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Architektur in der DDR
„Sehnsucht nach Weltniveau“

Auch beim Bauen richtete man sich in der DDR nach den Vorgaben aus der Sowjetunion. Doch Architekten wussten, Freiräume zu nutzen, erklärte Architekturexperte Ben Kaden im Dlf. Wer sich heute mit DDR-Gebäuden beschäftige, dürfe nicht vergessen, dass es sich um Erinnerungsräume handele.

Ben Kaden im Gespräch mit Jörg Biesler | 28.08.2019
Das Foto zeigt den Blick vom Südturm am Frankfurter Tor im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg, aufgenommen am 20.08.2011 entlang der Karl-Marx-Allee in Richtung Stadtzentrum Ost.
DDR-Architektur mit Strahlkraft - Karl-Marx-Allee und Fernsehturm in Berlin (picture-alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
Jörg Biesler: Ben Kaden ist in der DDR geboren worden. Er hat gerade die Texte zum Buch "DDR-Architektur" des Fotografen Hans Engels geschrieben. In unserer Reihe "Wendepunkte. Vorher – Nachher" habe ich mit ihm über das Erbe der DDR-Architektur gesprochen. Aber worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir von DDR-Architektur sprechen. Gibt es die?
Ben Kaden: Ich denke schon, dass es sie gibt. Es ist die Architektur, die seit Gründung der DDR bis zu ihrem Ende, also von 1949 bis 1990, entstanden ist. Ob es da spezifische Sachen gibt oder nicht, das ist eine Abwägungssache. Es gab viele Parallelentwicklungen: Das sieht man in Berlin ganz deutlich, dass zum Beispiel die Moderne sich in beiden Teilen auch im Konkurrenzverhältnis ausgeprägt hat. Aber ich denke schon, dass man von einer DDR-Architektur sprechen kann als Bezugsgröße.
Biesler: Und man hat offensichtlich ja auch ähnliche technische Gestaltungsprinzipien gehabt, also die Charta von Athen mit der typischen Funktionstrennung von Arbeiten und Wohnen – das gab’s hüben wie drüben.
Kaden: Ja, genau. Die Architekturgeschichte ist ja nicht vergessen worden. Es ist bloß sehr interessant zu sehen, wie die politische Einflussnahme über die Jahre stattfand. Man begann ja – das sieht man in Berlin sehr schön, auch in der Nähe der berühmten Stalinallee oder Karl-Marx-Allee - mit einem sehr aufgelockerten Neuaufbau der Stadt, mit der sogenannten Wohnzelle Friedrichshain. Am bekanntesten sind die beiden Laubenganghäuser vom Kollektiv Ludmilla Herzenstein, die 1949/50 fertiggestellt wurden. Und danach gab es dann diese Wende hin zu dieser sogenannten Zuckerbäckerarchitektur, also der nationalen Bautradition. Und man sieht das dann gleich hinter den Laubenganghäusern mit dem Hochhaus an der Weberwiese. Das läutet sozusagen diese zweite Phase – die erste war ja sehr, sehr kurz – der DDR-Architektur ein.
Parallelen zwischen Ost- und West-Berlin
Biesler: Da hat man sich an der Sowjetunion orientiert.
Kaden: Genau, das war die Vorgabe. Was man aber sehr schön sieht, ist auch, dass es da Parallelen gab: Also das Degewo-Hochhaus in Berlin-Schöneberg am Innsbrucker Platz ist im Prinzip das West-Pendant zum Hochhaus an der Weberwiese. Man kann in Berlin das immer wunderschön in der Parallelentwicklung weiterverfolgen.
Biesler: Und die sehen dann auch ähnlich aus?
Kaden: Ja, sie sehen schon unterschiedlich aus, aber sie sind von der Baumasse ähnlich, und sie sind von der Intention auch ähnlich. Es ist allerdings dann wirklich zum Kampf der Systeme gekommen, der vorwiegend auch über die Presse ausgetragen wurde. Das ist sehr spannend nachzuvollziehen. Natürlich wurde das nicht in West-Berlin für den Arbeiter gebaut. So hat das das "Neue Deutschland" dann geschrieben. Und die DDR-Baukultur baut halt für die Arbeiterklasse und ermöglicht Leuten jetzt großzügige Wohnungen, die sich sonst nie einer hätten leisten können.
