euro 90 (ISBN 978-3-89401-605-0).