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Wie Deutschlandradio seine Sendungen digitalisiert

Meterlange Tonbänder, auf denen Jahrzehnte von Aufnahmen gespeichert sind – im Deutschlandradio ist das längst Geschichte. Heute ist das Archiv des Hörfunksenders weitgehend digitalisiert. Auch für private Nutzer ergeben sich dadurch ganz neue Möglichkeiten.

Von Henning Hübert | 30.12.2019
Abhören und Sichten von Archivmaterial an der Bandmaschine.
Deutschlandradio: Abschied von Analogem, von Tonband, DAT-Kassette und Sendeprotokoll (Deutschlandradio - Andreas Buron)
Jörg Wehling leitet als Abteilungsleiter Dokumentation und Archive des Deutschlandradios den Übergangsprozess. Er wacht nicht mehr über Regalkilometer langes Archivgut in riesigen Kellerräumen, so wie frühere Archivare. Wehling nimmt Abschied von Analogem, von Tonband, DAT-Kassette und Sendeprotokoll:
"Ja, das ist so die Horrorvorstellung eines Archivars, dass wir dann nur noch die Tür aufschließen zu den Servern und sagen: Das ist unser Magazin. Da blutet uns auch ein bisschen das Herz, das ist gar keine Frage. Aber auf der andern Seite gibt es keine Alternative zu den digitalen Möglichkeiten. Weil damit unser Material ja viel besser, viel schneller, viel umfassender genutzt werden kann, als es zu analogen Zeiten möglich gewesen ist."
Das Material von heute sind Million Files des Deutschlandradios, abgelegt auf den Servern des Informationsverarbeitungszentrums der ARD. Noch recht neu ist die Möglichkeit, digitalisiertes Audioarchivmaterial via Audiomining zu nutzen. Diese Computer-Anwendung ist geschult in Sprach-, Silben- oder Tonfrequenzerkennung. Sie weiß auch immer besser mit Atmos, mit Umgebungsgeräuschen bei Interviews, umzugehen.
"Wir nutzen das in zwei Richtungen. Einmal: Jeder Redakteur kann das Gespräch, das er heute aufgezeichnet hat, in ein Simple Audiomining reinschmeißen. Bekommt dann ein wunderbar editierbares Worddokument, kann damit seine Arbeiten viel schneller erledigen als bislang. Und jedes in der Hörfunkdatenbank archivierte Stück wird im Moment auch gemint. Das heißt: Da läuft auch Audiomining drüber. Und man kann viel schneller bestimmte Zusammenhänge bekommen. Man kriegt auch automatisierte Verschlagwortung dadurch hin. Das ist schon nicht mehr ein Zukunftsmodell, das ist state of the art."
Per Download zu alten Sendungen
Rundfunkintern also funktioniert bereits, was sich auch viele interessierte Nutzer für den Privatgebrauch wünschen: dank Digitalisierung alles, was bereits gesendet wurde, abrufbar zu halten. Jedoch legt der Telemedienauftrag die Verweildauern von Audios im Netz fest. So verschwinden derzeit einige Inhalte schon wieder nach sieben Tagen. Das betrifft Nachrichten, Verbrauchertipps und Kommentare. Andere Audios bleiben länger nachhörbar.
Wenn ein neues Telemedienkonzept vorliegt, sollen weitaus mehr Inhalte als heute schon ins Webseitenarchiv des Deutschlandradios übergehen. Wer nun aber bereits heute unbedingt eine bestimmte ältere Sendung noch einmal hören will, dem wird seit diesem Jahr geholfen, sagt Deutschlandradio-Archivleiter Jörg Wehling:
"Man kann jetzt beim Deutschlandradio anfragen und sagen: Ich möchte gerne nochmal hören. Und dann kann man gegen eine kleine Bearbeitungsgebühr dieses Material auch sich per Download vom Deutschlandradio zukommen lassen. Das ist ein Teil der Öffnung des Archivs. Das ist keine Frage. Und es gibt inzwischen auf vielfältigen Ebenen Bestrebungen, die Archive noch deutlicher zu öffnen."
Der Archivleiter ist aber gegen eine komplette Onlinestellung aller digitalisierten Audioinhalte für alle – nicht nur wegen komplizierter Urheberrechtsfragen. Sondern auch, weil richtig Suchen eine Kunst ist:
"Die Zugänglichkeit muss auch ein bisschen kuratiert sein, die muss unterstützt werden, und die muss auch mit Metadaten angereichert werden, so dass man auch findet, worauf man echt Bock hat."
Filterblasen oder Echokammern vermeiden
Die Deutschlandfunk-Onlineredaktion setzt da auf die Audiothek-App als Tool für die interessengeleitete Suche. Online-Redakteur und Multimedia-Projektmanager Markus Waldhauser entwickelt zusammen mit Experten der Universität Köln ein Empfehlungssystem. Das Ziel sind personalisierte Hörtipps. Dafür kombiniert ein Algorithmus Nutzerdaten mit den von den Archivaren des Hauses erarbeiteten Metadaten der Audiodateien.
Als große Gefahr erkennt Markus Waldhauser Filterblasen oder Echokammern: dieses Phänomen sozialer Medien, dass man nur noch auf passgenaue, erwartbare Inhalte trifft. Gegenmittel laut Waldhauser: der Serendipity-Effekt.
"Das heißt, ich finde etwas, was ich nie gesucht habe. Sie kennen das vielleicht aus dem Deutschlandfunk: Eine bestimmte Sendung interessiert sie vielleicht gar nicht besonders. Und dann kommt da ein Beitrag, mit dem sie dort nie gerechnet hätten. Das sind so schöne kleine Momente, die man im Hörfunk hat. Und diese kleinen schönen Momente wollen wir auch in der digitalen Welt noch haben. Das heißt: Wir stören den Algorithmus. Wir stören die Personalisierung und die Empfehlung, die automatische, dadurch, dass wir bestimmte Überraschungseffekte einbauen. Daran arbeiten wir gerade. Und wir hoffen, dass wir da bald auch ein Produkt für den Hörer anbieten können."