Biesler: Ja, diese politisch-ideologische Ausrichtung hat ja möglicherweise auch Folgen gehabt für die Möglichkeiten, die man als Architekt überhaupt hatte in der DDR. Wenn der Formalismus-Verdacht über allem steht und möglicherweise da Eitelkeiten im Spiel sind und nicht das Volkswohl, dann ist das möglicherweise eine Architektur, die dann auch von der Regierung nicht geschätzt wird.
Kaden: Ja, das blieb dann aber meistens auf der Ebene der Entwürfe. Was nicht geschätzt wurde, wurde gar nicht realisiert. Eitelkeiten gibt es natürlich bei Architekten sowieso. Das ist ja ganz grundständig so. Aber wenn man sich das im Detail ansieht, sieht man schon, dass auch viele Freiräume genutzt wurden. Es sind also auch Bauwerke entstanden, die an internationalen Schulen wieder anschließen konnten. Die Moderne kam ja dann wieder. Man sieht es ja sehr schön an der Karl-Marx-Allee: dieser erste Bauabschnitt bis zum Strausberger Platz und dann der zweite Bauabschnitt, der verlängert wurde bis zum Alexanderplatz. Das sind ganz unterschiedliche Architektursprachen, die da realisiert wurden. Und das ist ein sehr schönes Beispiel, wie sich die Dinge dann über die Zeit verändert haben.
Typisierter Wohnungsbau
Biesler: Da kehrt die Sachlichkeit zurück.
Kaden: Da kehrt die Sachlichkeit zurück, die dann auch natürlich ihre Wirkung auf die so genannte Typenbauweise hat, die dann prägend war ab den 70er-Jahren vor allem in den Großwohnsiedlungen in den neuen Wohngebieten, wo wirklich jedes Gebäude typisiert war. Deswegen sehen diese Wohngebiete auch sehr, sehr ähnlich aus – egal, ob man sich in Rostock befindet oder Zwickau. Diese Stile waren schon sehr nah aneinander angelehnt.
Biesler: Das führt uns geradewegs zur verpönten Platte, zum Plattenbau. Das industrielle Bauen, das aber doch vielleicht auch beides war: einerseits Effizienzprogramm, aber andererseits auch bewusster Ausdruck von Modernität, oder?
Kaden: Da war auch sehr viel aus der Not geboren beim Plattenbau. Es ist schon sehr bewundernswert, wie ästhetische Merkmale abgerungen wurden auch besonders durch die Bekunstung, dass man also Mosaike angebracht hat oder mit bestimmten Kacheln Muster an die Wände gebracht hat. Aber es ist eigentlich eher funktional technisch vorgegeben, dass man diese Gebäude wirklich sehr leicht industriell in großer Stückzahl errichten kann.
Die DDR war durchweg ein Versprechen auf die Zukunft
Biesler: Was man dann sieht auch in dem Buch, das ist eine Reihe von Gebäuden, die vielleicht nicht experimentell sind, aber doch sehr eigenartig: der Fernsehturm auf dem Alexanderplatz, den die meisten kennen werden; aber auch das Rundkino in Dresden, das so heißt, weil es genau diese Form auch hat; das neue Gewandhaus in Leipzig, das so eine Art postmoderner Bau ist.
Wenn man da mal zusammenfassen will, kam bei mir der Gedanke auf, dass, was trotzdem alle vereint, ist, dass sie eine ungeheure Zuversicht ausstrahlen. Ist das vielleicht einer der Kernpunkte dieser DDR-Architektur?
Kaden: Ja, die DDR selbst war ja eigentlich durchweg ein Versprechen auf die Zukunft, die da kommt. Also dieser Aspekt Zuversicht ist sicherlich richtig. Da ist immer ein utopisches Element. Die genannten Gebäude hatten aber zugleich ganz stark auch repräsentative Zwecke. Die DDR hatte diese Sehnsucht nach Weltniveau, so hat man das immer genannt. Ob das im Sport war oder auch in anderen Kulturbereichen, wie man das am Gewandhaus dann sieht. Das ist wirklich ein Gebäude, dass Weltqualität haben musste, damit man damit repräsentieren kann. Man wollte eher zeigen: Wir können das auch. Wir können auf diesem Niveau bauen.
Vom kontrollierten zum privaten Bauen
Biesler: Jetzt gibt es das Ende der DDR natürlich und damit auch ein Ende dieses politischen, dieses staatlichen Bauens. Kein vollständiges Ende, aber es gibt doch eine viel stärkere Beteiligung von privaten Bauherren, die auch ganz andere Interessen haben als der Staat. Wenn sie zum Beispiel ein Kaufhaus bauen oder ein Bürohaus in der Innenstadt, dann eher an Rendite interessiert sind. Wie haben Sie das wahrgenommen? Ist das das Ende einer Ära gewesen? Hat sich da viel verändert in den Städten?
Kaden: Natürlich hat sich da sehr viel verändert, weil sich die Vorzeichen im Prinzip umgekehrt haben von dem absolut kontrollierten gesellschaftlichen Bauen hin zu einem privat organisierten Bauen. Aber das Interessante ist ja das Bauen in diesem Bestand. Und es ist nicht nur die Architektur, die da hervorsticht, sondern vor allem auch der DDR-Städtebau, die Stadtanlagen, die überdauern im Prinzip die einzelnen Gebäude.
Biesler: Das heißt, dass stärker als die Architektur eigentlich das, was bleibt, die Stadtplanung ist?
Kaden: Das würde ich tatsächlich so sagen. In der Breite wird sich sicherlich eher die Stadtstruktur erhalten, weil sich natürlich Städte verändern. Es werden Gebäude entfernt, es werden neue Gebäude gebaut, es werden Lücken geschlossen. Das Interessante ist, wenn wir jetzt diese Debatten sehen zur Erhaltung der DDR-Architektur oder des baulichen Erbes der DDR, dann müssen wir uns fragen: Was wollen wir eigentlich erhalten? Wollen wir die Gebäude im Rohzustand erhalten? Wollen wir das erhalten, was noch da ist? Oder wollen wir eigentlich Erinnerungen erhalten? Aus meiner Sicht finde ich es wichtig, dass man die Lesbarkeit tatsächlich dessen, was geschehen ist, dessen, warum diese Gebäude da stehen und wie die Gebäude da standen, dass man das erhält. Es sind Erinnerungsräume – das darf man auch nicht vergessen. Dass sehr viele Leute natürlich, mich eingeschlossen, sehr viele Erinnerungen an diese Stadtgestaltung, an diese Gebäude haben. Und das sind natürlich auch biographische Marker, die in der Stadt stehen. Wenn diese Marker zerstört werden, überformt werden, abgerissen werden, dann macht das auch oft etwas mit den Erinnerungen oder mit der Wahrnehmung der Erinnerung der Personen, die davon betroffen sind. Deswegen würde ich sagen, in dieser Richtung ist Sensibilität eigentlich auch ein wichtiger Aspekt.
Sensibilität für persönliche Erinnerungen
Biesler: Was uns zu einem ganz aktuellen politischen Thema führt, nämlich dem Gefühl vieler Ostdeutscher, nicht ernstgenommen zu werden. Da könnte man auf städtebaulichem und denkmalpflegerischem Gebiet dafür arbeiten, dass vielleicht dieses Gefühl nicht mehr so dominiert?
Kaden: Ja, das fügt sich in einen ganz übergreifenden Prozess natürlich, dass bestimmte Aspekte erstmal in den 90ern radikal entwertet wurden. Auch natürlich von ostdeutscher Seite. Das war auch das Selbstbild, was selbst dekonstruiert wurde, was aber dann nach und nach wiederkam. Das ist etwas, was jetzt stärker zunimmt. Das beobachte ich ganz stark, dass auch nostalgische Elemente eine Rolle spielen, dass man also sehr stark an einzelnen Gebäuden hängt, um die auch kämpft. Und dass aus einer globalen Perspektive jetzt schon fragwürdig ist, ob jetzt unbedingt dieses Objekt denkmalschutzwürdig ist. Aber biographisch individuell oder auch für stadtgesellschaftliche Deutungen ist es vielleicht sehr wichtig. Und das hat nicht unbedingt in jedem Fall was mit der architektonischen oder bautechnischen Qualität zu tun.
Ben Kaden ist in der DDR geboren worden. Der Bibliothekswissenschaftler ist Mitautor eines neuen Buches des Fotografen Hans Engels über DDR-Architektur.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.